Osama ist elf Monate alt. Seine Mutter, Saliha Shamas, setzt
große Hoffnungen in den Jungen. Den Koran soll er lernen, ein guter
Schüler werden und später zur Armee gehen. Osama ist in Pakistan ein
geläufiger Vorname, einer der Gefährten Mohammeds hieß so. Die
Anschläge vom 11. September 2001 haben daran nichts geändert - im
Gegenteil. "Wenn mein Sohn geopfert werden muss, dann ist es in
Ordnung. Für mich wäre es eine große Ehre", sagt die Mutter.
SPIEGEL
TV:
Hamas-Anhänger in Gaza-Stadt bei ihrer
Einschwörungs-Zeremonie: Schahids werden als "Prinzen im
Himmel" verehrt
Die moderate Mehrheit der Muslime betrachtet den Dschihad
vor allem als den inneren Kampf der Gläubigen für
spirituelle Vervollkommnung. Extremistische Gruppen
allerdings definieren den religiösen Märtyrertod als höchste
auf Erden erreichbare Ehre - belohnt mit der Aussicht, auf
direktem Weg einen privilegierten Platz im Paradies zu
erhalten.
"Es dreht sich alles um das Paradies", sagt Rahima Bibi,
Leiterin einer Mädchenschule im pakistanischen Peschawar.
Sie ist 35 Jahre alt und hat zehn Kinder zur Welt gebracht,
ihr jüngster Sohn ist vier Jahre alt und heißt Osama. "Die
Mädchen lernen hier alles über das Paradies, weil das Leben
vergänglich ist. Sie lernen hier, wie sie ins Paradies
kommen." In Pakistan gibt es über hundert private
Koranschulen für Mädchen. 5- bis 16-Jährige lernen hier die
Grundlagen des islamischen Fundamentalismus. Oftmals werden
diese Schulen, so genannte Madrassahs, von
radikal-islamischen Parteien wie etwa der Jamat-e-Islami
finanziert. Jeder Mensch werde als Muslim geboren und erst
von den Eltern zum Ungläubigen gemacht, glaubt Schulleiterin
Bibi. Allah habe gesagt, er könne nicht jeden Menschen zum
Muslim machen, "sonst wäre ja niemand mehr übrig, der in die
Hölle kommen könnte".
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Die Dokumentation "In Gottes Namen" zeigt die für Außenstehende
meist unzugängliche Welt des extremistischen Islam. Hier wird Mord
im Selbstmord zur sakralen Handlung verklärt, die Todesversprechen
neuer Selbstmordattentäter werden feierlich auf Bekenntnisvideos
dokumentiert. Von ihren Familien bestärkt und ihren Gefährten
bewundert, werden schon angehende Märtyrer verehrt. Und die
tatsächlichen Schahids, ob im Gazastreifen oder über Manhattans
Ground Zero, sind in diesen Gemeinschaften zu bizarren Helden der
Neuzeit geworden.
SPIEGEL
TV:
Saliha Shamas und ihr Sohn Osama: Bin Laden
als Vorbild
Das Team von SPIEGEL TV hat in religiösen Mädchenschulen in
Pakistan gedreht, die für Kameras bislang veschlossen waren, in
Kindergärten und Klassenräumen der libanesischen Hisbollah, in den
Dörfern bewaffneter al-Qaida-Unterstützer, bei der Vereidigung von
Selbstmordattentätern der palästinensischen Hamas und beim
schiitischen Märtyrerfest Aschura. Bei den Feierlichkeiten opfern
Tausende ihr Blut in einer ekstatischen Zeremonie. Der Film zeigt,
wie für den Heiligen Krieg neue Schahids rekrutiert werden.
Saliha Shamas gehört zu denen, die überzeugt sind, mit dem Tod und
dem Töten im Dienste Allahs die Tiefe ihres Glaubens zu bezeugen.
Und der kleine Osama? "Können Sie ihm in die Augen sehen und ihm
sagen: 'Ich werde dich opfern'?" Saliha lächelt. "Ja,
selbstverständlich", sagt sie. Und streicht ihrem Sohn liebevoll
über den Kopf.
Ein Film von Dan Setton und Helmar Büchel unter Mitarbeit von
Kerstin Mommsen, in Zusammenarbeit von SPIEGEL TV, Set Productions
(Israel) und HBO (USA). Länge: 46 Minuten.
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