Die Umsetzung des
palästinensisch-israelischen Fahrplans wird die islamistische
Widerstandsbewegung Hamas vor ein Dilemma stellen. Sie muss sich
zwischen ihrem langfristigen Ziel, ein islamischer Gottesstaat im
ganzen ehemaligen Mandatsgebiet Palästina und den politischen,
kurzfristigen Interessen entscheiden. Hamas widersetzte sich
durchgängig jeder friedlichen Lösung mit Israel und hat nach Kräften
versucht, jeden Fortschritt in diese Richtung zu verhindern, indem
er Terroranschläge gegen Israel durchführte. Von daher sieht er die
gegenwärtige Konfrontation mit Israel, die nun schon drei Jahre
andauert, als Rechtfertigung der eigenen Argumente gegen den
Friedensprozess und als Erfüllung der eigenen politischen Ziele.
Im Gegensatz zur Palästinensischen
Autonomiebehörde (PA), die den gewalttätigen Konflikt für seine
Verhandlungen mit Israel ausnutzen wollte, forderte der Hamas einen
einseitigen Rückzug Israels aus Westjordanland und dem Gazastreifen,
ohne palästinensische Zugeständnisse im Gegenzug zu bieten. Außerdem
ist der Einfluss des Hamas während der Auseinandersetzungen noch
gewachsen. Während die zivile Infrastruktur der PA bröckelte, wurde
das effizientere und weniger korrupte Netzwerk des Hamas immer
beliebter. Darüber hinaus sehen viele Palästinenser die Anschläge
des Hamas als angemessene Bestrafung Israels für die harten
israelischen Maßnahmen gegenüber den Palästinensern. Daraufhin
interpretierte der Hamas alle vorangegangenen Vorschläge zur
Beilegung der gewaltsamen Auseinandersetzungen als palästinensische
Kapitulation.
Hamassprecher haben die Road Map als
“Verschwörung” gegen und als “Katastrophe für das palästinensische
Volk” abgelehnt, da er palästinensische Ansprüche nicht
berücksichtige und sie keine Entschädigung für die “immensen Opfer”
in zwei Kampfjahren sei. Sie beschweren sich, dass der Friedensplan
nach demselben Muster gestrickt sei wie die Verträge von Oslo 1993
and sehen in ihm zuallererst ein “Sicherheitsprojekt”, mit dem der
palästinensische Widerstand gebrochen und die Besatzung unantastbar
gemacht würde. Sie prahlen damit, dass Ministerpräsident Sharon
“total gescheitert” sei, und dass er sein Versprechen, die
Sicherheit für die Israelis herzustellen, nicht erfüllt habe. Sie
bestehen darauf, dass der Fahrplan geschaffen worden sei „um Sharon
und das zionistische Gebilde aus dem Schlamassel der
palästinensischen Intifada und des heldenhaften Widerstands” zu
retten. Sie warnen, dass die „Intriganten” der Road Map die
Palästinenser in einen Bürgerkrieg treiben wollen, was “den
Zionisten die Sicherheit geben würde”, die sie mit ihren
Militärmaßnahmen nicht erreicht haben. Sie mahnen an, dass Israels
Annahme des Fahrplans eine Täuschung sei, da Sharon dem
palästinensischen Volk weiterhin seine grundlegendenden Rechte
verweigere, im besonderen geht es um Jerusalem und das Recht auf
Rückkehr nach Israel für die palästinensischen Flüchtlinge. Und sie
sagen voraus, dass Israel die Road Map mit weiteren gezielten
Tötungen, Angriffen auf palästinensisches Gebiet und Abrisse von
Häusern zunichte machen würde.
Als Volksbewegung mit dem Ehrgeiz, die
PA-Führung abzulösen, muss der Hamas jedoch die palästinensische
öffentliche Meinung berücksichtigen. Er kann daher nicht übersehen,
dass die Road Map von vielen unterstützt wird, da er die miserablen
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstände der Palästinenser
nach 30 Monaten Gewalt zu verbessern verspricht. Er muss sich auch
der Kritik stellen, dass ihre Mörser- und Kassamraketenangriffe auf
israelische Städte im Negev den Israelis viel weniger Schaden
zugefügt haben als die israelische Gegenmaßnahmen den
Palästinensern. Der Hamas kann es sich auch nicht leisten, für die
Fortsetzung der Besatzung in den palästinensischen Gebieten und für
das Scheitern aller Aussichten auf einen palästinensischen Staat
verantwortlich gemacht zu werden. Schlussendlich muss der Hamas auch
die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er von freundlichen
arabischen Regierungen, vor allem in Saudi-Arabien und den anderen
Golfstaaten, mit der Drohung unter Druck gesetzt wird, sowohl der
finanziellen wie auch der politischen Unterstützung beraubt zu
werden.
Daher ließ sich der Hamas auf die
Verhandlungen um einen möglichen Waffenstillstand („Hudna“) ein, auf
die der neue Ministerpräsident der PA Mahmud Abbas (Abu Masen)
drängt. Die Hamassprecher verlangten öffentlich einige Vorbedingung
für einen Waffenstillstand. Dazu gehörte ein Zugeständnis Israels,
mit gezielten Tötungen und der Tötung von palästinensischen
Zivilisten aufzuhören, alle palästinensischen Gefangenen und
Häftlinge freizulassen, die Ausgangsperren in den palästinensischen
Städten aufzuheben und seine “Aggressionspolitik” zu beenden. Im
Gegenzug würde Hamas aufhören, “sogenannte Zivilisten innerhalb des
zionistischen Gebildes” anzugreifen. Diese Terminologie beinhaltet
eine Weigerung, Angriffe auf israelische Soldaten und israelische
Zivilisten in den palästinensischen Gebieten einzustellen. Aber der
Hamas machte auch klar, dass er niemals freiwillig seine Waffen
aufgäbe. Khalid Mash’al, der Leiter des Hamas-Politbüro, ging einen
Schritt weiter, indem er sagte, dass Hamas den bewaffneten
Widerstand fortsetzen würde, solange die israelische Besatzung von
palästinensischem Land weiterginge.
Die Reaktionen des Hamas auf den Fahrplan
bringen wieder einmal die Meinungsverschiedenheit über die Taktik
ans Tageslicht: Einerseits der fundamentalistischen äußeren
Führungsriege – diejenigen, die außerhalb der palästinensischen
Gebiete leben, vor allem in Damaskus und in den Golfstaaten – und
den etwas pragmatischeren Führen innerhalb der Gebiete andererseits.
Die ersten waren dem Druck nicht ausgesetzt, den die
palästinensische Bevölkerung innerhalb der Gebiete täglich erleiden
muss. Darüber hinaus kann ihre Existenz nur durch eine Fortführung
des bewaffneten Kampfes gerechtfertigt werden.
Im Unterschied dazu ist die “Innere
Führungsriege” offener für die öffentliche Meinung und neigt weniger
dazu, sich der PA frontal zu widersetzen. Möglicherweise waren sie
bereit zu Abu Masens Angebot, ihre Aktivisten in die
PA-Institutionen zu integrieren, in der Hoffnung diese eines Tages
übernehmen zu können. Außerdem mögen sie einen Waffenstillstand als
Chance sehen, Atem zu holen und ihre Kampfeinheiten neu zu
organisieren, vor allem die im Westjordanland, die von israelischen
Verhaftungen und gezielten Tötungen schwer getroffen worden waren.
Die Pragmatiker erhielten unerwartet Unterstützung von inhaftierten
Aktivisten in israelischen Gefängnissen, die sich offensichtlich von
der Road Map ihre Freilassung erhoffen.
Zwar kann der Hamas möglicherweise einen
befristeten Waffenstillstand mit Israel akzeptieren, es ist aber
sehr unwahrscheinlich, dass er diesem zustimmen wird und seine
Waffen der PA zu übergeben oder seine bösartige Hetze gegen die
Juden herunterzufahren, wie es die Road Map vorsieht. Es ist
wahrscheinlicher, dass der Hamas öffentliche Unterstützung gegen
jedes angebliche Zugeständnis von Seiten palästinensischer
Unterhändler mobilisieren wird und auf die Gelegenheit wartet, um
bei künftigen Verhandlungskrisen seine Terroraktivitäten wieder
aufzunehmen. Insgesamt kann erwartet werden, dass der Hamas wie auch
in der Vergangenheit sein Möglichstes tun wird, um jede Chance auf
eine echte Aussöhnung und Frieden zwischen Israelis und
Palästinensern zu verhindern.