Selbstmordanschlag im Bus Nr. 14:
Wie sagt man den Schülern, dass Ihre Freunde tot
sind?
Auszüge aus einem Bericht von Anshel Pfeffer,
Ha'aretz, 23.02.2004
Übersetzung Daniela Marcus
Kurz nach drei Uhr nachmittags versammelte Uri
Geva, der Leiter der Experimental School im Zentrum von Jerusalem,
die 55 Schüler der Abschlussklasse, die Lehrer und Dutzende von
Eltern um sich. "Wir warten immer noch auf die offizielle
Benachrichtigung", begann er und es fiel ihm schwer, fortzufahren.
Die Freunde des 18jährigen Benaya Jonathan
Zukerman wussten nun sowieso genug. Der Leiter fuhr fort: "Die ganze
Zeit über hofften und beteten wir, und nun müssen wir alle stark
sein. Wir verloren..." Er brach erneut ab. Später sagte er, dies sei
das erste Mal gewesen, dass er die Schüler vom Tod eines Freundes
unterrichten musste und dass es keine Möglichkeit gäbe, dies
angemessen zu tun.
Als die Nachricht vom Selbstmordanschlag auf Bus
Nr. 14 um etwa 8.30 am Sonntagmorgen eintraf, begann in den
Jerusalemer Schulen die Standardprozedur, die in solchen Fällen, in
denen mit morgendlichen Terroranschlägen umgegangen werden muss,
üblich ist: Lehrer gingen von Klasse zu Klasse, überprüften, welche
Schüler abwesend waren und versuchten, diese über Telefon zu
erreichen. Im Hebrew Gymnasia in Rehavia war die Sorge besonders
groß, weil etwa die Hälfte aller Schüler im Süden der Stadt wohnt
und den Bus Nr. 14 benutzt, um zur Schule zu kommen. Für viele von
ihnen beginnt der Unterricht um 9.00 Uhr.
Nach etwa einer halben Stunde wurde klar, dass die
Sorge berechtigt war: etwa 10 Schüler waren mit dem Bus gefahren.
Zwei von ihnen wurden vermisst. Eine Schülerin, Liz Monteleo, wurde
später in ernstem Zustand in einem Krankenhaus gefunden. Weitere 11
Gymnasiasten aus Jerusalem wurden beim gestrigen Anschlag verwundet
und Dutzende von Jugendlichen wurden Zeuge davon.
Der zweite vermisste Schüler des Hebrew Gymnasia
war der 18jährige Zwölftklässler Lior Azulai. Er wurde getötet. Etwa
zweieinhalb Stunden nach dem Anschlag versammelten sich die
Zwölftklässler im Auditorium und David Gal, der Schulleiter, sagte:
"Ich habe eine schwierige Ankündigung zu machen."
"Sie konnten es nur schwer verkraften", sagte er.
"Es war mir kaum möglich, einen Satz zu äußern. Ich sagte ihnen,
dies sei der härteste Tag in meinem Berufsleben."
Nur dreieinhalb Wochen zuvor war auf einen anderen
Bus wenige hundert Meter vom Gymnasium entfernt auf einer der
Hauptstraßen der Stadt, der Gaza-Straße, ein Anschlag verübt worden.
Damals wurde ein Achtklässler der Schule schwer verletzt. Er liegt
immer noch im Krankenhaus. Der untere Teil seines Körpers ist
gelähmt. Vor etwa sechs Monaten, als der Terroranschlag im Cafe
Hillel in Jerusalem geschah, wurde der Vater eines Schülers getötet.
Und in der Fußgängerzone der Innenstadt kamen vor sechs Jahren zwei
Schüler zu Tode.
Auch Lior Azulais Familie kennt den Verlust
bereits. Liors Tante, Iris Azulai, wurde vor 13 Jahren als 19jährige
Soldatin im Jerusalemer Stadtteil Talbieh mit einem Messer ermordet.
Doch Lior war ein glücklicher Junge. Seine Freunde
beschrieben ihn als "Klassenclown". Ein Junge "ohne Grenzen, der
immer alle zum Lachen brachte".... Lior gehörte zu einer Gruppe von
etwa zehn Freunden, die alle im gleichen Stadtteil wohnten.... "Für
Lior war Fußball sein Ein und Alles. Im Schülerteam spielte er als
Stürmer", sagte sein Freund Idan.... Dennoch verließ Lior die
Jugendliga von Hapoel Jerusalem, um sich auf die Schule
konzentrieren zu können.
In der Experimental School machte man sich um
Benaya Zukerman zunächst keine Sorgen. Er kam zwar nicht in die
Schule, doch er wohnte im Stadtteil Ein Kerem, weshalb es keinen
Grund gab zu glauben, er wäre mit dem Bus Nr. 14 gefahren. Erst als
ein paar Stunden vergangen waren und die Schule ihn nicht auf seinem
Handy erreichen konnte, erinnerte sich jemand, dass Benaya an diesem
Morgen nach Talpiot im Süden der Stadt fahren wollte, um dort in der
zuständigen Behörde seinen Führerschein abzuholen. Er war in keinem
Krankenhaus zu finden. Schließlich versammelte Giora Segel, der
Klassenlehrer der zwölften Klasse, die Schüler. "Ich hielt eine
kurze, traurige Rede", sagte er. "Ich sagte ihnen, wir seien in sehr
großer Sorge."
Die Experimental School ist eine kleine Schule.
Die meisten ihrer Schüler sind seit dem Kindergarten zusammen.
Während sie auf die offizielle Nachricht warteten, brachte der
Schulleiter warmes Essen, damit die Schüler in der Schule bleiben
konnten.
"Die Stadtverwaltung schickte uns Psychologen,
doch die Schüler zogen es vor, von einander Kraft zu schöpfen",
sagte Geva, der Schulleiter. Mittlerweile kamen Dutzende von Eltern
in die Schule.
Benaya studierte Film und war dabei, einen Film
für sein Abschlussprojekt vorzubereiten... "Film bedeutet Teamwork.
Und er war in seiner Seele ein Teammitglied", sagte sein Filmlehrer
Ron Apter. Benaya zeichnete sich auch durch seine sportlichen
Leistungen aus, besonders beim Laufen. Sein Freund Yoel Ron, der
seit dem Kindergarten mit ihm zusammen war, sagte: "Er liebte
Herausforderungen und suchte nach ihnen."...
Auch die Experimental School musste bereits in der
Vergangenheit mit dem Terror umgehen: Eli Zefira, der Hausmeister,
wurde beim Busanschlag auf der Gaza-Straße getötet. Letzte Woche
nahmen die Schüler an Aktivitäten mit trauernden Familien, sowohl
Israelis wie Palästinensern, teil. Eigentlich sollte sich der
Schulleiter heute mit einer arabischen Schule in Beit Safafa
treffen, um mehr solche Aktivitäten zu koordinieren. Das Treffen
wurde verschoben, doch Geva versprach, es werde bald stattfinden.
hagalil.com
23-02-2004 |