Dilemma des
"Wars on Terror":
Das
Internationale Recht und die Djihadisten
Von Thomas von der Osten-Sacken
Angesichts der Erstürmung Fallujas, jener zentralirakischen Stadt,
die wie jetzt sukzessive bekannt wird, der so genannte irakischen
"Widerstande" gemeinsam mit internationalen Djihadisten in ihre
logistische Zentrale verwandelt hatten, wurde einmal mehr eines der
grundsätzlichen Dilemmatas des "Wars on Terror" deutlich: Reguläre
Armeen, in diesem Falle die der USA und des neuen irakischen
Staates, kämpften gegen irreguläre Einheiten, die zuvor in Wort und
Tat zur Genüge ihren Willen bekundet hatten, jedwede
Verbindlichkeit des in den Genfer Konventionen niedergelegten
Kriegsrechtes zu missachten.
Zuvor war in
Fatwas, religiösen Rechtsgutachten, sogar ausdrücklich das
Töten von Zivilisten gut gehießen worden, ähnlich wie im Krieg gegen
Israel beanspruchen eine Gruppe islamische Kleriker die
Deutungshoheit zu haben, wer als Zivilist zu gelten hat und wer
nicht. Im Falle Israels etwa ist laut einigen Fatwas selbst das
Töten von schwangeren Frauen und Kleinkindern erlaubt.
Nicht aber
diese bewusste Missachtung geltenden internationalen Rechts, sondern
das Vorgehen der Amerikaner erhitzte die Gemüter: Als die Bilder
eines am Boden liegenden offenbar unbewaffneten Mannes um die Welt
gingen, der von einem amerikanischen GI erschossen wurde,
kritisierten unterschiedliche Menschenrechtsorganisationen wie
Amnesty International und Human Rights Watch aber auch die
UN-Menschenrechtsbeauftragte Louise Arbour die USA scharf und
forderten eine entsprechende Untersuchung.
Eine Reaktion,
die richtig und naheliegend ist, schließlich legen die Genfer
Konventionen minutiös dar, wie ein Kombattant sich im Kriegsfall zu
verhalten habe. Wenn immer Soldaten der USA oder andere Staaten, die
diese Konventionen ratifiziert haben, gegen sie verstoßen,
muss und sollte dies geahndet werden. Wer aber die USA
kritisiert, ohne das grundlegende Paradox zu reflektieren, dass es
juristisch zumindest äußert fragwürdig ist, ob für die Insurgenten
im Irak die Genfer Konventionen überhaupt gelten, da sie
offensichtlich kaum die Kriterien erfüllen, die im Sinne der 3. und
4. Genfer Konvention den Kombattantenstatus definieren, der gerät in
Gefahr einseitig sich zu positionieren, statt auf Erfüllung gültigen
internationalen Rechts zu bestehen.
Keineswegs ist
hier die Rede von all den schrillen Stimmen, die sich nach der
Offensive auf Falluja erhoben und wie der Vorsitzende des
Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament erklärten, das
Regime der USA im Irak sei weit schlimmer als jenes Hitlers, nicht
gemeint sind auch die Demonstranten in London, die der USA
vorwarfen einen Genozid in der irakischen Stadt durchzuführen,
sondern die Rede ist leider von namhaften Menschenrechts- und
Hilfsorganisationen.
So ließ etwa
das Koordinationswerk von im Irak tätigen Hilfsorganisationen NCCI
Anfang November eine Petition zirkulieren, die nicht nur völlig
einseitig der USA und der irakischen Übergangsregierung die Schuld
an der Eskalation des Konfliktes zuschrieb, sondern beide auch in
scharfem Ton ermahnte, sich an die Regeln des internationalen
Rechtes zu halten. In einem lapidar nachgestellten Satz adressierten
sie dann die "Führung der bewaffneten Gruppen in Falluja" und
forderte sie auf, sich ebenfalls ans internationale Recht zu halten.
Zuvor hatten Dutzende von Geiselnahmen und Exekutionen, Anschläge
aus Zivilisten und Terror gegen Unbeteiligte sich im Namen dieser
"Führung" ereignet, die alle bewusst gegen den Geist der Genfer
Konventionen in bislang recht einmaliger Art verstießen und mit
keinem Satz in besagtem Petitionsentwurf Erwähnung fanden. Somit
wurden die Insurgenten wie selbstverständlich in den Rang der Armee
gleichwertiger Kombattanten erhoben, gleichwohl wenig dafür spricht,
dass ihnen, wie andernorts Hizbollah, Hamas, Al Qaida oder ähnlichen
Gruppierungen auch, dieser Status zusteht. Denn weder können sie für
sich beanspruchen regulären Armeen anzugehören (selbst die Taliban
nicht, da sie von der UN nicht als Regierung Afghanistans anerkannt
waren), noch scheint die Zusatzklausel der 3. Konvention von 1949
auf sie zuzutreffen, die festlegt, dass neben regulären Soldaten
auch "Mitglieder anderer Milizen und Mitglieder von
Freiwilligeneinheiten, auch solche organisierter Widerstandsgruppen,
zu zählen sind, die zu einer der beteiligten (Kriegs)Parteien
gehören, (...) wenn sie folgende Bedingungen erfüllen:
(a) dass sie von einer Person
kommandiert werden, die für ihre Untergebenen verantwortlich ist;
(b) dass sie dauerhafte aus der Distanz erkennbare Markierungen
tragen;
(c) dass sie ihre Waffen offen tragen;
(d) dass sie ihre Operationen in Einklang mit dem Kriegsrecht und
den entsprechenden Regeln durchfuhren."
Das
Kriegsrecht verbietet unter anderem ausdrücklich: Geiselnahmen, Mord
und Misshandlungen aller Art, demütigende Behandlung des Gegners und
extralegale Hinrichtungen. Kurzum die gesamte Taktik, auf die der
Kampf des so genannten irakischen Widerstandes fußt, verstößt
vorsätzlich und absolut gegen die Genfer Konventionen.
Wo aber bleibt
der Aufschrei der Menschenrechtsorganisationen? Woran liegt es, dass
man lieber die USA adressiert du über die Verbrechen der Gegenseite
beredt schweigt?
Vielleicht ist
man noch zu sehr daran gewöhnt, angesichts früherer Konflikte in der
Dritten Welt, in die irreguläre Einheiten verwickelt waren, sein
Augenmerk vornehmlich auf die Verbrechen regulärer Armeen zu
richten; gilt seit den Bildern des Massakers in My Lai und den
Massenbombardements vietnamesischer Dörfer, dass die US-Armee vorm
offenen Bruch der Genfer Konvention nicht zurückschreckt.
Und
schließlich pflegen in klassischen Guerillakriegen, ob in
Lateinamerika oder Ostasien, Staaten ihre Menschenrechtsverletzungen
ja regelmäßig mit dem Argument zu rechtfertigten, bei den
Irregulären handele es sich um Kriminelle, nicht um Kombattanten,
weshalb Straf- nicht Kriegsrecht auf sie angewendet werden müsse.
In der Regel,
zu der unrühmliche Ausnahmen wie der peruanische Leuchtende Pfad und
die Befreiungstiger Sri Lankas ebenso gehören wie die
afghanischen Mujaheddin und palästinensische Fedajin, kämpften
zugleich Guerillaorganisationen um internationale Anerkennung ihres
Kombattantenstatus, indem sie versuchten sich an den Geist der
Genfer Konvention zu halten. Dies ist für Partisanen aufgrund der
Natur ihrer Kriegführung nicht uneingeschränkt möglich. Der Partisan
verwandelt sich je nach Lage in einen Zivilisten, in dem er vor dem
militärisch überlegenen Gegner in Städten und Dörfern, geschützt
durch die Bevölkerung, untertaucht. Erst vor neuen Kampfhandlungen
wird er erneut zum Waffen tragenden Kombattanten.
So sieht der
Partisan, selbst wenn er die Genfer Konventionen anerkennt, sich
gezwungen sie an einigen Stellen übertreten zu müssen, will er nicht
innerhalb kürzester Zeit der Vernichtung anheim fallen. Nichts aber
"zwingt" die Insurgenten in Falluja und in anderen Orten des Irak zu
ihrem barbarischen Tun, das vielmehr Teil und Ausdruck ihrer
Weltanschauung zugleich ist und jene unmittelbare terroristische
Willkürherrschaft antizipiert, die überall dort errichtet wird, wo
sie die Macht ergreifen.
So hatten man
wohl auch kaum die Truppe Abu Mussab al Zarkawis im Sinn, als Mitte
der 70er Jahre, der Vietnamkrieg war noch in frischer Erinnerung,
auf Initiative der Sowjetunion und ihr alliierter Drittweltstaaten
die UN-Vollversammlung ein Zusatzprotokoll zu den Genfer
Konventionen verabschiedete, das deren Geltungsbereich nunmehr auf
alle ausdehnte, "die gegen koloniale Herrschaft und fremde Besatzung
und gegen rassistische Regierungen” kämpfen. Solchen Kämpfern, auch
dann wenn sie offen Kriegsrecht brechen, garantiert dieser Zusatz
automatisch den Status von Kombattanten.
Genau auf
diese Klausel pflegen seitdem sich auch islamistische Gruppierungen
zu berufen. Die USA, damals beschäftigt mit ihrem weltweitem Kampf
gegen den Kommunismus, haben dieses Zusatzprotokoll, das zwar den
Realitäten des Partisanenkrieges versuchte gerecht zu werden,
zugleich aber Missbrauch Tür und Tor öffnete, nie ratifiziert. So
sind sie, wie Ted Lapkin kürzlich im Middle East Quarterly
feststellte, nicht einmal rechtlich daran gebunden, sich im Kampf
gegen den irakischen "Widerstand" an diese Zusatzklauseln zu halten:
die Insurgenten von Falluja stehen ihm zufolge klar außerhalb
internationalen Rechts. Die USA hielten sich sogar lediglich aus
Selbstverpflichtung im Kampf gegen Insurgenten im Irak an die Genfer
Konventionen.
Wie aber in
Zukunft mit derartigen Konflikten, die mit klassischer Kriegsführung
nichts mehr gemein haben, umzugehen und Zivilbevölkerung zu schützen
und zu versorgen ist, angesichts von Kämpfern, die Leichen verminen,
religiöse Stätten in Festungen und Waffenlager verwandeln,
Mitarbeiter von Hilfsorganisationen enthaupten, sich hinter
Zivilisten verschanzen und die weiße Fahne gezielt missbrauchen, das
sind Fragen auf die bislang keine befriedigenden Antworten
gefunden wurden. Spätestens seit den terroristischen Anschlägen auf
die Dependancen der UN und des Roten Kreuzes in Bagdad im
vergangenen Jahr kann man die Augen auch nicht mehr vor der Tatsache
verschließen, dass die traditionelle Neutralität im Konfliktfall
droht obsolet zu werden und humanitäre Hilfsorganisationen selbst
zum Angriffsziel geworden ist.
So ist es
dringend geboten, sich endlich der bitteren Realität zu stellen,
dass auch, wenn man, wie viele Menschenrechtsorganisationen es tun,
den amerikanisch geführten "War on Terror" ablehnt, den Leid
tragenden Zivilisten mit den herkömmlichen, aus der Vergangenheit
erprobten Methoden der Verteidigung von Internationalem – und
Menschenrecht, nicht effektiv geholfen wird und man mit einseitigen
Anschuldigungen zudem der Sache des Internationalen Rechts einen
Bärendienst erweist. Denn wie mit allem Recht, verhält es sich auch
mit den Genfer Konventionen: je mehr sie politisch
instrumentalisiert werden, je stärker droht, dass sie ihre bindende
Wirkung verlieren. Dass aber wäre eine Katastrophe weit größeren
Ausmaßes, als die bislang dokumentierten Verletzungen des
Kriegsrechts seitens der USA im Irak.
hagalil.com
14-01-2005 |