Die Stimme Europas ist alles andere als einheitlich:
Europa befindet sich nicht "im Kriegszustand"
n. Nizzan Horrowitz in haArez
Aus den Reaktionen einer Reihe von europäischen
Staaten lässt sich folgendes erkennen: nach den herzlichen
Unterstützungserklärungen unmittelbar nach den Anschlägen begannen die
Vorbehalte. Die Stimme Europas ist alles andere als einheitlich.
Schon jetzt ist die Schlussfolgerung erkennbar: Die
Terrorangriffe in den USA haben den Amerikanern in Europa kein
uneingeschränktes Mandat für eine Reaktion erteilt. In der NATO heißt es
sogar, es sei vorerst keine militärische Aktion zu erwarten. Beamte der
NATO erklärten, die USA hätten die Bündnispartner nicht aufgefordert, an
einer bestimmten militärischen Aktion teilzunehmen.
Europäische Staatsmänner haben in den letzten Tagen
begonnen, die Trennung zwischen sich und dem in Washington herrschenden
operativen Zorn zu skizzieren. Wenn Bush die Anschläge als
"kriegerischen Akt" bezeichnet hat, dann sagte der belgische
Außenminister Michel bereits, "wir befinden uns nicht im Kriegszustand".
Der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping fand es für richtig
zu erklären, "auch wir befinden uns nicht kurz vor einem Krieg" und rief
zu einer "gemäßigten" Reaktion auf.
Die europäische Logik ist klar und wird auch von vielen
anderen Staaten geteilt. "Vergeltung zieht Vergeltung nach sich", warnte
eine japanische Zeitung, "und das kann zu einem umfassenden Krieg
führen. Es ist eine vorsichtige Reaktion angebracht, die dies in
Betracht zieht."
Genau das wird auch in Frankreich befürchtet, das sich
traditionsgemäß als jene Kraft sieht, die amerikanische Aktionen
"auswiegt". "Es gibt keinen Krieg gegen den Islam oder gegen die
arabisch-moslemische Welt," erklärte Ministerpräsident Jospin wohl auch
im Blick auf die großen moslemischen Gemeinden in seinem Land.
Das bedeutet, dass sich Frankreich nicht automatisch
einer amerikanischen Aktion anschließen wird. Jospin definierte die
französische Solidarität mit den USA als "menschlich, politisch und
funktionell", erklärte jedoch auch, dass diese Solidarität Frankreich,
und auch keinem anderen Staat, seine Souveränität und Freiheit entziehen
kann, seine eigene Haltung zu bestimmen.
Europa sagt nicht, dass man den Terroranschlägen
tatenlos zusehen müsse. Europa glaubt jedoch, dass eine militärische
Aktion allein das Ziel nicht erreichen könne. Die Europäer wollen eine
nicht-militärische Option in Erwägung ziehen. Der französische AM
Vedrine sagte bei seinem Besuch in Moskau, der Kampf gegen den Terror
müsse sich auf die finanziellen und logistischen Netze der
Terrororganisationen konzentrieren, sowie auf diplomatische und
politische Arbeit. Seine russischen Gesprächspartner stimmten ihm zu.
Sogar der britische Premierminister Blair - der engste
europäische Verbündete der USA - betonte, jede Vergeltungsaktion müsse
sich auf "konkrete Beweise" stützen.
Das ist die Haltung, die heute in Europa vorherrscht,
und sie könnte von größter Bedeutung sein, wenn die USA europäische
Hilfe für eine konkrete Aktion anfordern werden.
haGalil onLine
28-09-2001 |