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Wegen Alpträumen macht er sich keine Sorgen

Haaretz vom 02.04.2002, von Yam Yehoshua

Mit welchen Folgen muss man im Leben eines Jungen rechnen, der bei einem Terroranschlag schwer verletzt wurde, in welchem zwei seiner besten Freunde getötet wurden, und dem man 100 % Invalidität bescheinigt: Alpträume, psychologische Behandlungen, zerstörte Kindheitsträume, Angst vor öffentlichen Plätzen?

Möglich, aber der 14jährige Shai Unger, der vor einem Jahr bei einem Terroranschlag auf dem Parkplatz einer Tankstelle in der Nähe von Sdeh Hemed lebensgefährlich verletzt wurde, passt nicht in dieses Schema. Er hat keine Alpträume, er hat kein Interesse daran, sich von Psychologen betreuen zu lassen, seine Kindheitsträume sind infolge des Terroranschlags nur noch stärker geworden, und er liebt es, sich an öffentlichen Plätzen aufzuhalten. „Ich kann nicht erklären, von woher ich meine emotionalen Kräfte habe,“ sagt er, „aber anscheinend bin ich sehr widerstandsfähig.“

Seine Mutter Deborah war überrascht, als sie verstand, dass er keine Psychotherapie wünschte; sogar die Krankenhauspsychologen sagten ihr, dass er in einer guten emotionalen Verfassung sei. „Shai spricht viel über den Terroranschlag – obwohl er vor dem Anschlag sehr introvertiert war. Wir setzten uns nicht hin und weinten viel, sondern wir ermutigten ihn, sein weiteres Leben in Angriff zu nehmen.“

Die Wahrheit ist, dass die Familie auf Alptraumszenarien gefasst war, gesteht Shais Mutter ein. Jedoch, betont sie, „als er vom Krankenhaus nach Hause kam, konnte er in der ersten Nacht problemlos einschlafen. Im allgemeinen hat er seit dem Terroranschlag keine Einschlafprobleme. Diese Tatsache überraschte uns zuerst. Die einzige Veränderung, die wir erkennen können, ist die, dass Shai früher mit geschlossener Zimmertür geschlafen hat und jetzt schläft er lieber mit geöffneter Tür.“

Trotzdem, Shai bekennt, „manchmal machen mich Feuerwerkskörper nervös. Sie machen mir Angst. Wenn ich einen solchen Knaller höre, habe ich peinigende, angstmachende Gedanken, die mich zu dem Ereignis vor einem Jahr zurückbringen.“

Das Leben war nicht einfach für Shai seit dem Terroranschlag, und er ist auch nicht den Herausforderungen ausgewichen, die sich ihm seit diesem Ereignis stellten. Im Krankenhaus musste er zuerst verstehen, dass zwei seiner besten Freunde bei dem Anschlag ums Leben kamen: Naftali Lanzkorn und Eliran Rosenberg-Sayat. Ein Krankenhauspsychologe sagte es ihm. „Ich nahm die Nachricht so auf, wie jeder das tun würde. Ich weinte natürlich. Die beiden waren sehr gute Freunde. Wir redeten immer über alle möglichen persönlichen Dinge und wir lachten viel. Es war wirklich toll, mit ihnen zusammen zu sein. Wir erzählten uns dauernd Witze – das war die Hauptsache, wenn wir zusammen waren.“

Shai gab sich nicht mit der Nachricht vom Tod seiner Freunde allein zufrieden. Er wollte genau wissen, wie sie starben. „Ich ging und fragte die Leute danach, auf welche Weise meine Freunde gestorben waren. Aber niemand wollte es mir sagen,“ erinnert er sich. „Dann, als ich in die chirurgische Abteilung verlegt wurde, kam jemand von den anderen, die bei dem Anschlag verletzt wurden, (jemand, dessen Verletzung ein traumatischer Schock war) an mein Bett, und erzählte mir, dass Naftalis ganzer Brustkorb aufgerissen und seine Rippen komplett aus seinem Körper herausgerissen wurden, und das war der Grund warum er starb. Trotzdem konnte ich nichts herausfinden über die Ursache, an der Eliran starb.“

Vor anderthalb Monaten erhielt Shai eine weitere Horrornachricht. Ein guter Freund von ihm, Nehemia Amar, starb bei dem Terroranschlag auf das Karnei Shomron Einkaufscenter. „Es ist wirklich traurig, Freunde zu verlieren, wenn man noch ein Kind ist,“ stellt er fest.

„Trotzdem, jetzt, wo es fast jeden Tag irgendeinen Terroranschlag gibt, befinden wir uns inmitten eines Krieges. Warum wurden meine Freunde getötet, während ich am Leben blieb? Ich denke nicht darüber nach. Das war Gottes Wille und ich stelle keine Fragen. Übrigens, was mir passiert ist, war nicht einfach, dass ich Glück gehabt hätte. Es war ein Wunder,“ sagt er.

„Was ich erlebt habe, macht mir keine Angst. Im Gegenteil, ich fürchte mich nicht, an öffentlichen Plätzen zu sein. Ich genieße es tatsächlich, solche Orte zu besuchen. Außerdem wird mir niemand sagen, wohin ich gehen und was ich tun darf. Wenn es sich zufällig ergeben würde, könnte ich mir sogar vorstellen, die Tankstelle zu besuchen, wo der Terroranschlag stattgefunden hat.“

Der Arm ist noch dran

Am 28. März 2001 sprengte sich ein Selbstmordattentäter auf dem Parkplatz einer Tankstelle bei Sdeh Hemed, nicht weit von der West Bank Stadt Qalqilya in die Luft. Viele Menschen standen an diesem Morgen auf dem Parkplatz, die auf den gepanzerten kugelsicheren Bus warteten, der sie zur Bnei Hayil Jeshiva in Kedumim in Samaria bringen sollte. Einer von ihnen war Shai Unger, damals 13 ½ Jahre alt. Er war zusammen mit fünf seiner besten Freunde, die gemeinsam mit ihm diese Jeshiva besuchten.

„Wir standen eng beieinander,“ erinnert er sich. „Wir warteten auf unseren Bus, standen einfach da und redeten. Nach einigen Minuten tauchte ein Terrorist auf und stand einen Meter von uns entfernt. Er sagte in arabischem Akzent: ‚Sag mir was in diesem Moment.’ Und dann sprengte er sich in die Luft.“

Shai wurde einige Meter weggeschleudert. Für eine kurze Zeit verlor er das Bewusstsein. Als er wieder zu Bewusstsein kam, richtete er sich auf und begann mit einer persönlichen Schadensbewertung: „Ich schaute auf meine Arme, und ich sah, dass mein rechter Arm abgerissen war. Er hing zwar noch an meinem Körper, aber wie an einem Faden: nur die Hauptschlagader war noch mit dem Arm verbunden. Die Haut an meinen Händen fehlte und ich konnte meine Knochen und Blutgefäße sehen. Ich war entsetzt, aber ich verstand ganz genau, was passiert war.“

Später, im Traumazimmer des Beilinson Krankenhauses in Petach Tikwa, lernte er, dass sein Zustand noch viel schlimmer gewesen war, als er im ersten Moment gedacht hatte: zwei Nägel, die aus dem Sprengsatz des Terroristen geschleudert worden waren, waren in Shais Körper eingedrungen, und befanden sich sehr nahe an seinem Herzen. Sein Körper, von den Oberschenkeln bis zum Kopf, war voller Metallfragmente, und ein Loch in seinem Brustkorb behinderte die Lungenfunktion. Sein Zustand wurde als kritisch eingestuft. Seine Freunde von der zionistischen Jugendbewegung Bnei Akiva beteten im Foyer des Krankenhauses um sein Überleben.

Shai wurde einer Notfalloperation unterzogen, und die dauerte acht Stunden. Dann wurde er in die Intensivstation der Schneider Kinderklinik in Petach Tikwa verlegt, wo er für fünf Tage mit Morphium betäubt wurde, weil die Ärzte glaubten, er würde die Schmerzen der Behandlung nicht ertragen können, die das Einbringen von Metallplatten in den Körper und Hauttransplantationen beinhaltete.

„Als Shai wieder zu Bewusstsein kam, und in die chirurgische Abteilung verlegt wurde, schaute er mich an, und mit Tränen in den Augen fragte er mich: ‚Mami, weißt Du, was mir passiert ist?’, erinnert sich seine Mutter Debora. Obwohl er so lange durch Narkose ruhiggestellt war, erinnerte er sich an alles und fragte nach seinem Arm. Darum zog ich die Bettdecke zurück, damit er sehen konnte, dass sein Arm noch immer dran war.“

Viele Gute Dinge sind mir geblieben

Als Shai aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte er beide Arme in Gips. Heute hat er Schwierigkeiten, den Zeigefinger und den Daumen der rechten Hand zu bewegen. Außerdem ist sein ganzer rechter Arm noch immer sehr schwach. Es ist vorgesehen, dass er sich in Kürze einer weiteren Operation unterzieht, um einige Schäden zu beheben, die er sich bei dem Anschlag zugezogen hat.

Heute kann er schon vieles tun, was er direkt nach dem Terroranschlag noch nicht konnte – wie z.B. seine Schnürsenkel binden. Nicht immer war ihm die Hilfe seiner Familie recht: seiner Mutter Deborah, seines Vaters Roberto, seiner älteren Schwester und der jüngeren Zwillingsschwestern. Der Grund dafür ist sein übermächtiger Wunsch unabhängig zu sein.

„Zuerst dachte ich, mein Leben sei ruiniert,“ erinnert er sich. „Ich betrachtete meine Lage und ich hörte von meinen Freunden, die getötet worden waren, ermordet. Jedenfalls begann ich nach einer Weile zu verstehen, dass mir noch viele gute Dinge im Leben geblieben sind. Gute Freunde, ich meine wirklich gute Freunde, besuchten mich zu Hause und begannen mich zu ermutigen. Langsam begann ich wieder mit der Schule. Anfangs hatte ich einen Hauslehrer, der mir vom Bildungsministerium geschickt wurde. Dieser Lehrer half mir in Mathematik.

Danach besuchte ich wieder die Schule (und zwar die Kfar Ganim Jeshiva in Petach Tikwa, weil seine medizinische Behandlung es erforderte, dass er in Petach Tikwa blieb), obwohl ich es eigentlich nicht wirklich wollte. Niemand lernt gerne, und ich besuche die Jeshiva nur, weil meine Freunde dort sind. Am Morgen habe ich Physiotherapie, und ich muss Schulstunden ausfallen lassen, daher könnte ich sagen: ‚Ich habe einen guten Tausch gemacht. Vor dem Anschlag war ich es gewohnt, mit der rechten Hand zu schreiben; jetzt muss ich die linke benutzen, was viel schwieriger ist. Jedoch abgesehen von den Einschränkungen durch meine Arme ist eigentlich alles ganz prima.

Am Anfang war es seltsam und fremd, zurück zur Schule zu kommen. Meine Verletzung war etwas neues für meine Schulkameraden, und ich hatte das Gefühl, alle würden mich bemitleiden. Wenn ich versuchte, etwas zu tun, sprang jeder auf, um mir zu helfen. Eines Tages versuchte ich, irgendeinen Behälter zu öffnen, und sofort sagte jeder ‚Hier, lass mich das machen.’ Das ging mir wirklich auf die Nerven, denn ich möchte meine Sachen selbst machen.“

Trotzdem hat er mit gewissen körperlichen Einschränkungen zu kämpfen. „Richtig, ich kann nicht Basketball spielen, Tischtennis oder Tennis. Daher spiele ich Fußball. Manchmal, wenn wir Fassadenklettern machen, muss ich an der Seite stehen, denn das ist einfach zu gefährlich für mich.“

Und was ist mit den positiven Seiten der Dinge? „Das beste, was mir infolge des Terroranschlags passierte, ist die Publicity,“ sagt er. „Berühmt zu sein ist der Traum eines jeden Kindes. Außerdem weiß ich, was ich einmal werden möchte, wenn ich groß bin. Ich will Sanitäter werden. Ich denke, es ist etwas großartiges, in medizinische Arbeit eingebunden zu sein und anderen zu helfen. Daher, wenn ich zur Armee gehen werde, möchte ich zu einer Sanitätstruppe. Und wenn die Armee mich wegen meiner Verletzung in der Tauglichkeit herunterstuft, werde ich für diese Entscheidung kämpfen. Wenn dann die Armee noch immer ablehnt, werde ich Fußballspieler werden.“

haGalil onLine 05-04-2002

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