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Henri Curiel:
Tod eines Unbequemen

Vor 25 Jahren wurde der ägyptische Jude und Kommunist Henri Curiel in seinem Pariser Exil ermordet

Von Thomas Schmidinger
Jungle World, 30.04.2003

Am 4. Mai 1978 fuhr Henri Curiel nach dem Mittagessen von seiner Wohnung in einem Pariser Mietshaus mit dem Lift ins Erdgeschoss. Er zog seinen Terminkalender aus der Tasche, nahm seinen Druckbleistift und schlug die Seite für den 16. Mai auf. Als der Fahrstuhl unten ankam, bemerkte er deswegen vermutlich die beiden Männer nicht, die im Gang auf ihn warteten. Einer von ihnen zückte einen Colt 45 und schoss durch die Scheibe der inneren Fahrstuhltür auf den alten Mann, der sofort zusammenbrach. Zeugen sprachen nach seinem Tod von drei Schüssen, die sie gehört hätten.

So endete das Leben eines Mannes, der am 13. September 1914 in einer der größten jüdischen Gemeinden der damaligen arabischen Welt geboren wurde. Im Gegensatz zu den verarmten Jüdinnen und Juden im alten jüdischen Viertel Kairos stammte Curiel aus einer Bankiersfamilie. Sein Elternhaus im wohlhabenden Stadtteil Zamalek auf einer Insel im Nil vermachte er später dem Staat Algerien, der dort heute noch seine Botschaft unterhält.

Curiel interessierte sich schon früh für die Lebensbedingungen der einfachen ägyptischen Bevölkerung, der Arbeiter in den Städten und der bäuerlichen Landbevölkerung, die bettelarm war und noch in feudalen Strukturen arbeiten musste. Als jugendlicher Dandy in der besseren Gesellschaft Kairos vor allem bei den Frauen beliebt, waren es nicht die unzähligen Bücher, die er las, sondern seine Begegnungen mit den Fellachen (Bauern), die ihn zum Kommunisten werden ließen.

Curiel war nicht der Einzige aus dem europäisch geprägten Teil der jüdischen Bevölkerung Kairos, der in den dreißiger Jahren durch die Lektüre von Marx und Lenin und die Konfrontation mit den extremen sozialen Unterschieden des Landes zum Kommunisten wurde. Auch Hillel Schwartz und Marcel Israël gründeten in Kairo marxistische Studienzirkel. Von der KP Ägyptens, die bereits Anfang der zwanziger Jahre gegründet worden war, war wegen der Repression und diverser Spaltungen kaum etwas übrig geblieben.

Von all diesen jungen jüdischen Intellektuellen war Curiel der erste, der aus der Isolation der europäisierten jüdischen Gesellschaft Kairos ausbrach. Er, in dessen Elternhaus Französisch gesprochen wurde, lernte Arabisch, engagierte sich im antifaschistischen Widerstand gegen die nahenden deutschen Truppen und schloss sich der antikolonialen Nationalbewegung an.

Mit der Ägyptischen Bewegung für Nationale Befreiung (MELN) gründete Curiel zusammen mit anderen, unter ihnen viele Frauen, im Januar 1943 eine kommunistische Befreiungsbewegung. Unterstützt wurde er dabei auch von seiner Geliebten und späteren Ehefrau Rosette, mit der er noch vor der Ehe in einem gemeinsamen Zimmer lebte – ein unvorstellbarer Skandal in Kairo.

Schon bald wurde die MELN zur stärksten kommunistischen Gruppierung Ägyptens. Besonders erfolgreich war Curiel, der mehrfach inhaftiert wurde, bei der Agitation junger Gefangener. Selbst bei Anhängern der Muslimbruderschaft oder der faschistischen Misr al-Fatat konnte er sich Respekt verschaffen. Es folgte der Zusammenschluss mit der von Schwartz geleiteten Iskra zur Demokratischen Bewegung für Nationale Befreiung (DMNL), die 1 600 Mitglieder hatte und eine eigene Zeitung (al-Jamhir) herausgab.

Dennoch fiel es der prowestlichen ägyptischen Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg nach einer Serie von Streiks leicht, repressiv gegen die Kommunisten vorzugehen. Unerträglich wurde die Situation für jüdische Kommunisten jedoch erst nach der Gründung des Staates Israel. Curiel, der sich immer gegen den Zionismus aussprach, den UN-Teilungsplan für Palästina aber befürwortete, maß der neuen Staatsgründung keine große Bedeutung zu. Er lehnte es strikt ab, zusammen mit den antisemitischen Muslimbrüdern gegen Israel zu demonstrieren.

Für die jüdischen Kommunisten Ägyptens kam die Repressionswelle nach dem Ausbruch des ersten Nahostkrieges ebenso überraschend wie für die meisten anderen ägyptischen Juden. Mit Ausnahme der Zionisten, die in Ägypten nur eine Minderheit in der jüdischen Bevölkerung bildeten, begriffen sie sich als Ägypter jüdischen Glaubens. Curiel wurde verhaftet und in das Internierungslager Huckstep gebraucht, einen alten US-Luftwaffenstützpunkt inmitten der Wüste, wo die Wärter mit Anspielungen auf Auschwitz das ihre taten, die Lage der jüdischen Gefangenen bedrohlich werden zu lassen. Nach seiner Freilassung im Juli 1950 wurde Curiel erneut verhaftet und trotz seiner ägyptischen Staatsbürgerschaft als »ein die öffentliche Sicherheit gefährdender Ausländer« ausgewiesen. Einen Monat später wurde er auf ein italienisches Schiff gebracht, das ihn nach Europa deportierte. Er sollte Ägypten nicht wieder sehen.

Curiel blieb auch in seinem französischen Exil der nahöstlichen Politik verbunden. Die kommunistischen Parteien Italiens und Frankreichs empfanden ihn als Störenfried und denunzierten ihn wahlweise als Krawallmacher oder Zionisten. Deswegen sammelte er in Paris Exilägypter um sich und baute gemeinsam mit christlichen Priestern, jungen Linksradikalen und Humanisten ein Unterstützungsnetzwerk für die algerische Befreiungsbewegung FLN auf, das später für antikoloniale Befreiungsbewegungen von Guatemala bis Südafrika aktiv wurde. Außerdem vermittelte er zwischen verhandlungswilligen Palästinensern und der israelischen Friedensbewegung.

Wegen seines Engagements für Befreiungsbewegungen in aller Welt machte sich Curiel viele Feinde: rechtsextreme Franzosen, kompromisslose Palästinenserorganisationen sowie sämtliche Geheimdienste. Es ist kaum auszumachen, wer an seiner Ermordung das größte Interesse hatte. Klar hingegen ist, dass die Medien Stimmung gegen ihn machten. Französische Zeitungen wollten in ihm den Drahtzieher des internationalen Terrorismus sehen. In der deutschen Paranoia nach der Ermordung Hanns-Martin Schleyers schrieb der Spiegel im Oktober 1977: »Frankreich: Neuer Terrortyp«, und behauptete, dass ein in Paris lebender Ägypter »lateinamerikanische Guerilleros, palästinensische Fanatiker und deutsche RAF-Leute« organisiere.

Curiel unterstützte nie eine bewaffnete Gruppe, die keine Massenbasis hatte. Er lehnte die Aktionen der RAF ebenso ab wie jene der Eta oder der Roten Brigaden. Seine Ermordung am 4. Mai 1978 wurde bis heute nicht aufgeklärt.

hagalil.com 09-05-2003

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