Umdenken:
Weibliche Selbstmordattentäter
Von Arnon Regular, Ha'aretz, 21.05.2003
Übersetzung Daniela Marcus
Hiba Da'arma, die den Selbstmordanschlag am
vergangenen Montag in Afula ausübte, war seit Ausbruch der Intifada
vor 32 Monaten bereits die fünfte Frau, die zum Selbstmordattentäter
wurde. Doch sie war die erste, die vom Islamischen Dschihad
angeheuert worden war.
Wie die Hamas so erhob auch der Islamische
Dschihad zunächst religiöse und soziale Einwände gegen weibliche
Selbstmordattentäter. Die anderen vier Frauen kamen alle aus den
Reihen der säkularen Fatah-Miliz.
Selbst der Anschlag vom Montag war ein
Gemeinschaftsunternehmen, bei dem die Fatah die
Selbstmordattentäterin lieferte. Der Islamische Dschihad lieferte
den Sprengstoff und sorgte für den Transport.
Doch es zeigt deutlich, dass die islamischen
Organisationen ihre religiösen und sozialen Einwände bezüglich des
Einsatzes von Frauen überwunden haben. Selbst die Hamas, die immer
noch sagt, sie würde sich keiner weiblichen Selbstmordattentäter
bedienen, hat damit begonnen, Frauen in Nebenrollen einzusetzen.
Die religiöse Rechtfertigung für weibliche
Selbstmordattentäter stammt aus einer Überlieferung des Propheten
Mohammed, gemäß welcher es heißt: "Wenn auch nur ein Zentimeter an
muslimischem Boden erobert werden kann, wird die Teilnahme am
Dschihad (dem heiligen Krieg) eine fundamentale Verpflichtung, die
sogar mit der Verpflichtung zum Gebet gleichzusetzen ist (die sowohl
für Männer wie für Frauen gilt). Ein Kind kann ohne die Erlaubnis
seines Vaters gehen, eine Ehefrau ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes
und ein Sklave ohne die Erlaubnis seines Herrn."
Selbstmordattentäterinnen haben offensichtlich
Auswirkungen auf das Militär: Sie erregen weniger Verdacht, weil sie
nicht dem "Profil" des Attentäters entsprechen, das die israelischen
Sicherheitsdienste ausgearbeitet haben.
Doch diese Entwicklung hat auch enorme soziale
Auswirkungen. Selbst unter säkularen Palästinensern ist eine Frau
-der Tradition entsprechend- abhängig von dem Mann in ihrem Leben –
zuerst von ihrem Vater und später von ihrem Ehemann. Für die
einfachsten Tätigkeiten –selbst für das Einkaufen- braucht sie die
schriftliche oder mündliche Genehmigung des jeweiligen Mannes.
Selbstmordattentäterinnen unterminieren diese
soziale Konvention. Der Rekrutierende verletzt den sozialen Kodex,
indem er vor der Rekrutierung der potentiellen
Selbstmordattentäterin die Erlaubnis der Familie nicht einholt. Und
wenn die Frau einmal eingewilligt hat, hat die Familie keine
Kontrolle mehr über ihr Schicksal, sondern es sind die Instrukteure
der Frau, die entscheiden, wohin sie geht und wann sie geht. Sie
entscheiden sogar über das Datum ihres Todes.
Es ist immer noch nicht bekannt, ob sich Wafa
Idris, die erste Selbstmordattentäterin, wirklich in die Luft
sprengen wollte, oder ob sie ursprünglich geplant hatte, die Bombe
irgendwo zu platzieren und dann zu verschwinden. Doch die Wahrheit
ist in diesem Fall nicht so wichtig, denn der Erfolg, den sie
erzielte, als sie im Januar 2002 ein Schuhgeschäft in Jerusalem in
die Luft sprengte, ließ sie zur Heldin werden.
Die 27jährige Idris wurde nicht zufällig
ausgewählt. Als eine geschiedene Frau, die in neun Jahren Ehe keine
Kinder geboren hatte und außerdem unter der schlechten Beziehung zu
ihrem älteren Bruder litt (der seit dem Tod ihres Vaters der
dominante Mann in ihrem Leben war), war sie zu jeder Art von Flucht
bereit. In der traditionellen palästinensischen Gesellschaft ist
eine geschiedene, kinderlose Frau eine Last für die Familie, und sie
hat keine Chance, jemals wieder zu heiraten.
Die Rekrutierenden der Fatah haben schnell
erkannt, dass Frauen wie Idris, deren Familiensituation nicht der
Norm entspricht, leicht zu rekrutieren sind. Deshalb begannen sie,
diese Gruppe anzuvisieren. Die zweite Selbstmordattentäterin, die
22jährige Darin Abu Aisha, war ebenfalls geschieden. Sie war eine
fromme Muslimin, deren Ex-Mann und Bruder vor kurzem von
israelischen Truppen getötet wurden.
Doch wie bei den Reihen der männlichen
Selbstmordattentäter –die ursprünglich ausschließlich aus
unverheirateten jungen Männern bestanden und dann, als das soziale
Tabu brach, ausgedehnt wurden auf ältere und verheiratete Männer- so
war auch die abnormale Familiensituation der Frau bald nicht mehr
ausschließlicher Rekrutierungsgrund für weibliche
Selbstmordattentäter.
Die dritte Frau, Iyat al-Ahris, war eine 18jährige
Hochschülerin mit hervorragenden Leistungen. Sie war erst vor kurzem
verlobt worden und hatte acht Brüder und Schwestern.
Jemanden wie Ahris zu einer Selbstmordattentäterin
auszubilden war für die palästinensische Gesellschaft jedoch
schwerer zu akzeptieren, besonders als sich herausstellte, dass sie
von ihrem Verlobten rekrutiert worden war. Und tatsächlich
beschimpfte ihre Familie öffentlich die Fatah-Aktivisten, die nach
Ahris' gelungenem Anschlag auf einen Jerusalemer Supermarkt Bonbons
an Kinder verteilten, um das Ereignis zu feiern.
Die Familie der nächsten Selbstmordattentäterin
–Andalib Takatka, eine 20jährige unverheiratete Frau- war ähnlich
erbost. Nach dem Anschlag, den Takatka ausgeführt hatte, prangerte
selbst die Hamas die Fatah öffentlich wegen der Rekrutierung an.
Doch als am Montag der nächste Anschlag passierte,
war die Stimmung verwandelt. Auch Da'arma war eine 20jährige
unverheiratete Frau, eine Studentin, die hauptsächlich englische
Literatur studierte, das sechste von acht Kindern einer Familie aus
Tubas, in der Nähe von Nablus.
Ihr Bruder Sa'id sagte, sie sei kein Mitglied
irgendeiner Organisation gewesen und hätte nie politische Themen
diskutiert. Ihr Anschlag schockierte die Familie.
Doch dies hielt den Islamischen Dschihad nicht
davon ab, stolz zu verkünden, der Anschlag ginge auf sein Konto.
Gestern wurde ein Video von Da'arma veröffentlicht, auf dem zu sehen
war, wie sie den geplanten Anschlag besprach. Auf der Hülle des
Videos waren die Symbole des Islamischen Dschihad abgebildet.
hagalil.com
22-05-2003 |