Der hohe Preis für unsere Standards:
Krieg in Jenín
Unsere Armee bezahlte in Jenin einen furchtbaren
Preis für den Versuch, menschlich zu bleiben. Es wäre ein Leichtes
gewesen, das Terrorproblem in Jenin in anderer brutalerer Weise zu
lösen, doch die Armee wählte den schwereren Weg.
Während der Schmerz über den Tod so vieler Soldaten im
Vordergrund steht, wird auch Kritik am Vorgehen der IDF in Jenin geübt.
Dabei reichen die Reaktionen von der Forderung nach effektiveren - wenn
auch für den Gegner verlustreicheren Kampfmethoden bis zur
resignierenden Feststellung, dass das Fehlen einer politischen
Perspektive auch die Aktion Chomath Magén (Schutzwall) nicht nur
politisch, sondern auch militärisch sinnlos erscheinen lässt.
Eitan Haber, der frühere Sprecher des ermordeten
Ministerpräsidenten Jizhak Rabin, meint in Jedioth: "Wir führen seit
1948 immer denselben Krieg, der nur seinen Namen ändert. 22.000 Menschen
starben seit Beginn des vorigen Jahrhunderts für die Unabhängigkeit und
Freiheit Israels, und die 13 Fallschirmjäger, die gestern fielen, sind
der schmerzliche und erschütternde Preis, den wir zahlen, um endlich
Ruhe und Frieden zu erlangen.
Krieg ist Krieg:
À la guerre comme à la guerre...
Jede Armee handelt nach ihrer Ausbildung, ihren
Wertvorstellungen und Kampfmethoden. Unsere Armee bezahlte gestern einen
furchtbaren Preis für den Versuch, menschlich zu bleiben. Es wäre uns
ein Leichtes gewesen, das Terrorproblem in Jenin zu lösen, doch die
Armee wählte einen anderen Weg, auch wenn der CNN und andere sie heute
vermutlich wieder als Schurken darstellen“
Während der Aktion in Jenin jagte ein Gerücht das
andere. Eines der Gerüchte besagte, Armeechef Mofas sei bei der
Nachricht von den schweren Verlusten tot zusammengebrochen. Um solchen
Gerüchten entgegen zu wirken, begann auch der Armeesprecher mit der
einerseits überstürzten, andererseits verzögerten Herausgabe wenig
koordinierter Mitteilungen. Kritisiert wurde vor allem, dass die Meldung
über den Tod der Soldaten in Jenin mit Verspätung veröffentlicht wurde.
"Sicher ist es richtig, die Mitteilung so lange zurückzuhalten, bis die
Angehörigen die furchtbare Nachricht erhalten haben - mit einer
Ausnahme, wenn nämlich ein ganzer Staat verrückt wird und eine Welle von
Schreckensgerüchten kursiert", so Eithan Haber.
Unter der Überschrift "Der Preis unseres moralischen
Auffassung", kommentiert M'ariw: "Die großen Verluste, die wir in Jenin
erlitten haben, waren der schmerzliche Preis für das hartnäckige
Festhalten an unseren moralischen Einstellung. Natürlich hätten wir
diesen Kampf leicht, schnell und ohne Verlust beenden können - mit ein
paar Bomben aus der Luft oder gezieltem Artilleriefeuer. Aber dann wären
viele palästinensische Zivilisten umgekommen, in deren Häusern die
Terroristen sich verstecken.
An einem Tag, an dem wir unsere gefallenen Söhne zu
Grabe tragen, sollte uns auch erlaubt sein, unseren Stolz auf den
ethischen Code unserer Armee zum Ausdruck zu bringen. An einem solchen
Tag sollten wir kein Salz in die frischen Wunden streuen und die hitzige
Debatte darüber, ob der verlustreiche Zwischenfall in Jenin hätte
verhindert werden können, auf später verschieben, bis die betroffenen
IDF-Einheiten ihre Aufgabe erfüllt haben. Bis dahin wird sich
wahrscheinlich sowieso herausgestellt haben, dass ein Teil der
voreiligen Kritik unzutreffend war.
Möglicherweise steht uns eine schwierige Zeit bevor, in
der die Welt eine Propagandaoffensive gegen uns führt und uns mit
heftigen Vorwürfen und Resolutionen sowie politischen und sonstigen
Pressionen überschüttet. Vielleicht werden auch die Massenanschläge
weitergehen. Wir müssen diese Zeit mit Entschlossenheit, Hartnäckigkeit,
doch auch mit Klugheit durchstehen.
Wir sollten uns nicht als Opfer anbieten, doch auch
nicht in unakzeptablen Positionen verschanzen und nie vergessen, dass
wir uns nicht geändert haben: Wir sind immer noch dasselbe Volk, dass
Frieden anstrebt, aber auch zum Kampf bereit ist, das Gefahren die Stirn
bietet, aber auch offen für faire Kompromisse ist, das sein Land liebt
und stolz darauf ist, aber auch den anderen und seine Bedürfnisse
sieht.“
Weitere Stimmen aus Jenin:
Die Hölle der Reservisten
"Man kann sich garnicht vorstellen, welche Unmengen von
Sprengsätzen auf uns geworfen wurden - einfach unbeschreiblich",
erzählte einer der Soldaten, der bei dem Zwischenfall dabei war, der 13
Soldaten das Leben kostete.
Ein anderer klagte: "Wir gehen wie Pizzaboten durch
Jenin, von Haustür zu Haustür, und laufen den Terroristen in die Arme.
Ein ethischer Kampfkodex ist noch kein Grund, sich umbringen zu lassen.
Das Leben der Soldaten ist wichtiger als außenpolitische Erwägungen".
Nachum Barnea (Jedioth): Nach dem Tod von 14 Soldaten
änderte die Armee ihre Arbeitsmethode und setzte riesige IDF-Bulldozer
ein. Anstatt dass Soldaten von Haus zu Haus gehen, geht jetzt der
Bulldozer von Haus zu Haus.
Avihu Ben-Nun, ehem. Luftwaffenkommandant und
Reservegeneral: "Man kann nicht „chirurgisch“ bombardieren. Es ist
unmöglich, chirurgisch präzise Treffer zu erzielen, wenn man maximale
Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt. Man kann nur Gebiete aus der
Luft bombardieren, deren Bevölkerung evakuiert wurde".
Assaf Chaim, M'ariw: "Die Palästinenser in Jenin weigern
sich, ihre Toten zu begraben, um vor Journalisten Haufen von Leichen
ausstellen zu können".
IDF-Sprecher: "Wir entdecken Tonnen von Sprengstoffen.
Darunter befanden sich eigens dafür hergestellte metallene Pfeilspitzen,
die den Sprengladungen beigemischt werden, um besonders bösartige
Verletzungen zu verursachen. Es wurde auch Ausrüstung zur Herstellung
von Kassam-Raketen sichergestellt. Über 20 Waffen- und
Sprengstoffwerkstätten in Nablus und Jenin konnten zerstört werden".
Israelische Hilfe für Jenin: Überraschend wurde aus dem
Kibbutz Ramot Menashe Essen nach Jenin geliefert. Der Kibbutz erklärte,
das sei eine humanitäre Geste.
Im Außenministerium befürchtet man: "Israel wird
beschuldigt werden, in Jenin ein Massaker veranstaltet zu haben".
Hanoch Daum: "Die Aktion in den palästinensischen
Gebieten braucht nicht abgekürzt zu werden, aber wir sollten die
ethischen Codes ändern. Die Armee muss den schweren Beschluss fassen,
dass jeder Palästinenser, der sich nicht ergibt, riskiert, dass er aus
der Luft bombardiert wird. Wenn Amerika ein solches Vorgehen erlaubt
ist, dann ist es auch uns erlaubt. Ein solches Vorgehen ist moralisch
schwierig, doch notwendig, wenn man unsere Lage bedenkt: wir kämpfen
gegen völlig verrückte Selbstmordattentäter".
Nadav Ha’etzni: "Israel darf sein Schicksal nicht in die
Hände der scheinheiligen und patronisierenden Welt legen. Wie reagiert
die Weltöffentlichkeit auf die systematischen Massaker, die der Terror
bei uns anrichtet? Sie gibt uns die Schuld! Was tun die europäischen
Regierungen angesichts der mörderischen Exzesse der palästinensischen
Autonomie? Sie drohen uns mit Sanktionen!"
dg / haGalil onLine 11-04-2002 |