
Auszug aus dem
Kabinettssaal
Die Arbeitspartei unter Außenminister Peres ist mit Scharons hartem Kurs
nicht einverstanden
Von Thorsten
Schmitz
Der israelische Außenminister
Schimon Peres sei, so schrieb die amerikanische Zeitschrift New Yorker
kürzlich in einer großen Reportage, "vermutlich der einzig verbliebene
Optimist im Nahen Osten". Wie um diesem Ruf gerecht zu werden, äußerte
sich Peres am Dienstag bei einem Blitzbesuch im rumänischen Bukarest zu
Intifada und israelischen Militärschlägen so: "Ich bin zuversichtlich,
was die Zukunft des Nahen Ostens betrifft." Wie die aussehen soll,
vermag offenbar selbst Peres nicht zu sagen. Denn die Kluft zwischen
ihm, dem linken Arbeitspartei- Minister, und dem rechten Regierungschef
Ariel Scharon wird von Stunde zu Stunde größer. Schon sprechen
israelische Medien von einer "schweren Regierungskrise".
Kurz vor seinem Abflug nach
Bukarest zu einer Konferenz der Organisation über Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ließ der Außenminister eine Erklärung
veröffentlichen, laut der er nun plötzlich einen Austritt aus der
Koalition erwägt. Bislang hatte der 78 Jahre alte
Friedensnobelpreisträger gegenüber parteiinternen Kritikern seinen
Verbleib in der Regierung Scharon immer verteidigt. Solange er eine
Chance sehe, zusammen mit den Palästinensern ein Ende der Intifada
herbeizuführen, werde er mit Scharon regieren.
Als jedoch Montagnacht die
Mehrheit der 28 Minister in der Sondersitzung über die Terroranschläge
vom Wochenende die palästinensische Autonomiebehörde als eine den
Terrorismus unterstützende Einheit definierte und Militärschläge
absegnete, verließ Peres nach einer hitzigen sechsstündigen Debatte den
Raum. Er hatte zuvor Scharon eindringlich gebeten, die Abstimmung um
eine Woche zu verschieben. Als Scharon dies verweigerte, ging Peres und
mit ihm sieben weitere Minister der Arbeitspartei. Wenig später ließ
Peres verbreiten, die Maßnahmen der Regierung Scharon zielten darauf ab,
die Autonomiebehörde zu zerstören. Peres jedoch ist bereit – im
Gegensatz zu Scharon –, Palästinenserpräsident Jassir Arafat noch eine
allerletzte Chance einzuräumen, Terroristen und ihre Sympathisanten
festzunehmen und vor Gericht zu stellen.
Kurz nach den ersten israelischen
Raketenangriffen auf Arafats Hubschrauberlandeplatz in Gaza am Montag
erhielt Peres einen Telefonanruf des palästinensischen Sicherheitschefs
Mohamed Dachlan. Der bat den Außenminister inständig, Israel möge der
Autonomiebehörde eine "Gnadenfrist" von vier Tagen einräumen und es bei
der symbolhaften Zerstörung von Arafats Hubschraubern belassen. Nur dann
sei die Autonomiebehörde in der Lage, palästinensische Terroristen von
Hamas und Islamischem Dschihad festzunehmen.
Peres war eigenen Angaben zufolge
gewillt, den Palästinensern diesen Aufschub zu gewähren, Scharon jedoch
lehnte das Ansinnen ab. Scharon steht unter enormem Druck seiner rechten
und ultrarechten Koalitionspartner, die Autonomiebehörde zu bekämpfen.
Sie drohen mit ihrem kollektiven Auszug aus der Koalition.
Dennoch wäre ein Rücktritt aller
Arbeitspartei-Minister schädlich für Scharons internationales Ansehen.
Peres genießt weltweit einen sehr guten Ruf und verfügt über
hervorragende Kontakte zu allen westlichen Staatschefs. Scharon ist
insofern auf Peres angewiesen, als dieser seiner rechten Regierung das
Hardliner-Image nimmt. Rein zahlenmäßig könnte Scharon hingegen einen
Auszug der Arbeitspartei aus seiner großen Koalition verschmerzen: Die
Regierung verfügte noch immer über die absolute Mehrheit im Parlament,
der Knesset.
Obwohl Peres nun mit einem Auszug
droht, wird seine Arbeitspartei "Awoda" auf ihrer außerordentlichen
Sitzung am heutigen Mittwoch wahrscheinlich den Verbleib in der
Regierung beschließen. Denn im Gegensatz zu Peres, der seinerzeit als
Premierminister zusammen mit Arafat den Friedensnobelpreis erhalten hat
und stets für eine Mischung aus militärischen Schlägen und politischen
Gesprächen optiert, wollen Kollegen aus der Arbeitspartei wie
Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser lieber im Amt bleiben. Auch
Verkehrsminister Efraim Sneh, der in der Vorgängerregierung unter Ehud
Barak als stellvertretender Verteidigungsminister amtierte und in der
Nacht zum Dienstag gegen die Mehrheit im Kabinett stimmte, hält den
Regierungssessel für wichtiger als die Oppositionsbank.
Ohnehin sind seit der herben
Niederlage der Arbeitspartei bei den Neuwahlen zum Premierminister im
Februar dieses Jahres die meisten in der Partei überzeugt, dass die
"Awoda" auf Jahre hinaus ihre Chancen auf eine Mehrheit im Land
verspielt hat. Denn obwohl Scharon bislang sein Wahlversprechen von mehr
Sicherheit und Schutz für alle Bürger nicht eingelöst hat, erzielt er
glänzende Umfrageergebnisse: Mehr als 60 Prozent der Israelis
unterstützen den Regierungschef.
haGalil onLine
05-12-2001 |