Kommentar zu Sheikh Yassins Tod:
Gewalt bringt nichts...
...
gegen Terror, erklären europäische
Politiker aus solchen Staaten, die Terrorgruppen gewaltsam
ausgeschaltet haben Von
Thomas von der Osten-Sacken
Kaum war Sheikh Yassin von der israelischen Armee
getötet worden, da wusste ganz Europa, dass der Tod des Hamas-Chefs
den Terror im Nahen Osten nur verschlimmere. Gewalt, so die monoton
und gegen alle historische Erfahrung geäußerte Feststellung, sei
kein wirksames Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus.
Es sind keineswegs nur pazifistische Humanisten, die
derartiges zum Besten geben, sondern Präsidenten und Außenminister
von Staaten, die in den vergangenen Jahrzehnten mehr oder minder
erfolgreich Gruppen, die sie als terroristisch bezeichneten,
gewaltsam ausgeschaltet haben. Schließlich schaffte die BRD in den
siebziger Jahren den Kapitalismus ebenso wenig ab wie Frankreich
Korsika in die Unabhängigkeit entließ oder London Schritte zur
Vereinigung Irlands unternahm. Im Gegenteil herrschte in den
Staatsetagen kämpferisch geäußerte Einigkeit, dass Organisationen,
die sich terroristischer Methoden bedienen, mit aller Härte zu
begegnen sei. Warum nun sollten
die USA und Israel, die mit ähnlichen Methoden islamistischen
Terrorismus bekämpfen, weniger erfolgreich sein? Dabei sind die
Parallelen frappierend: Die Hamas und die Hizbollah als national
verankerte politische Parteien, die einen militärischen Flügel
unterhalten, ähneln in ihren Strukturen Sinn Fein und Batasuna. Das
al-Qaida-Netzwerk, dessen Untergruppen sich »Armeen« nennen,
versucht eine diffuse politische Massenstimmung mit terroristischen
Aktionen zu manipulieren und Konflikte militärisch zuzuspitzen, ohne
dabei auf eine legale und nationale Organisation Rücksicht nehmen zu
müssen. Es erinnert strukturell, nicht inhaltlich, an linke
europäische Gruppen, die dem "bewaffneten Kampf" frönten.
Während Gruppen, die über einen politischen und einen
militärischen Arm verfügen, legal operieren und auf eine
institutionell organisierte Basis zurückgreifen können,
vergleichsweise schwerer zu zerschlagen sind, waren bislang, wie
David Fromkin in einem Standardwerk über Terrorismus feststellte,
Terroristengruppen ohne klar definierte politische Basis immer dann
mit Gewalt besiegbar, wenn sie sich nicht in von der Bevölkerung
gedeckte Guerillorganisationen verwandeln konnten. Sobald sie
isoliert und – früher oder später – ihrer Führung beraubt wurden,
zerfielen sie in Fraktionskämpfen oder gaben auf.
Auch wenn die terroristischen Aktivitäten semilegaler
Parteien schwieriger zu bekämpfen sind als selbst ernannte
terroristische "Armeen", gelang selbst dies immer dann, wenn der
jeweilige Staat stark genug und willens war. Sowohl in Algerien wie
auch Ägypten besiegten die Sicherheitskräfte, wenn auch mit
unbeschreiblicher Brutalität und einer Welle von Repressalien gegen
Unbeteiligte, die terroristischen Flügel der islamistischen
Bewegungen. Zudem gelang es, diese Gruppen von ihrer Basis
weitgehend zu isolieren, da staatliche Repression und immer
blutigere, auch gegen Zivilisten gerichtete Anschläge, mit denen die
Bewaffneten Islamischen Gruppen (Groupement Islamique Armée; Gia)
und Jamaa Islamiya reagierten, sie ihren Unterstützern sukzessive
entfremdeten. In Ägypten stellte die Jamaa Islamiyya 1997 den
bewaffneten Kampf ein, die Gia wurde bis zur Handlungsunfähigkeit
dezimiert. Während die USA in
al-Qaida eine rein militärische Organisation bekämpft, hat Israel es
mit politischen Parteien mit fester institutioneller Basis und einem
karitativen Netzwerk von Suppenküchen und Kindergärten zu tun.
Anders als Ägypten und Algerien aber kann Israel dem politischen Arm
dieser Parteien keine weitgehenden Zugeständnisse machen. Weder mit
der Hamas noch mit der al-Qaida sind Kompromisse denkbar, weil ihre
Ziele – die Zerstörung Israels bzw. der USA – nicht verhandelbar
sind. Mit Sheikh Yassin traf
die israelische Armee die zentrale Integrationsfigur der Hamas, der
es seit über einem Jahrzehnt virtuos gelungen ist, den politischen
und den militärischen Fügel der Bewegung zu koordinieren. Einen
adäquaten Ersatz für ihn gibt es offenbar nicht. Yassins Tod könnte
deshalb erstmals zu offenen Flügelkämpfen zwischen denjenigen Teilen
der Hamas führen, die eine Annäherung an al-Qaida-Operationsweisen
und -ziele zu Lasten der politischen und sozialen Aktivitäten der
Partei anstreben, und jenen, die an der ursprünglichen
politisch-zivilen Konzeption der Muslimbrüder festhalten wollen. Das
ägyptische Beispiel zeigt, dass eine forcierte Radikalisierung
langfristig zu einer Entfremdung zwischen militärischem Flügel und
politischer Basis führen kann.
Dass sich nun mit Rantisi ein Vertreter des radikalen Flügels der
Hamas entgegen den Regularien der Muslimbrüder nicht zum neuen Chef
wählen ließ, sondern sich noch innerhalb der dreitägigen Trauerfrist
selbst ernannte, scheint in diese Richtung zu weisen. Eine
Annäherung der Hamas an den internationalen Jihadismus aber würde
für Israel nicht nur Gefahren bergen, sondern auch Chancen eröffnen.
Anders als das supranationale al-Qaida-Netzwerk ist die Hamas eine
national verankerte Organisation, deren Ziele regional begrenzt
sind: die Schaffung eines islamischen Staates in ganz Palästina und
die Vertreibung oder Ausrottung der israelischen Juden.
Bislang vermied deshalb Hamas jede offene
Konfrontation mit den USA und versuchte vielmehr, einen Keil in das
israelisch-amerikanische Bündnis zu treiben, um, auch mit Hilfe
Europas, Israel zu isolieren. Als Teil der im ganzen Nahen Osten
agierenden Muslimbruderschaft hat die Hamas sich bislang weitgehend
an deren Agenda gehalten, derzufolge der bewaffnete, auch gegen
israelische Zivilisten gerichtete Kampf ein im Sinne antikolonialer
Befreiungskriege legitimes, sogar durch internationales Recht
gedecktes Unterfangen sei. Anders als al-Qaida suchen die
Muslimbrüder den politischen Dialog mit Europa, selbst mit den USA.
Nutzt die Hamas eine antikolonialistische
Phraseologie, die an die Rhetorik nationaler Befreiungsbewegungen
anknüpft, so ist das Programm der al-Qaida nicht einmal im
schlechtesten Sinne antiimperialistisch, vielmehr verfolgt sie
selbst imperiale Ziele: die Errichtung eines islamischen Kalifates,
die langfristige Unterwerfung Europas und die Zerstörung der USA.
Spezifisch nationale Belange spielen im Programm der al-Qaida
bestenfalls eine taktische Rolle: Palästina, der Irak oder
Afghanistan sind für al-Qaida lediglich Schlachtfelder, das
Wohlergehen der jeweiligen Bevölkerung kümmert sie nicht.
Sollte es al-Qaida gelingen, im Gaza-Streifen nach
der Tötung Sheikh Yassins Fuß zu fassen, so müssen diese beiden sich
letztlich ausschließenden Konzepte islamistischer Machtergreifung
früher oder später kollidieren. Je weiter die palästinensischen
Terroristen sich dem internationalen Jihadismus nähern, desto enger
rücken die Vereinigten Staaten und Israel zusammen.
So verwundert es nicht, dass Rantisis Drohungen gegen
die USA innerhalb der Hamas auf Kritik stießen, während inzwischen
auch offen die Strategie al-Qaidas in Frage gestellt wird. Kürzlich
tauchte ein von der Jamaa Islamiyya verfasster Text mit dem Titel
"Strategie und Bombenanschläge von al-Qaida" auf, in dem Ussama bin
Ladens Politik scharf kritisiert wird. Der gegen die USA gerichtete
Terror des Netzwerkes sei kontraproduktiv, auf Dauer nicht
finanzierbar und entfremde die USA von der islamischen Welt. Hätten
früher die USA nicht nur die Jihadisten gegen die Sowjetunion
unterstützt, sondern sogar den Dialog mit den Taliban gesucht, so
bekämpften sie nun die Islamisten weltweit. Anders als im Libanon
1982 oder in Somalia elf Jahre später habe Amerika am Golf
strategische und ökonomische Interessen, die so existenziell seien,
dass es auch den Tod Hunderter GIs in Kauf nehme.
Ist man sich offenbar in islamistischen Kreisen, seit
der "War on Terror" die Region zu verändern beginnt, zunehmend
uneinig, wie mit dem "großen Satan" zu verfahren sei, besteht über
die Notwendigkeit, dass der "kleine Satan" Israel vernichtet werden
müsse, weiterhin ein alle Gruppen verbindender Konsens.
Erschienen in
Jungle World, Nummer
15 vom 31. März 2004
hagalil.com
02-04-2004 |