Am Tag als israelische Raketen den Hamas-Führer Abd al-Asis Rantisi
und seine Begleiter angriffen, hatte dieser in der in London
erscheinenden Zeitung Al-Quds al-Arabi noch einmal die Politik Ariel
Scharons kommentiert. Rantisi, der als Nachfolger von Scheich Jassin an
der Spitze von Hamas gilt, erklärt, dass er Scharons Bereitschaft zu
Zugeständnisse für ein "Manöver" hält. Weiterhin macht er deutlich, dass
Hamas auch in Zukunft nicht bereit ist, die Existenz Israels
anzuerkennen.
von Abd al-Asis Rantisi
"Es ist kein Geheimnis mehr, dass Scharon alle ihm zur Verfügung
stehenden terroristischen Mittel genutzt hat, um [Israels] Sicherheit zu
gewährleisten. Jetzt aber bekommt er die Bitterkeit der Niederlage zu
spüren. Zu guter letzt sieht er sich nämlich mit einer Wahrheit
konfrontiert, der er immer zu entfliehen suchte: der Widerstand des
Volkes ist nicht zu besiegen. Oder in anderen Worten: Die vom Zionismus
als unüberwindbar dargestellte Besatzungsarmee ist nicht in der Lage,
einen Sieg über den Widerstand des palästinensischen Volkes zu erringen.
Als Scharon seinem Volk vor der Wahl zum Ministerpräsidenten versprach,
dass er innerhalb von 100 Tagen die Intifada und den Widerstand
vernichten würde, zweifelt ich keinen Moment, dass er einer großem
Irrtum unterliegt. [.]
Jetzt ist ihm klar geworden dass er sich selbst getäuscht hat [.] und
dass kein zionistischer Führer [jemals] die Widerstandsgruppen besiegen
kann [.]. Scharon hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder er setzt die
Konfrontation fort, was schmerzhafte Kosten mit sich bringt, weil der
Widerstand das zionistische Gebilde wirtschaftlich, ideell,
psychologische und menschlich auszehrt [.]. Scharons zweite Möglichkeit
ist es, nach einem Weg zu suchen, der ihm einen politischen Sieg
ermöglicht und dabei den Widerstand umgeht.[.]
Scharon [entschied] sich für die zweite Möglichkeit [.] Eigentlich
betrachtet er dies als Erfolg der Widerstandsgruppen. Tatsächlich aber
will er die Flucht vor der Niederlage in einen Sieg verwandeln, mit dem
er sein politisches Leben krönen will. Und dazu reicht ihm nun natürlich
der bloße Sieg über den Widerstand nicht aus - er will ihn vollständig
zermalmen. Ganz oben auf seiner Prioritätenliste steht dabei die
Zerschlagung der Hamas.
[Denn] abgesehen davon, dass die Hamas offiziellen Statistiken zufolge
den Löwenanteil an den feindlichen Verluste für sich beanspruchen kann,
hat die Hamas einen festen Platz in den Herzen der palästinensischen,
ebenso wie der arabischen und islamischen Bevölkerung. [.]. Die Hamas
hat bekräftigt, dass sie nicht bereit ist zu Verhandlungen um die
legitimen Rechte
[Rückkehrrecht; d.Ü.] und die von ihnen ausgehende existenzielle
Bedrohung für die Zukunft dieses zionistischen Gebildes, das auf dem
Raub eines kostbaren Teiles des Landes der Muslime errichtet wurde.
Wichtiger noch als all dies ist aber, dass die erzeugte Spannung
zwischen der palästinensischen Autorität und der Hamas zu inneren
Kämpfen führen könnte, wie es die Zionisten hoffen. Zwar ist es der Kopf
von Hamas, der zuerst rollen soll. Aber es geht nicht nur um die Hamas,
sondern ebenso um die Fatah, den Islamischen Gihad, die Volksfront und
die Demokratische Front. Keine Gruppe des Widerstands, wird vor der
Verfolgung sicher sein.
Und hier begann Scharon mit der Vorbereitung der Roadmap. In ihr sieht
er den einzigen Weg seine Pläne zur Bekämpfung des Widerstands zu
verwirklichen und gleichzeitig von allen Kosten dieses Unterfangens
befreit zu sein. Oft hat Scharon also seine Bereitschaft zu
schmerzhaften Zugeständnissen verkündet. Allerdings sind diese
Ankündigungen nie über den Rahmen der betrügerischen Vermarktung der
Roadmap hinausgekommen [.]. Und Scharon weiß, dass er sein Ziel nur
erreichen kann, wenn es eine palästinensische Fraktion gibt, die bereit
ist, die ihr von ihm zugedachte Rolle zu spielen. Wie gesagt hat Scharon
begriffen, dass seine Armee nicht imstande sein wird, den Widerstand zu
brechen; und an diesem Punkt sieht er, dass die neue palästinensische
Regierung ihm die Gelegenheit bietet, sein Ziel zu verwirklichen.
Dabei muss Scharon dieser Regierung soviel Unterstützung gewähren, dass
die ihre Rolle spielen kann, ohne die palästinensische Straße zu
verlieren. Das heißt, dass es spürbare Verbesserungen der
Lebensbedingungen geben muss [.], die gleichzeitig aber nicht mit dem
zionistischen Projekt kollidieren sollen, das darauf zielt, die
palästinensische Frage und die palästinensische Existenz zugunsten des
zionistischen Gebildes zu liquidieren. [.] [Also] gibt Scharon
Erklärungen ohne jede Garantie ab - wie er es etwa mit seiner Erklärung
zur Anerkennung der Roadmap gehandhabt hat. Diese Akzeptanz bleibt
äußerlich. Und sie erfolgte nicht auf amerikanischen Druck, wie es
manche so gerne glauben wollen - vielmehr erforderte das [eigene]
Komplott dieses Theater. [.] Von der Umsetzung der ersten Stufe der
Roadmap verspricht sich Scharon, dass er [danach] den Sieg über den
palästinensischen Widerstand verkünden kann, der ihm den Schlaf raubte
und ihm als Retter des zionistischen Gebildes [im Wege steht].
Was die palästinensische Regierung angeht, so bin ich sicher, dass sie
sich nicht von den Manövern Scharons täuschen lässt. Sie weiß, dass es
nur Manöver sind [.]. Die PA beginnt demnach nicht mit der Umsetzung der
Pläne, weil sie getäuscht worden ist - vielmehr zeigt sich darin mit
aller Klarheit, dass sie das Fortdauern der zionistischen Verschwörung
akzeptiert hat [.]. Die PA wird aber bald erkennen dass sie vor der Wahl
steht: Entweder sie wird zum Totengräber oder sie besinnt sich wieder
auf den Willen des Volks zurück und erhält die nationale Würde.
Bleibt anzumerken, dass die Geschichte den Sieg von Scharon - wenn er
ihn denn erreichen kann, was Gott verhüten möge - nicht als Sieg über
den Widerstand verzeichnen wird, sondern als Triumph über diejenigen,
die bereit waren, Illusionen zu kaufen. Ich füge aber auch hinzu, dass
der Widerstand, so Gott will, in der Lage ist, das [gegenwärtige]
Stadium zu überwinden - gleich was Scharon tut, den die Geschichte als
ersten Nagel im Sarge des zionistischen Gebildes verzeichnen wird."