Terroropfer:
Das pathalogische Institut in Abu Kabir
MA'ARIV, 3. Mai 2002
Sie sind die Ersten, zu denen die
Opfer der Anschläge kommen. Sind die Ersten, welche die Leichen in deren
schlimmsten Zustand sehen: zerstückelt, zerrissen, manchmal fehlt das
Gesicht. Sie, die Mitarbeiter des Instituts für Gerichtsmedizin in Abu
Kabir.
Die letzte Anschlagswelle, die im
Park-Hotel in Netanya und im Restaurant Matsa in Haifa, ihren Höhepunkt
erreichte, zerbrach sie. Wieviele Leichen kann man behandeln und
versuchen zu rekonstruieren, wie sie ausgesehen haben mögen? Wieviele
Male kann man den Eltern, die draussen besorgt warten, mitteilen, dass
ihre Lieben unter den Getöteten sind? Als Präzedenzfall finanziert der
Staat eine psychologische Behandlung für die Mitarbeiter, mit dem
Versuch ihnen zu helfen. “Diese Arbeit hat mich gelehrt, das Leben mehr
zu schätzen”, sagt einer von ihnen, “andererseits weiss ich, wie leicht
man sterben kann”.
Eli Lipstein arbeitet schon 16 Jahre im
Institut für Gerichtsmedizin in Abu Kabir. Im Rahmen seiner Tätigkeit
als Leiter des Paramedizinischen Teams sah er viele entsetzliche Dinge,
die er bisher heldenhaft ertrug. In den letzten Monaten jedoch ist er
aufgrund der extremen Anschlagswelle zusammengebrochen. Die Masse, sagt
er mit zerrissener Stimme, habe ihn umgebracht. Auch die Tatsache, dass
sehr viele Kinder darunter waren. Seit Beginn der Operation Schutzschild
und der verhältnismässigen Feuerpause, erhalten er und seine Mitarbeiter
in Abu Kabir, zum ersten Mal in der Geschichte des Instituts,
psychologische, seelische Unterstüetzung.
“Die letzte Anschlagswelle war brutaler
denn je”, sagt Lipstein. “Die Leichen kamen in einem schrecklichen
Zustand zu uns. Die meisten waren völlig zerrissen, von einigen waren
nur noch Gewebestücke übrig. Es fiel uns immer schwerer, die Personen
aufgrund des Äusseren zu identifizieren. Bei bestimmten Anschlägen kamen
Mädchen im Alter meiner Tochter zu uns. Ich fand an ihnen Kleider, wie
es sie im Schrank meiner Tochter gibt, Dinge, die auch sie mag. Da waren
sogar typische kleine Zettelchen und das gleiche Display auf dem Handy.
Als ich in das Tagebuch des Mädchens schauen musste, um Details zur
Identifikation zu finden, fing ich an zu weinen. Ich kam mir vor, als ob
ich in den allerpersönlichsten Dingen der jungen fröhlichen Mädchen
wühlte, die ihr Leben auf meinem Tisch beendeten. Am nächsten Tag sahen
wir die Gesichter in der Zeitung und lasen die Geschichten, die sich
hinter den Namen verbargen. Das hat uns fertig gemacht.
Der seelische Druck erreichte seinen
Höhepunkt nach den Anschlägen im Park-Hotel in Netanya und im Restaurant
Matsa in Haifa. Ganze Familien kamen in Leichensäcken hierher. Es tat
weh, zu sehen, dass Vater, Mutter, Sohn und Tochter im gleichen
Operationssaal liegen. Das war einfach zu tragisch. Ich habe mich
bemüht, sie zu trennen und die Leichen auf die verschiedenen Räume
verteilt. Am Ende mussten wir die Säcke mit den Körperteilen öffnen, um
zu sehen, wem was fehlt. Dem Kind das Gesicht anbringen, dem Vater die
Beine.
Und draussen warteten auf uns wie immer
Familien, die vor Schmerz verrückt wurden. Ich versuchte das ästhetisch
maximal Mögliche an den Leichen zu tun, damit ihnen die Identifizierung
gefühlsmässig so leicht wie möglich fällt. Ich habe die verletzten
Gesichter geschminkt, Risse genäht, Brüche geklebt. Darin habe ich viel
Zeit investiert. Danach habe ich die Leichen in drei Laken eingewickelt.
Eins für den Tisch, das zweite für die fehlenden Körperteile und das
dritte, das von oben alles gut abdeckt.
Und dann habe ich die Eltern
hereingerufen. Ein Paar hat mich ganz besonders schlimm berührt. Sie
waren ein altes Elternpaar. Sie erzählten, dass sie lange verheiratet
seien und viele Jahre lang keine Kinder bekommen konnten. Erst als sie
Ende vierzig waren, bekamen sie einen Sohn, der bei dem Anschlag ums
Leben kam. Seine Leiche war vollständig erhalten und sie sagten zu ihm:
“Steh auf, wach auf, du bist so schön”. Sie riefen seinen Namen und
weinten schrecklich und herzaufweichend. Nachher gab es schreckliche
Schreie. Und ich, obwohl ich immer dachte, dass es niemanden gibt, der
abgebrühter und erfahrener ist als ich, erstickte vor Tränen. Ich konnte
das nicht mehr aushalten”.
Auch zu ruhigen Zeiten ist die Arbeit im
Institut nicht gerade angenehm. „Meine Arbeit ist zerreibend, das
stimmt, aber wenn uns Anschläge in solch einer Geschwindigkeit täglich
heimsuchen, wie sonst jährlich, dann werden sogar die härtesten unserer
Mitarbeiter wahnsinnig. Wie kann man mit Wein- und Schreikrämpfen fertig
werden, die einem das Blut erstarren lassen? Wie kann man mit Eltern
umgehen, die ihre Kinder identifiziert haben, wenn sie ihre Köpfe bis
sie bluten an die Wand schlagen? Mit dem Versuch von Angehörigen, eine
Leiche zu umarmen, die halb leer ist, oder damit, dass sie sich weigern,
nach Hause zu gehen und ihr Kind alleine zu lassen, an diesem kalten und
beängstigenden Ort?
Ich fühle mich abgenutzt. Die Anschläge
haben mir meine seelische Verteidigungslinie, die ich mir aufgebaut
habe, seitdem ich begonnen habe, hier zu arbeiten, zerstört. Nach dem
Anschlag im Restaurant “Matsa” vor anderthalb Monaten, bin ich nach
Hause gefahren. Es war drei Uhr morgens. Meine Tochter schlief noch. Ich
sass neben ihrem Bett und brach in Tränen aus. Ich konnte sie einfach
nicht verlassen”.
Viele Jahre schon haben die Mitarbeiter
des Instituts für Gerichtsmedizin mit der heiligen Tätigkeit der
Identifikation und Operation von Leichen zu tun, und mit der Hilfe für
die Familien der Ermordeten. Aber die schweren Bombenanschläge während
der Intifada, besonders jene, die zur Operation Schutzschild führten,
zerrissen sie und brachten ihre seelischen Kräfte zum Zusammenbruch.
Die meisten der Mitarbeiter litten im
letzten Jahr nachts an schweren Albträumen und Angstzuständen. Während
der verhältnismässigen Ruhe, die derzeit herrscht, beginnt alles
aufzubrechen und herauszukommen. Die Mitarbeiter verarbeiten die
Schrecken, die sie verinnerlicht haben, und die Leitung des Instituts
gibt ihnen seelische Unterstützung und psychologische Hilfe. Dazu gehört
ein Sozialarbeiter mit Vollzeitjob, der derzeit die Arbeitsabläufe im
Institut erlernt, jeden Mitarbeiter persönlich trifft und mit ihm ein
persönliches, psychologisches Programm entwirft. Soweit es notwendig
ist, stellt das Krankenhaus ‘Abarbanel’ gleichzeitig Hilfe in einem
breiteren Rahmen zur Verfügung. Die Hilfe umfasst Gruppengespräche,
geschlossene und persönliche Gespräche, sowie Erholungswochenenden in
verschiedenen Hotels.
Yona Tannebaum, die
Administrationsleiterin des Instituts:”Der Moment, in dem ich zerbrach,
war, als eine Mutter, die ihr Kind identifiziert hatte, nicht gehen
wollte. Halb bewusstlos lag sie auf dem Rasen. Wir sagten ihr, sie solle
nach Hause gehen, in das Zimmer des Kindes, seine Kleidung umarmen und
seinen Geruch spüren, der noch übrig ist. Und dort würde sie ihn
wirklich fühlen.
Sie ging nach Hause und auch ich. Ich
begann an Albträumen zu leiden. Seitdem habe ich schreckliche Albträume,
die nicht aufhören. Ich habe drei Kinder. Der jüngste ist Soldat bei der
Armee, dient bei der Einheit Golani und ich mache mir schreckliche
Sorgen um ihn. Unzählige Male geht mir die folgende Szene durch den
Kopf. Es gibt Anschläge und Tote, die hierher kommen und meine Kinder,
möge Gott es verhindern, sind darunter.
Ich versuche, die Familien zu trösten und
die ganze Zeit habe ich Angst davor, dass ich eines Tages an ihrer
Stelle stehen werde. Dann versuche ich sofort,die Angst aus meinem Kopf
zu verdrängen und schaffe es nicht”.
Prof. Yehuda Hiss, Leiter des Instituts:
“Nach besonders schweren Anschlägen packt mich Bulämie. Ich komme um
zwei Uhr nachts nach Hause, nach einem schrecklichen Anschlag. Alle
schlafen und ich renne an den Kühlschrank, falle über die Lebensmittel
her und stoppfe Süsses ich mich hinein. Bei solch einem Anfall bin ich
in der Lage ein ganzes Kilo Schokolade oder einen halben Kuchen zu
verdrücken. Und das ist eigenartig. Denn ich bin schon 56, ich habe
gelernt zu differenzieren. Schon vor langem habe ich eingesehen, dass
ich nicht nach Hause gehen und all die Toten der Anschläge auf dem
Rücken tragen kann. Ich halte auch strenge Diät und übe jeden Tag Sport.
Aber in besonders schweren Fällen, etwa einmal im Monat, bringt der
Schmerz der Familien auch mich zum Zusammenbruch.”
Der Ablauf der Identifizierung bei
schweren Anschlagsfällen im Institut für Gerichtsmedizin ist festgelegt
und fachbezogen. Die Leichen kommen in Leichensäcken zu uns, in
Krankenwagen, direkt vom Ort, an dem sich der Anschlag ereignet hat. Die
Ärzte des Instituts nehmen sie entgegen, mit Hilfe einer medizinischen
Sekretärin wird ihr Zustand bestimmt, und man sucht soviele Anzeichen
wie möglich, die es später ermöglichen, sie zu identifizieren.
Tannebaum: “Sofort, wenn die Medien über
einen Anschlag berichten, beginnen Familien uns anzurufen und uns
Details mitzuteilen. Die Informationen werden gesammelt und in besondere
Formulare eingetragen. Diese Formulare vergleiche ich mit den
Formularen, welche der Arzt und die medizinische Sekretärin im
Operationssaal ausfüllen. Gibt es eine Übereinstimmung, benachrichtige
ich das Personal, dass die Familien zur Identifizierung gerufen werden
müssen.
Wir überprüfen alles. Augenfarbe,
Haarfarbe, hervorstehende Zähne, fehlende Zähne, Zahnfärbung,
Operationsnarben, Tätowierungen natürlich, Kleidung und besonderen
Schmuck. Selten kommt es vor, dass es keine übereinstimmenden Merkmale
gibt, und der Vermisste nicht zu uns gekommen ist. Dann herrscht grosse
Freude. Ich benachrichtige die Familien und sie sind ausser sich vor
Glück. Segnen mich und sagen mir: ‘Alles Gute, mögest du keine solch
schweren Nachrichten mehr überbringen müssen.’ Einige brechen vor
Erleichterung in Tränen aus. Aber in den meisten Fällen ist die
Identifizierung eindeutig. Und dann muss ich die Mitteilung machen, dass
der Verstorbene sich bei uns befindet. Man kann sich nicht vorstellen,
wie schwierig das ist. Ich richte den Familien die Mitteilung aus und
weine mit ihnen gemeinsam.
Rachel Scheindel, medizinische Sekretärin
im Institut:”Ich empfinde meine Arbeit als eine heilige Mission, aber an
den Tagen, an denen sich schwere Anschläge ereignen, kann selbst das
Gefühl einer Mission die seelische Mühe nicht erleichtern. Es herrscht
schreckliche Panik. Die Medien, Polizei, geschockte Familienangehörige,
Krankenwagen, Sozialarbeiter und Zahnärzte. Und dann kommen die Leichen.
Bei dem Anschlag auf das Dolphinarium brachte man uns junge Mädchen mit
Piercings, Platteau-Schuhen und einem Lächeln im Gesicht, genau wie
meine Toechter. Sie waren noch warm. Sie hatten weit geöffnete Wunden im
Gesicht und an den Beinen. Und alle waren sie so schön. Und tot. Am
Morgen sah ich ihre Gesichter in der Zeitung. Ich verglich das mit dem,
was zu uns kam und war schockiert
“Zu Zeiten der Anschläge ist der
Operationssaal ein entsetzlicher Schauplatz. Kleider- und Körperteile in
jeder Ecke. Wir schreiben jedes Detail nieder, sogar die Art des
Nagellacks oder besondere Schuhe. Nach einem der Anschläge kam zu uns
ein junger Mann mit einer Tätowierung und darüber war sein Name. Das war
der Erste, der identifiziert wurde. Dann war da noch ein Mann mit
ungewöhnlich starker Brustbehaarung. Ich suchte ihn auf den
Übereinstimmungsformularen der Familien. Und plötzlich sah ich ein Foto
von ihm am Strand, das seine Familie gebracht hatte, mit derselben
Haarmenge. Ich verstand, dass es doch eine Übereinstimmung gibt.
Es gab einen Fall mit einem zweijährigen
Mädchen, das zu uns gebracht wurde. Der Körper war vollständig erhalten.
Nur ein kleiner Splitter, keine Verletzungen. Die Mutter weinte so sehr,
dass sie am Ende in Ohnmacht fiel. Eine andere Mutter, die eines Sohnes,
begann zu schreien: ‘Ich hab ihn vor dem Shabat zum Supermarkt
geschickt. Wenn ich ihn nicht geschickt hätte, hätte ich ihn vielleicht
gerettet.’ Die Situation ist manchmal unerträglich. Auch wir sind nur
Menschen und die Zustände, denen wir ausgesetzt sind, sind unmenschlich.
Nach der Beschreibung der Leichen, kommen alle Sekretärinnen zu mir ins
Büro und sagen immer das gleiche: ‘Dieses Mal war es am schlimmsten.’
Sie können sich niemals daran gewöhnen.”
“Wie beeinflusst Sie das in ihrer
Freizeit?”
“Ich komme am Abend nach Hause, gehe
unter die Dusche und wasche mich eine volle Stunde. Wasche die gesamte
Kleidung, jedes Bisschen. Als ob ich von irgendeinem schlimmen Ort
gekommen wäre, von dem man keine Zeichen mehr erkennen darf.. Danach
sitze ich vor dem Fernseher und ich bin einfach nicht in der Lage die
Bilder der Anschläge zu sehen. Davon hatte ich genug auf der Arbeit.
Manchmal kommen mir plötzlich Gesichter in den Sinn oder Körperteile und
ich versuche, davor wegzulaufen.
Nachts, zwischen den Träumen, leide ich
unter Angstzustäenden. Ich habe Angst davor, dass jemand von meinen
Nächsten und Angehörigen verletzt werden könnte. Vielleicht bin ich
deshalb eine etwas hysterische Mutter. Meine Kinder sagen, ich sei eine
nervende Mutter.”
“Hilft Ihnen die psychologische
Behandlung?”
“Wir haben damit erst begonnen, aber ich
hoffe mit dieser Hilfe etwas Abstand zu gewinnen, zu erzählen und zu
sprechen. Zuhause bin ich nicht bereit, über die Arbeit zu erzählen, und
auf der Arbeit ist es unmöglich, sich mit den seelischen Problemen zu
beschäftigen. Im Moment herrscht eine gewisse Ruhepause, aber alle im
Institut sind sich sicher, dass, sollte eine neue Welle von Anschlägen
kommen, wie die letzte, dann werden wir alle ohne seelische
Unterstützung, einfach verrückt werden.”
Nachdem die Identifizierung und Anpassung
der Leichen an die Namen der Vermissten abgeschlossen ist, ruft Prof.
Yehuda Hiss, der Leiter des Instituts, die Familien zu einem
persönlichen Gespräch zu sich. Danach begleitet er sie in den Raum, wo
die Identifizierung stattfindet.
“Ich habe eine aussergewöhnliche Aufgabe
in der Hausmedizin übernommen, die Gespräche mit den Familien”, sagt
Hiss. “In Normalfällen spricht der Gerichtsmediziner nicht mit den
Familien. Für ihn ist die Tätigkeit nach der Untersuchung und der
Operation beendet und er überlässt die Behandlung der Familien den
Sozialarbeitern. Ich habe mich entschieden, den Familien soviel wie
möglich über den Tod ihrer Lieben zu erzählen und sie quasi an der Hand
zu nehmen.
Ich habe versucht, eine Art Modell
aufzubauen, das mir hilft, zu verstehen, auf welche Art und Weise ich
solch einer Familie zu begegnen habe. Schliesslich kenne ich sie ja
nicht, muss ihnen aber eine unglaublich schreckliche Mitteilung machen.
Nicht einmal der Teufel hätte sich so was Schlimmes ausdenken können.
Wie macht man so etwas? Ich finde, man muss ihnen etwas über den
Anschlag und die Identifizierung erklären. In dieser Zeit beginnen sie,
das Unglück zu verarbeiten. Mit jeder einzelnen Familie treffe ich mich
zum Gespräch, halte einen kleinen Vortrag und bin beeindruckt von der
Geduld, die sie für mich haben. Manchmal denke ich, dass dies aus
Achtung vor dem Menschen geschieht, der ihre Lieben das letzte Mal
berührt hat, dem Mann, der ihnen das Leichentuch über den Kopf gezogen
hat. Oder vielleicht ist das ihre Art, sich mit der Nachricht vertraut
zu machen. Aber ich sehe, dass es hilft.”
“Wie reagieren die Familien?”
“Die Reaktionen überraschen mich immer
wieder. Ich denke immer, sollte jemand aus meiner Familie verletzt
werden, wäre ich auf die ganze Welt wütend. Ich würde mich bei Gott, dem
Staat, der Regierung, den Palästinensern beschweren. Und trotzdem
verhalten sich 90 Prozent der Familien von bei Anschlägen Getöteten
einfach vorbildlich. Sie sagen Dinge wie:’Wir sind zu einem Teil der
Statistik geworden’, oder ‘wir verstehen, dass jetzt wir an der Reihe
sind’. Alle sind schrecklich ruhig und ihre Ruhe ist sehr beängstigend.
Nach meiner Erklärung gehen wir die
Leiche identifizieren. Und obwohl ich ihnen rate, ihre Lieben so in
Erinnerung zu behalten, wie sie im Leben waren, schön und vollständig,
verlangen die meisten den Toten in seinem jetzigen Zustand zu sehen. Sie
verlangen hartnäckig danach, eine Hand oder einen Fuss zu streicheln,
sogar Haare. Psychologen sagen, dass das gut sei. Das sei eine Art sich
zu verabschieden.
Am schlimmsten ist es mit Kindern. Bis
heute waren die zerrissenen Leichen, die wir bekamen, das Ergebnis von
Kriegen oder schweren Verkehrsunfaellen. Die meisten der Leichen in
solchem Zustand waren die von Soldaten. Trotz allem hat man uns
beigebracht, dass es im Krieg Tote gibt, und ein Soldat, der auf dem
Feld getötet wird, dessen Körper bleibt normalerweise nicht ganz. Doch
plötzlich, seit diesen Anschlägen, bekommen wir Frauen, Babys und kleine
Kinder mit schrecklichen Verletzungen. Ein Vater kam hierher um seine
kleine Tochter zu identifizieren. Ihr Körper war nicht mehr ganz
vollständig, also liessen wir nur ihre Hände und Füsse herausschauen.
Doch der Vater wollte unbedingt das Laken hochheben und sie küssen. Er
entdeckte, dass das halbe Laken leer war und trotzdem hat er sie umarmt
und geküsst. Ich verstehe nicht, wie das menschliche Gehirn in der Lage
ist so etwas Fürchterliches zu sehen und nicht den Verstand zu
verlieren.
hagalil.com / 14-06-02
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