Hintergrund:
Der Palästinensische Islamische Jihad
Der Palästinensische Islamische Jihad (PIL) ist
die radikalste Organisation, die in den palästinensischen Gebieten
tätig ist. Sie wurde im Jahre 1981 von zwei islamistischen
Aktivisten im Gaza-Streifen, Dr. Fathi 'Abd Al-'Aziz Shiqaqi, einem
Arzt aus Rafah, und Shaykh 'Abd Al-Aziz 'Awda, einem Prediger aus
dem Flüchtlingslager von Jabaliyya, gegründet.
Die zwei Männer studierten an der
Zaqaziq-Universität, einem Zentrum des radikalen Islamismus in
Ägypten. Beide wiesen den Ansatz der Hauptgruppe der islamischen
Bewegung, der Moslem-Bruderschaft, zur Lösung der palästinensischen
Frage zurück. Die Moslembrüder lehrten, dass sich die islamische
Welt erst dann mit Israel befassen sollte, wenn sie ihre eigenen
religiösen und spirituellen Übel durch die Rückführung der Massen
zum Islam behoben und eine Neubelebung desselben erreicht hat.
Sobald die islamische Einheit einmal hergestellt sei, werde – so
glaubten zumindest die Moslem-Brüder - Israels Zerstörung schnell
erreicht. Im Gegensatz dazu argumentierte Shiqaqi, dass Israel
bereits durch seine bloße Existenz eine Quelle der moralischen und
geistigen Korruption sei, die Moslems daran hindere, das Übel aus
ihrer Gesellschaft zu beseitigen.
Die Ideologie des Islamischen Jihad vermischt
palästinensische nationalistische Gedanken mit Ideen, die aus drei
anderen Traditionen stammen: der Ideologie der Moslem-Brüder,
Handlungsmustern der militanten islamistischen Gruppen in Ägypten
und, einzigartig in der sunnitischen Welt, den Lehren des Ayatollah
Khomeini, des schiitischen Führers der islamischen Revolution im
Iran.
Wenn man dem Islamischen Jihad folgt, wird die genaue
Lektüre des Korans und dessen Geschichtsverständnis zu dem Schluss
führen, dass Palästina der Brennpunkt der religiös-historischen
Auseinandersetzung zwischen den Moslems und ihren ewigen Feinden,
den Juden, sei. Die Moslems stellen dabei die Kräfte der Wahrheit
(haq) dar, während Juden (und Christen) die Kräfte der Apostasie
(batil) verkörpern. Im Zusammenhang dieser Auseinandersetzung sei
das palästinensische Problem das Herzstück einer westlichen
Offensive, die mit Napoleons Invasion in Ägypten im Jahre 1798
begann und im Jahre 1918 mit der Auflösung des Ottomanischen
Reiches, das für die Einheit der islamischen Weltgestanden habe,
ihren Höhepunkt erreichte. Nach dieser Ansicht sei Palästina schon
immer der Brennpunkt westlicher imperialistischer Zielsetzungen
gewesen und soll als Sprungbrett für die Einnahme anderer
moslemischer Territorien gedient haben.
Insofern die jüdische Präsenz in Palästina die
moslemische Unterlegenheit in der modernen Welt symbolisiere, kann
definiert diese Ideologie die Verpflichtung für die palästinensische
Sache nicht nur unter den engen Rahmenbedingungen des
palästinensischen Nationalismus definieren. Stattdessen ist sie ein
grundsätzlich islamisches Problem und der Schlüssel "zu jeder
ernsthaften Strategie, die auf die Befreiung und Vereinigung der
islamischen Welt abzielt". Hierin liegt die ideologische Neuerung
des Islamischen Jihad. Der Heilige Krieg (Jihad) in Palästina
beinhaltet eine Verpflichtung auf zwei mit einander verwobene Ziele:
die Befreiung Palästinas und die pan-islamische Wiederbelebung. Der
Heilige Krieg ist der einzige Weg, um Palästina zu befreien, da der
moslemische Sieg und die Zerstörung Israels durch Allahs Worte im
Koran vorherbestimmt sind.
Shiqaqi hob den Ayatollah Khomeini dafür lobend
hervor, dass er der erste moslemische Führer war, der Palästina den
ihm angemessenen Stellenwert in seiner islamischen Ideologie
verlieh. Zusätzlich dazu stellte die islamische Revolution im Iran
einen größeren Sieg im Kampf gegen westliche Versuche, den Islam aus
der Politik auszuschließen, dar und hatte auf einzigartige Weise
Erfolg damit, einen Staat ins Leben zu rufen, der auf dem
islamischen Recht basierte. Deshalb ist der PIJ die einzige
sunnitische Bewegung, die den Ayatollah Khomeini als den
rechtmäßigen Führer der gesamten islamischen Welt angesehen hat.
Der PIJ hat seine bewaffneten Operationen im Jahre
1984 begonnen. Shiqaqi wurde im März 1986 verhaftet und zusammen mit
'Awda in den Libanon abgeschoben. Danach führte er die Bewegung vom
Ausland aus an, bis er im Oktober 1995 durch israelische Agenten in
Malta getötet wurde. Dr. Ramadan Abdallah Shallah wurde sein
Nachfolger und schlug sein Hauptquartier in Damaskus auf. Da Shiqaqi
ein ausgesprochen charismatischer Führer gewesen war, der alle
Entscheidungen an sich gezogen hatte, benötigte die Bewegung einige
Zeit, bevor sie ihre Operationen wieder aufnehmen konnte.
Während der Islamische Jihad früheren Ursprungs ist
als der Hamas (gegründet im Jahre 1988), blieb er die kleinere der
beiden Bewegungen. Der Hamas wurde zu einer Massenbewegung mit einem
politischen Flügel, der auf einem breiten Netzwerk von religiösen
und wohltätigen Organisationen basiert. Im Gegensatz dazu blieb der
Islamische Jihad eine revolutionäre Kadertruppe oder Avantgarde von
mehreren Hundert Aktivisten. Während der Intifada von 1987 bis 1993
versuchte der PIJ mit dem Hamas zusammenzuarbeiten oder sich gar mit
ihm zu vereinigen, wohingegen sich dieser in diesem Punkte
allerdings eher zögerlich verhielt.
Shiqaqis Verlagerung der Organisationsbasis in den
Libanon verstärkte die Verbindungen der Bewegung mit der Hezbollah
und dem Iran. Der Iran wurde der größte finanzielle Sponsor der
Bewegung, und die Hezbollah stellte Trainings- und
Ausbildungsmöglichkeiten sowie logistische Unterstützung bereit. Auf
Grund der Unterstützung durch die Hezbollah konnte der PIJ sein
Netzwerk in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon
ausbreiten. Während der Hamas immer eine unabhängige
palästinensische Bewegung war und blieb, wurde der Islamische Jihad
zu einem Instrument der Politik des Iran im Rahmen des
arabisch-israelischen Konflikts.
Sowohl der PIJ als auch der Hamas wiesen die
Übereinkunft von Oslo aus dem Jahre 1993 als einen Verrat an
palästinensischen und islamischen Prinzipien zurück und verübten
Terroranschläge gegen israelische Ziele, um den Friedensprozess in
einer Art "Wettrennen" (Shiqaqis eigene Worte) zum Stoppen zu
bringen. Bis zum Jahr 2000 hatte der PIJ die Verantwortung für die
Tötung von mehreren Dutzend Israelis, meist Zivilisten, übernommen.
Während der PIJ sich zwar weigerte die Palästinensische
Autonomiebehörde (PA) als legitime Regierung anzuerkennen und an den
Wahlen innerhalb der PA von 1996 teilzunehmen, hat er trotzdem die
PA nicht in der gleichen Weise politisch herausgefordert wie der
Hamas. Allerdings war es für die PA einfacher, hart gegen den
Islamischen Jihad als die kleinere Organisation vorzugehen und sie
hat die Jihad-Zeitung in Gaza (Al-Istiqal) geschlossen und mehrere
subalterne Aktivisten des PIJ verhaftet.
Der Ausbruch der israelisch-palästinensischen
Konfrontation im September 2000 hat dem Islamischen Jihad neuen
Schwung verliehen. Zusammen mit dem Hamas vertrat der PIJ die
Auffassung, dass der Heilige Krieg (Jihad) die einzige Möglichkeit
sei, die Israelis aus der Westbank und aus Gaza zu vertreiben, was
allerdings nur die erste Phase in der Befreiung ganz Palästinas
darstellen sollte. Der PIJ erhielt völlige Bewegungsfreiheit und
anscheinend auch etwas logistische Unterstützung von offiziellen
Stellen innerhalb der PA. Auf der operativen Ebene haben Aktivisten
des Islamischen Jihad mit dem Hamas und der Fatah bei Angriffen auf
israelische Ziele Hand in Hand gearbeitet. Momentan wetteifert der
Islamische Jihad mit den anderen beiden Bewegungen darum, wer die
wagemutigsten und verheerendsten Anschläge verübt, um auf diese Art
und Weise sein Prestige zu erhöhen.
Trotz ihres Erfolges ist der PIJ eine kleine
Organisation geblieben. Aus mehreren Meinungsumfragen geht hervor,
dass der Islamische Jihad die Unterstützung von nur 4-5% der
palästinensischen Bevölkerung genießt, und dies hauptsächlich
deshalb, weil ihm das breite Netzwerk von Organisationen, über das
der Hamas verfügt, fehlt. Diese Tatsache versetzt den Islamischen
Jihad aber wiederum in die Lage, sich auf ideologische Zielsetzungen
zu konzentrieren und weitergehende politische Überlegungen außer
Betracht zu lassen. Deshalb hat sich der Islamische Jihad auch nicht
an den Gesprächen beteiligt, die Mitte November in Kairo zwischen
Fatah und Hamas mit dem Ziel abgehalten wurden, eine vorübergehende
Aussetzung der Selbstmordanschläge innerhalb Israels zu erreichen
und fährt unvermindert damit fort, seine verheerenden Angriffe
auszuführen.
© Botschaft des Staates Israel
Meir Litvak (Moshe Dayan Center für Nahost- und Afrika-Studien.
Nachdruck mit Genehmigung von Tel-Aviv Notes, Nr. 56, 28.11.2002.
Jaffee Center für Nahost- und Afrika-Studien, Universität Tel Aviv.
(26. Februar 2003)
hagalil.com
09-10-2003 |