Mitten ins Herz
Israels
Nach dem
Selbstmordanschlag während des jüdischen Pessach-Festes sind
Verhandlungen mit den Palästinensern undenkbar
Von
Thorsten
Schmitz
In der ersten Nacht des jüdischen
Pessach-Festes, das am Mittwochabend begann und bis kommenden Donnerstag
andauert, fragt das jüngste Kind am gedeckten Tisch: "Was unterscheidet
diese Nacht von all den anderen?" Anschließend erzählen die Erwachsenen
von Moses und dem Auszug der als Sklaven gehaltenen Hebräer aus Ägypten
und der beschwerlichen Reise in ihre neue Heimat Kanaan.
3000 Jahre später sprengt sich
ein palästinensischer Selbstmordattentäter zu Beginn des ersten
Pessach-Abends in einem Festsaal in Netanja in die Luft. Der Anschlag
des 24 Jahre alten Palästinensers aus Tulkarem im Westjordanland hat die
israelische Nation mitten ins Herz getroffen an ihrem höchsten Feiertag,
an dem die Juden ihr Glas erheben auf ihre Heimat. Es ist zugleich ein
Angriff auf die israelische Volksseele. Selbst an Feiertagen, an denen
die Juden sich auf ihre Geschichte besinnen, sind sie in ihrem eigenen
Land nicht mehr davor gefeit, getötet zu werden. In den Medien wird vom
"Pessach-Massaker" gesprochen – und davon, dass ein Punkt erreicht sei,
von dem es vorerst kein Zurück gebe.
Palästinenserpräsident Jassir
Arafat hat kein einziges Wort des Bedauerns verloren, auch nicht als
wenige Stunden nach dem Anschlag von Netanja, bei dem 22 Menschen ums
Leben kamen, sechs weitere Israelis in ihren jüdischen Siedlungen
getötet und am Freitag in einem Jerusalemer Einkaufszentrum zwei
Israelis getötet und 20 Menschen zum Teil schwer verletzt werden.
Israels Premierminister Ariel
Scharon, der von dem Attentat auf seiner Farm in der Negev-Wüste beim
rituellen Abendmahl unterrichtet wurde, hat Arafat nach einer
mehrstündigen Sondersitzung des Kabinetts am Freitagmorgen zur persona
non grata erklärt: Der Palästinenserpräsident gilt nun als "Feind
Israels". Und Feinde, spekulieren israelische Analytiker, kann man
umbringen.
Das Ergebnis der Gipfelkonferenz
der Arabischen Liga in der libanesischen Hauptstadt Beirut ist in Israel
unwichtig geworden, alle Aufmerksamkeit gilt den Überlebenden und den
Toten, den Beerdigungen und der Zukunft: "Wie viele Tote müssen wir noch
betrauern?" fragte gestern eine Rundfunkhörerin, als die ersten Toten
des Pessach-Anschlags zu Grabe getragen wurden. Im Radio wird leise
Musik gespielt, die Straßen sind nachts verwaist in Tel Aviv wie in
Jerusalem; schwer bewaffnete Polizisten kontrollieren alle Passanten –
der Attentäter von Netanja hatte sich als Frau verkleidet.
In den Trümmern des
Anschlagortes, der im israelischen Fernsehen als "Israels Ground Zero"
bezeichnet wird, hat man die Frauen-Perücke des Palästinensers gefunden.
Er war Israel seit Jahren als Terrorist bekannt – Arafat hat ihn trotz
mehrmaliger Aufforderung nicht festnehmen lassen. Das Vertrauen Israels
in Arafats Worte ist gleich null, weshalb Israel seiner Ankündigung, er
sei bereit für eine Waffenruhe, keine Bedeutung beimisst. Die Menschen
sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Es gibt in Israel keinen Ort mehr,
an dem man sich sicher fühlen kann. Die Strategie der palästinensischen
Terroristen, landesweite Verunsicherung zu verbreiten, ist aufgegangen.
Selbst Regierungschef Scharon
sieht sich einem Feind gegenüber, mit dessen Vehemenz er nicht gerechnet
hat. In einem Interview, das kurz vor dem Pessach-Anschlag
veröffentlicht wurde, räumte er ein: "Ich habe nicht damit gerechnet,
dass die Situation sich so schlimm entwickeln würde." Gleichwohl glaubt
er, alles unter Kontrolle zu haben: "Wir mussten schon härtere Zeiten
überstehen."
Mit dieser Ansicht jedoch steht
Scharon in diesen Tagen alleine da. Schon wird der Ruf laut, Arafat zu
töten. Scharon hatte in den letzten Tagen zugegeben, diese Absicht
verfolgt zu haben. Er habe den USA jedoch sein Versprechen gegeben, den
Palästinenserpräsidenten unversehrt zu lassen.
In Israel wird zurzeit
spekuliert, dass die israelische Armee ihre Großoffensive dazu nutzen
wird, Arafat ins Exil zu vertreiben. So würde sich Geschichte
wiederholen: 1982 war es Scharon als Verteidigungsminister gelungen,
Arafat aus Beirut ins tunesische Exil zu vertreiben. Aber selbst wenn
Scharon demnächst mit einer neuen palästinensischen Führung verhandelte,
würden sich deren Forderungen zumindest in einem Punkt mit Arafats
decken: Mit dem Beschluss der Arabischen Liga, Israel solle sich auf die
Grenzen von 1967 zurückziehen. Das ist für den israelischen Premier
undenkbar: "Israel wird sich nicht auf die Grenzen von 1967
zurückziehen", erklärt er kategorisch, "wenn es überleben will."
haGalil onLine 31-03-2002 |