Shin Bet über Hamas und Islamischer Dschihad:
Wiederaufnahme der Planung von
Terroranschlägen
Übersetzung Daniela Marcus
Quellen des israelischen Geheimdienstes Shin
Bet sagten am Donnerstagabend, dass ranghohe Spezialisten von Hamas
und Islamischem Dschihad der Feuerpause zum Trotz kürzlich wieder
die Planung von Terroranschlägen zur sofortigen Durchführung
aufgenommen haben.
Laut dieser Quellen war einer dieser Spezialisten
Mohammed Sidr, der Anführer des militärischen Flügels des
Islamischen Dschihad in Hebron. Er wurde am Donnerstagmorgen beim
Versuch, ihn zu verhaften, getötet. Quellen der Verteidigung sagten,
Sidr hatte geplant, ein mit einem Sprengsatz versehenes Auto in
naher Zukunft entweder nach Jerusalem oder nach Hebron zu schicken.
Das Auto war bereits erworben worden.
Israel hält den 25-jährigen Sidr verantwortlich
für Anschläge, die insgesamt 21 Menschen töteten. Sein Name war
schon lange einer der obersten auf Israels Liste der gesuchten
Personen.
Am Donnerstagabend traf sich Verteidigungsminister
Shaul Mofas mit seinem palästinensischen Kollegen Mohammed Dahlan in
dem Versuch, die in den letzten Tagen angewachsene Gewalt, die
möglicherweise durch den Tod von Sidr noch mehr eskalieren wird,
wieder zu reduzieren. Der Islamische Dschihad kündigte am Donnerstag
an, er werde Sidrs Tod rächen, wobei ranghohe Mitglieder der
Organisation andeuteten, man plane als Vergeltung einen Anschlag
innerhalb der Grünen Linie (i. e. innerhalb Israels Grenzen vor dem
Sechstagekrieg 1967). Andererseits behauptete die Organisation auch,
dass sie sich der Feuerpause verpflichtet fühlt.
Doch der Shin Bet und die israelische
Verteidigungsarmee (IDF) sagten am Donnerstagabend, dass Zellen von
Hamas und Islamischem Dschihad aus unterschiedlichen Teilen der
Westbank bereits vor Sidrs Tod damit begonnen hatten, Anschläge zur
sofortigen Durchführung zu planen. Sie fügten hinzu, dass die
Anführer der Organisationen in Damaskus und Gaza diese Änderung
stillschweigend gewährt haben. Zuvor hatten sich beide Gruppen
darauf beschränkt, sich für Operationen nach Ende der Feuerpause
vorzubereiten.
Zusätzlich, so IDF-Quellen, ermutigt auch der
Vorsitzende der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Yassir
Arafat Fatah-Zellen in der nördlichen Westbank, Anschläge
auszuführen. Die Quellen sagten, dass Arafat kürzlich Geld an die
Fatah-Zelle im Flüchtlingslager Balata geschickt hat. Diese Zelle
hatte am vergangenen Dienstag den Selbstmordanschlag in Rosh Ha’Ayin
ausgeführt.
"Die Hamas ist momentan nicht daran interessiert,
die Feuerpause in die Luft zu jagen", sagte ein ranghoher
IDF-Sprecher. "Doch sie will einen Mechanismus schaffen, der es ihr
ermöglicht, uns zu treffen, wann immer es ihr passt – z. B. um gegen
die Tötung oder Verhaftung von gesuchten Männern oder gegen das
Scheitern der Freilassung von zusätzlichen Gefangenen zu
protestieren. Und der Islamische Dschihad beginnt natürlich damit,
der Hamas nachzueifern."
Trotzdem unterstützt die IDF –im Gegensatz zum
Shin Bet- den Transfer von weiteren Westbank-Städten an die
Palästinenser, sowohl, um die PA so bald wie möglich einem
wirklichen Test zu unterziehen, als auch, um den Kollaps des
diplomatischen Prozesses aus Mangel an israelischen Gesten zu
verhindern. Dieser Transfer war eines der Themen, die Mofas und
Dahlan am Donnerstagabend diskutierten, zusätzlich zu Israels
üblicher Forderung, die PA möge damit beginnen, gegen die Hamas und
den Islamischen Dschihad vorzugehen. Palästinensische Quellen
beschrieben das Treffen als positiv, sagten jedoch, dass keine
Vereinbarungen erzielt worden seien. Mofas und Dahlan werden sich in
den nächsten Tagen erneut zu Gesprächen treffen.
Der präventive Sicherheitsdienst der PA unternahm
am Donnerstag im Flüchtlingslager Shati im Gazastreifen eine Razzia
in einem Stützpunkt des Islamischen Dschihad. Doch dies geschah in
Erwiderung auf eine Bombe, die am Mittwochabend am Eingang zum
Sicherheitshauptquartier des Lagers explodierte. Die PA glaubt, dass
die Bombe von Mitgliedern des Islamischen Dschihad gezündet worden
war. Die Razzia löste einen Schusswechsel zwischen den
palästinensischen Einheiten aus, bei dem sieben Menschen, inklusive
Unbeteiligter, verletzt wurden. Die PA verhaftete auch ein ranghohes
Mitglied des Islamischen Dschihad. Die Organisation beschuldigte
daraufhin die PA, in Sachen Sidrs Tod mit Israel zu kollaborieren.
Die Sidr-Operation
Die Entscheidung, Sidr zu verhaften, wurde
getroffen, nachdem ein Mitglied seiner Zelle, das der Shin Bet
während einer früheren Suchaktion gefangen genommen hatte,
berichtete, sein Chef –der seine Terroraktivität anfangs gestoppt
hatte, nachdem am 29. Juni die Feuerpause erklärt worden war- habe
wieder damit begonnen, Terroranschläge für die Durchführung in naher
Zukunft zu planen. Der Informant machte die Verhaftung möglich,
indem er den Vernehmungsbeamten erzählte, dass sich Sidr
normalerweise in einer Schreinerei im Stadtzentrum von Hebron
versteckt.
Am Donnerstag um 1.00 Uhr morgens umstellten
Männer des Shin Bet und des Yamam (die Antiterror-Spezialeinheit der
israelischen Polizei) das Gebäude und forderten Sidr auf, sich zu
ergeben. Als Sidr sich weigerte, feuerten die israelischen Einheiten
eine Panzerabwehrrakete auf das Gebäude, die Sidr anscheinend
verletzte, jedoch nicht tötete.
Um etwa 5.00 Uhr morgens wurde ein Spürhund in das
Gebäude geschickt. Sidr schoss auf den Hund und tötete ihn,
woraufhin ein Feuergefecht zwischen Sidr und den israelischen
Kräften ausbrach. Während dieses Kampfes warf Sidr auch
Handgranaten.
IDF-Quellen betonten, dass den Einheiten
ausdrücklich befohlen worden war, Sidr am Leben zu lassen und zu
verhaften. Doch wurde er anscheinend während des Schusswechsels
getötet.
Später wurde ein Teil des Hauses durch einen
Bulldozer zerstört. Die Soldaten entdeckten Sidrs Leiche, neben ihr
lag ein Glilon-Gewehr.
Laut IDF unterhielt Sidr in dem Gebäude ein
Sprengstofflabor. Als Soldaten nach Sidrs Tod den Ort durchsuchten,
fanden sie Teile von Sprengstoff, chemisch zusammengesetzten Dünger,
der für die Herstellung von Bomben benutzt wird, und weitere
Ausstattung zur Fabrikation von Bomben. Der Besitzer des Gebäudes,
ein in Hebron ansässiger jordanischer Bürger, wurde verhaftet unter
dem Verdacht, Sidr das Versteck wissentlich besorgt zu haben.
Oberst Haggai Mordechai, Kommandant der
Hebron-Brigade, sagte nach der Operation: "Es liegt in unserer
Verantwortung, die Sicherheit der israelischen Bürger zu
gewährleisten. Jedes Mal, wenn wir davon hören, dass Vorbereitungen
für einen Anschlag laufen, ist es unsere Verpflichtung so zu
handeln, dass der Anschlag verhindert wird."
Verteidigungsminister Mofas nannte Sidr eine
"tickende Bombe". Er teilte jedoch dem amerikanischen Gesandten John
Wolf mit, dass Israel "jede Anstrengung" unternehmen werde, die
Fortführung des diplomatischen Prozesses zu unterstützen. Der
palästinensische Sicherheitsminister Dahlan setzte dagegen, dass
Israels Operationen in den Territorien die Feuerpause zum
Kollabieren bringen könnten und forderte Israel dazu auf, von
solchen Operationen Abstand zu nehmen.
Die israelische Verteidigung schreibt Sidr
folgende Anschläge zu:
Der Anschlag auf dem Weg der Gläubigen in Hebron
im letzten November, bei dem 12 Mitglieder des israelischen
Sicherheitsdienstes getötet worden waren.
Ein Gewehrangriff auf eine Yeshiva (i. e. eine Talmudschule) in der
Siedlung Otniel im letzten Dezember, bei dem 4 Studenten erschossen
wurden.
Der Mord an zwei Beobachtern –einem Türken und einem Schweizer- der
TIPH (Temporary International Presence in Hebron, Zeitweilige
Internationale Präsenz in Hebron) im März 2002 (wobei die Angreifer
die Ausländer offensichtlich für Israelis hielten). Ein dritter
Beobachter wurde bei diesem Anschlag verletzt.
Der Mord an einem Bürger von Kiryat Arba während eines
Gewehrangriffs im Juli 2001.
Ein Gewehrangriff auf einen Bus an der Jerusalemer
French-Hill-Kreuzung im November 2001. Dabei wurden zwei Teenager,
ein Junge und ein Mädchen, ermordet und mehr als 80 Personen
verletzt.
Israel hat Sidr seit mehr als zwei Jahren gejagt und hat einmal
erfolglos versucht, ihn zu töten. Seit letzten November hat die IDF
Dutzende Mitglieder seiner Zelle verhaftet. Auch in den letzten paar
Wochen wurden einige Verhaftungen vorgenommen.
Seit die Feuerpause vor sechs Wochen in Kraft
trat, haben die meisten Spezialisten des Islamischen Dschihad von
konkreten Terrorangriffen Abstand gehalten. Stattdessen setzten sie
ihre Bemühungen dahingehend ein, neue Mitglieder zu rekrutieren und
ihren Vorrat an Bomben aufzustocken. Die Ausnahme bildete eine Zelle
in Dschenin, die unter anderem vor einem Monat den
Selbstmordanschlag in Kfar Yavetz ausgeübt hatte, bei dem eine
Israelin ermordet worden war. Laut Einschätzungen bekam diese
"rebellierende" Zelle für ihre Aktivitäten jedoch die
stillschweigende Genehmigung von der Führung des Islamischen
Dschihad in Damaskus und Gaza.
Am Donnerstag ereigneten sich in den Territorien
einige weitere Vorfälle. Es gab jedoch keine Opfer. Palästinenser
schossen auf die Siedlung Kadim bei Dschenin und auf IDF-Posten in
Gush Katif im Gazastreifen. In Nablus zerstörte die IDF das Haus des
Hamas-Spezialisten Islam Kafisha, der am Dienstag den
Selbstmordanschlag in Ariel verübt hatte. In Qalqiliyah brachten
Palästinenser eine Bombe zur Explosion als IDF-Einheiten einen
gesuchten Mann verhafteten. Ein weitere Palästinenser wurde in
Nablus verhaftet.
hagalil.com
15-08-2003 |