Ideenkomitee: Brainstorming gegen Selbstmordattentäter
Nachrichtenartikel von Amos Harel, Haaretz, 15.07.2002
Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer teilte gestern dem Kabinett mit, dass
er den Vorsitz eines Ideenkomitees führt, das aus mehreren ranghohen Beamten der
unterschiedlichen Sicherheitskräfte –Armee, Polizei, Geheimdienst-
zusammengesetzt ist, um eine Antwort auf das Phänomen der Selbstmordanschläge zu
formulieren.
Während einer Trauerfeier für die 15 Toten am Dienstagabend rief
ein Mitglied des militärischen Flügels: "Jeder Israeli, egal wo auf der Welt,
darf keine Sekunde mehr der Ruhe haben. Stellt Särge bereit, bereite eure Gräber
vor, wir wollen Rache". In einer Verlautbarung heisst es: "Wir werden
erbarmungslos israelische Kinder ermorden. In jedem Café und Restaurant, an
jeder Bushaltestelle und in jedem Autobus, auf jeder Straße in israelischen
Städten"...
Photo eines palästinensischen Kleinkinds mit Sprengstoffgürtel und
Märtyrerband, gefunden anlässlich einer Haus-durchsuchung in
Chewron, (06-02 Quelle IDF). |
Die Sitzungen dieses Ideenkomitees beinhalten Analysen von
Abschreckungsmitteln. Hier gibt es ein größeres Spektrum: Ausweisung der
Familien von Attentätern aus der Westbank nach Gaza; Verhaftung von religiösen
Führern, die sich für Selbstmordattentate aussprechen; Zerstörung der Häuser von
Selbstmordattentätern; Unterbrechung des Geldflusses zur Versorgung der Familien
von Selbstmordattentätern; Schwächung der zivilen Infrastruktur von islamischen
Wohltätigkeitsorganisationen.
Da man eine neue Welle von Selbstmordattentaten erwartet, wurden die Sitzungen
in den letzten Wochen vermehrt abgehalten. Es wird damit gerechnet, dass
Ben-Eliezer die Empfehlungen und Schlussfolgerungen, die das Team in wenigen
Wochen erreicht, zusammenfasst.
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Die Hauptideen, die in Betracht gezogen werden, sind folgende:
-
Ausweisung von Familien nach Gaza: Dieser Idee wird wahrscheinlich
zugestimmt werden, auch wenn sie nicht unbedingt ganz oben auf der Skala
angesetzt wird. Die Betonung wird auf den Verwandten, inklusive der
Eltern, liegen, die den Selbstmordanschlag unterstützen, noch bevor er
ausgeführt wird. Beweismittel hierfür sind Videokassetten, auf denen z.
B. Mütter erscheinen, die die Pläne ihrer Söhne für ein
Selbstmordattentat loben, wie es schon manchmal vorgekommen ist. Das
Büro des leitenden Rechtsberaters in Sachen Militärrecht (Judge Advocate
General’s Office = JAG) glaubt, dass der oberste Gerichtshof solche
Ausweisungen nicht verhindern wird, da der Staat argumentieren wird,
Gaza und Westbank seien eine politische Einheit. Doch unter den
Sicherheitsexperten gibt es Debatten über die Wirksamkeit der
Ausweisungen.
- Zerstörung von Häusern: Wie im Fall der Ausweisung
von Familien ist die Position des JAG diejenige, dass die Existenz des
neuen internationalen Gerichtshofes für Verbrechen gegen die
Menschlichkeit in Betracht gezogen werden muss. Geheimdienstoffiziere
betrachten die Zerstörung von Häusern als besonders effektiv, obwohl nie
empirisch bewiesen wurde, dass diese tatsächlich von Anschlägen
abhalten.
- Unterbrechung des Geldflusses: Der Irak und
Saudi-Arabien liefern finanzielle Hilfe für die Familien von
Selbstmordattentätern. Die Behörden suchen nun nach Wegen, um diesen
Geldfluss stoppen zu können, indem sie versuchen, den Weg
herauszufinden, über den das Geld in die Gebiete der PA geschmuggelt
wird und indem sie nach Bankkonten forschen, auf denen das Geld
deponiert wird.
- Schlag gegen die Geistlichkeit, die an der Hetze
beteiligt ist: Israel ist sich des Potentials der internationalen Kritik
bewusst, die aus der Verhaftung von Geistlichen resultiert, selbst wenn
es Beweise dafür gibt, dass diese Geistlichen sich öffentlich für die
Selbstmordattentäter ausgesprochen haben oder sie kennen. Es gibt noch
weitere Ideen zu diesem Thema, z. B. das Ausschalten von Lautsprechern
in Moscheen, in denen Predigten gehalten werden, die die
Selbstmordattentäter loben oder das Unterbrechen von Demonstrationen,
die von radikalen islamischen Gruppen in Gaza organisiert werden.
Die Einrichtungen der Verteidigung betrachten
Selbstmordattentäter im gegenwärtigen Zustand der Feindseligkeiten als die
gefährlichste Bedrohung für Israel und Experten sagen, dass "dieses Phänomen
nicht mit einem einzigen Schlag beseitigt werden wird". Deshalb werden Mittel
diskutiert, um die Wurzeln des Problems zu beseitigen. "Sie sehen die
Selbstmordanschläge als ihren Weg, ihren Traum von einem Staat zu verwirklichen.
Nur wenn wir den Familien klar machen, dass es keine Möglichkeit gibt, diesen
Staat durch Selbstmordanschläge zu bekommen, gibt es eine Chance, die Zahl der
Freiwilligen zu reduzieren", sagte einer der Sicherheitskräfte.
Ein anderer sagte, die Strategie wird die der "Überraschung sein. Manchmal
werden wir mit Ausweisung reagieren, manchmal mit der Zerstörung von Häusern,
manchmal mit Verhaftungen. Die wichtigste Sache ist, dass sie verstehen, dass
Israel sie verfolgen wird und die Häuser der Selbstmordattentäter wieder und
wieder zerstören wird, wenn sie versuchen werden, sie wieder aufzubauen."
Die Teams der Ideenkonferenz beziehen sich auf eine gemeinsame Studie des
Geheimdienstes Shin Bet und des militärischen Geheimdienstes, die wiederum auf
Daten basiert, die vom Regierungskoordinator in den Territorien gesammelt
wurden. Eine Überprüfung von 54 Selbstmordattentätern aus der Westbank zeigte,
dass nur 60% in das Profil der Selbstmordattentäter passte, das der Shin Bet vor
fünf Jahren erstellt hatte. Bis jetzt sind immer noch fast alle –95%-
unverheiratet. Doch es gibt auch ein paar verheiratete Selbstmordattentäter. Die
große Mehrheit ist kaum älter als 20-25 Jahre. Die meisten kommen aus der
unteren Mittelschicht und keiner war ein führendes Mitglied einer Terrorgruppe.
Gemeinsam mit dem Wunsch nach dem sozialen Status der Familie ist die
öffentliche Stimmung in den Territorien, die Selbstmordanschläge für legitim
hält, einer der Schlüsselfaktoren, die die Selbstmordattentäter zu ihren Taten
ermutigt. Weitere Faktoren beinhalten persönliche Umstände.
Trotz PA-Äußerungen gegen die Selbstmordanschläge bietet die PA Unterstützung
für die Familien. In manchen Fällen wurden Beerdigungen für die Attentäter von
ranghohen PA-Beamten besucht, auch von Bürgermeistern und Distriktleitern. Und
die PA hilft, Zelte für die Trauernden aufzubauen, die zur Trauer um
Selbstmordattentäter der Fatah-Bewegung kommen.
In den Dörfern, Flüchtlingslagern und unter den Armen in den palästinensischen
Städten sind Selbstmordanschläge eine lokale Quelle des Stolzes. Straßen werden
nach Attentätern benannt und beim Aufzählen derjenigen, die als Märtyrer durch
die Hände der Israelis sterben, werden Selbstmordattentäter als die vornehmsten
genannt.
"In den Territorien gibt es eine Heiligung des Todes", sagte einer der ranghohen
Offiziere. "Es gibt Straßen, in denen die Graffitisprüche lauten: ‚Bewahre uns
vor dem Tod durch natürliche Umstände.‘ Die Flugblätter beinhalten Loblieder auf
den Tod und in manchen Dörfern gibt es einen neuen Mystizismus bezüglich der
Gerüchte um Selbstmordattentäter, die Lebenszeichen von sich geben, nachdem sie
beerdigt worden sind."
haGalil onLine 16-07-2002 |