Terrorwelle:
Der Schrecken von Casablanca
Die brutalen Anschläge
von Freitagnacht trafen Marokko nicht ganz unvorbereitet. Die
Attentäter stammen offenbar alle aus dem Land selbst
Reiner Wandler
Das Grauen war gut organisiert.
Innerhalb weniger Minuten explodierten am Freitagabend kurz nach 22
Uhr (0:00 Uhr MESZ) fünf Sprengsätze in der marokkanischen
Wirtschaftsmetropole Casablanca. Ein spanisches Restaurant, ein
Luxushotel in der Altstadt, zwei jüdische Einrichtungen und ein
Restaurant in der Nähe des belgischen Konsulats waren die Ziele der
Anschläge. Die schreckliche Bilanz: 41 Tote und über 100 zum Teil
schwer Verletzte. Unter den Toten befinden sich nach Angaben der
Behörden 10 Selbstmordattentäter.
19 Tote sind allein in dem privaten
spanischen Restaurant und Kulturzentrum Casa de España zu beklagen,
das vor allem von Geschäftsleuten und Diplomaten besucht wird. Unter
den Toten befinden sich zwei Spanier und drei Franzosen. Die drei
Täter hatten sich Zugang verschafft, in dem sie den Türsteher mit
einem Messer enthaupteten. Danach sprengten sich zwei der Angreifer
im Innern des Restaurants in die Luft.
Der Anschlag auf das Luxushotel Safir
Farah sollte ähnlich ablaufen. Anders als im Casa de España
scheiterten die Täter jedoch beim Versuch, das Wachpersonal zu
überwältigen. Sie zündeten ihren Sprengsatz deshalb vor dem Hotel,
in dem Marokko und USA erst vor kurzem gemeinsam ein
Anti-Terror-Symposium abhielten. Mindestens acht Menschen sollen
durch die Explosion getötet worden sein. Vor dem jüdischen Friedhof
in Casablanca riss ein anderer Selbstmordattentäter drei Menschen in
den Tod. Vor dem jüdischen Gemeindezentrum starb ein Wächter, vor
dem belgischen Konsulat starben zwei Wachleute.
Die marokkanischen Behörden sind von der
schlimmsten Anschlagserie, die es in dem nordafrikanischen Land je
gab, völlig überfordert. Überall in Casablanca strömten
verunsicherte Menschen auf die Straßen auf der Suche nach einer
Erklärung für die nächtlichen Explosionen. Weder Radio noch
Fernsehen berichteten, was geschehen war. Als Innenminister Mostapha
Sahel erst zwölf Stunden später vor die Kameras trat, klangen seine
Worte wie ein verzweifelter Aufruf, Ruhe zu bewahren: "Wir haben
alles eingeleitet, um im ganzen Land die Sicherheit zu
gewährleisten", erklärte er. Gleichzeitig wusste er zu berichten,
das "internationale Terroristen die Demokratie und den Fortschritt
in Marokko aufhalten wollen". Und dann sagte er, was die Bevölkerung
am meisten beunruhigen dürfte: "Bei den zehn toten Attentätern
handelt es sich um Marokkaner."
Sahel ließ die Grenzen Richtung Ceuta
und Melilla die beiden spanischen Enklaven an Nordafrikas Küste -
schließen, während die Polizei in Casablanca und Kenitra gezielt
Jagd auf die Anhänger der radikalen Gruppe Salafistischer Heiliger
Krieg (Dschihad Salafist) macht. Die Gruppe war bisher zwar durch
radikale Propaganda und auch durch "Strafaktionen" gegen Alkoholiker
und andere "schlechte Muslime" aufgefallen, doch stuften sie die
Behörden nicht als terroristische Gruppe ein. Bei den mittlerweile
über 60 Verhaftungen in Casablanca und Kenitra sollen jetzt
Dokumente und Sprengstoff gefunden worden sein.
Der Führer des Dschihad Salafist, Abu
Seif al-Islam, hatte ausgerechnet am Tag vor den Anschlägen durch
ein Interview in der saudi-arabischen Wochenzeitschrift
Al Majallah auf sich aufmerksam gemacht. "Nach dem 11. September
ist der heilige Krieg überall", erklärte er dort. "Die Schlacht ist
eine globale. Ich denke, wenn die Situation günstig ist, wird die
Organisation al-Qaida auch in Marokko zuschlagen." Keine 24 Stunden
nach dem Erscheinen dieser Erklärungen explodierten die Bomben von
Casablanca.
Marokko steht schon länger auf der Liste
der Länder, die al-Qaida "befreien" will. Es sei wie Saudi-Arabien
auch, "von einem gottlosen, von Amerika bezahlten Regime regiert",
bekräftigte Al-Qaida-Chef Ussama Bin Laden in seiner letzten
Ansprache.
Zwar machen sich die Behörden des
Alawitenreichs deshalb seit dem 11. September ernsthaft Sorgen um
die Sicherheit des Landes, doch kam die Bedrohung für sie immer von
außen. So ging der Polizei vor knapp einem Jahr eine Al-Qaida-Zelle
ins Netz. Die sieben Verdächtigen, von denen schließlich drei Saudis
vor Gericht gestellt wurden, sollen Anschläge gegen US-Kriegsschiffe
in der Meerenge von Gibraltar vorbereitet haben. Dazu wollten sie
sich ähnlich wie die Urheber des Attentats auf die USS Cole eines
mit Sprengstoff beladenen Schlauchboots bedienen.
Marokko galt bisher als tolerantes und
sicheres Land für Europäer und auch für die jüdische Gemeinde. Es
ist das einzige Land im Maghreb, in dem die jüdische Religion nach
wie vor ihren Platz hat. In Casablanca leben 4.000 bis 5.000 Juden.
Die Gemeinde unterhält drei Gymnasien. Der Bankier André Azoulay,
einer der wichtigsten Berater des verstorbenen Königs Hassan II. und
dessen jetzt regierenden Sohnes Mohamed VI., gehört dieser
religiösen Minderheit an. Ihm ist es zu verdanken, dass Marokko
immer wieder zwischen Israel und der arabischen Welt vermittelte.
"Wir hoffen, dass Marokko seinen
Errungenschaften, die zu Stabilität und Frieden geführt haben,
verbunden bleibt", wünscht sich nach den Anschlägen der Sprecher der
stärksten parlamentarischen Oppositionskraft, der islamistischen
Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD). Auch die Vertreter
der außerparlamentarischen al-Adl al-Ihssane (Gerechtigkeit und
Wohltätigkeit) verurteilten die Anschläge. Die beiden großen
islamistischen Bewegungen verfolgen ihre Ziele mit friedlichen
Mitteln. Nur einmal war es bisher in Marokko zu einem bewaffneten
Überfall mit islamistischen Hintergrund gekommen. Zwei Touristen aus
Spanien verloren bei einem Angriff auf ein Luxushotel in Marrakesch
1994 ihr Leben. Die Täter kamen aus Frankreich, wo sie als Kinder
algerischer und marokkanischer Immigranten aufgewachsen waren.
Nach dem Anschlag auf das Casa de España
versetzte das spanische Innenministerium die Antiterroreinheiten in
"höchste Alarmbereitschaft". "Die Attentate in Marokko bekräftigen
unsere Theorie, nach der Irakkrieg nur noch mehr Hass und Rachsucht
und dadurch mehr Unsicherheit provoziert", erklärte der Sprecher der
Sozialisten, José Blanco, dazu. Der konservative Regierungschef José
María Aznar, der gegen den breiten Widerstand der Bevölkerung die
Politik von George W. Bush und den Krieg unterstützte, sieht sich
durch die Anschläge ebenfalls in seiner Haltung bekräftigt: "Ich
möchte heute mein Engagement (...) und eine noch besseren
Zusammenarbeit mit alle denen, die wie wir der terroristischen
Bedrohung die Stirn bieten, bekräftigen", erklärte er auf einem
Meeting in Gran Canaria.
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19-05-2003 |