
Anschläge in Ostafrika:
Die Angst ist überall
Kenia war Urlaubsziel für Israelis, die sich
vom gefährlichen Alltag im eigenen Land erholen wollten/Mossad hatte
Informationen über drohende Anschläge
Von Thorsten Schmitz
Die seit mehr als zwei Jahren andauernde Intifada hat dem
israelischen Tourismussektor schwer geschadet. Die Zahl der Israel-Reisenden ist
drastisch zurückgegangen, Hotels schließen, Fluggesellschaften haben
Verbindungen nach Tel Aviv gestrichen oder stark reduziert. Dagegen suchen immer
mehr Israelis Entspannung vom gefährlichen Alltag ihrer Heimat in den USA, in
Europa – oder in Afrika. In den vergangenen Monaten haben sich Charterreisen an
die Küste und ins Landesinnere Kenias als Renner erwiesen. Für 275 Dollar Flug
inklusive eine Woche Halbpension genießen auch weniger vermögende Israelis den
Osten Afrikas. Die Maschinen der Charterfluggesellschaft "Arkia" nach Mombasa
sind stets ausgebucht.
Das dürfte sich nach dem Doppelanschlag vom Donnerstag ändern. Im
israelischen Rundfunk sprach man unter Anspielung auf den Namen des attackierten
Hotels in Mombasa vom "Tod im Paradies". Eine israelische Touristin schilderte
in einem Interview ihr schreckliches Erlebnis: "Wir waren gerade beim Einchecken
im Hotel und hatten uns auf eine ruhige Woche ohne Anschläge gefreut, da kam es
zur Explosion, und alles um uns herum brannte. Wir sind um unser Leben gerannt,
anstatt Urlaub zu machen." Bis zum frühen Abend sollten die verbliebenen
Israelis aus dem Ferienhotel, das einem israelischen Unternehmer gehört, nach
Hause geflogen werden.
Die beiden Hauptfernsehsender Israels berichteten laufend über
den Anschlag auf das Hotel, bei dem neben den Attentätern und sechs
afrikanischen Tänzern, die die Neuankömmlinge begrüßen wollten, zwei Kinder und
ein Erwachsener getötet wurden. Hotelgäste berichteten von Panik und Chaos unter
den Reisenden. Ein israelischer Arzt, der im "Paradise"-Hotel seinen Urlaub
beginnen wollte, sagte, er habe drei Israelis mit schweren Kopf- und Brustwunden
notversorgt, bis Sanitäter die insgesamt 18 verletzten Israelis in Krankenhäuser
gebracht hätten. Dort würden sie inzwischen, meldete das israelische Fernsehen,
vom Leibarzt des kenianischen Präsidenten behandelt.
Der internationale Flughafen Ben-Gurion in Tel Aviv untersagte
nach Bekanntwerden der Anschläge für zwei Stunden die Landung von Flugzeugen der
nationalen Airline ElAl. Am Mittag dann landete Arkia-Flug 582 aus Mombasa, jene
Boeing 757, die beim Start nur knapp dem Raketenanschlag entgangen war. Der
Pilot hatte sich für eine Fortsetzung des Steigflugs in Mombasa entschieden,
nachdem die Geschosse ihr Ziel verfehlt hatten. Er war, so die Information der
Medien, zunächst von einem Vogelschwarm ausgegangen, der die Route des Flugzeugs
gekreuzt habe. Die 261 Passagiere wurden bis kurz vor der Landung im Unklaren
über die Anschläge gelassen. Erst als das Arkia-Flugzeug israelischen Luftraum
erreichte und von einer Militärmaschine begleitet wurde, informierte der Pilot
die Passagiere. Am Flughafen fielen sich Verwandte weinend in die Arme, vielen
Passagieren stand der Schrecken im Gesicht. Verteidigungsminister Schaul Mofaz
entsandte ein Militärflugzeug mit Ärzten nach Mombasa, um die dort verletzten
Israelis zu behandeln und transportfähig zu machen.
Außer Frage stand in allen Analysen israelischer Terrorexperten,
dass die simultanen Anschläge auf Flugzeug und Hotel in Zusammenhang mit dem
Aufstand der Palästinenser stünden und von Osama bin Ladens Terrororganisation
al-Qaida ausgeführt worden seien. Unter Berufung auf Polizeikreise in Kenia
berichtete das Fernsehen, drei arabisch aussehende Männer, darunter ersten
Erkenntnissen zufolge ein Ägypter und ein Kenianer mit muslimischem Namen, seien
mit einem Jeep in die Lobby des Hotels gerast. Die Raketen gegen die
Arkia-Maschine seien von Männern abgefeuert worden, denen eine Verbindung zu
palästinensischen Terrorgruppen wie Hamas und Islamischer Dschihad vorgeworfen
werde. Kenias Botschafter in Tel Aviv, John Sawe, sagte, er habe keinen Zweifel,
dass der doppelte Terroranschlag die Handschrift von al-Qaida trage.
In Israel wurde aber auch nicht ausgeschlossen, dass die
palästinensische Terrororganisation Hisbollah Drahtzieher der Anschläge sein
könnte. Zudem lägen den israelischen Geheimdiensten Informationen vor, wonach
islamische Terrorgruppen Anschläge auf israelische Verkehrsflugzeuge planten.
Die kenianische Zweigstelle des israelischen Geheimdienstes Mossad wurde nach
Rundfunkangaben mit Ermittlungen beauftragt.
Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums betonte, die
Anschläge hätten nicht nur Israelis gegolten, sondern seien ein Angriff auf die
westliche Zivilisation. Die internationale Staatengemeinschaft müsse den
Terrorismus gemeinsam bekämpfen. Außenminister Benjamin Netanjahu selbst
erklärte, wenn sich herausstellen sollte, dass tatsächlich Raketen auf ein
israelisches Passagierflugzeug abgefeuert worden seien, dann sei es nur noch
eine Frage der Zeit, bis auch amerikanische oder britische Maschinen zur
Zielscheibe internationaler Terrorgruppen würden.
Netanjahu hatte bei seiner Stellungnahme auch die 300000
Mitglieder seiner national-konservativen Likud-Partei im Blick, die bis
Donnerstagabend ihre Stimme für einen neuen Vorsitzenden abgeben sollten.
Premierminister Ariel Scharon hingegen verzichtete zunächst auf öffentliche
Erklärungen. Bei seiner Stimmabgabe zur innerparteilichen Wahl am frühen Morgen
nahe dem Gaza-Streifen ließ er lediglich verlauten, er werde auf dem Laufenden
gehalten. Erst am Nachmittag dann kündigte Scharon für den Abend eine
Fernsehansprache an die Nation an.

hagalil.com
29-11-02 |