hebraeisch.israel-life.de / israel-tourismus.de / nahost-politik.de / zionismus.info
Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
 
Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

Jüdische Weisheit
Hymne - Israel
Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!
Advertize in haGalil?
Your Ad here!

So viel Lava, so viel Gestein
VERLETZTE SEELEN

Notizen über einen Familienbesuch in Israel

Rodika Mandel

Seit Monaten forderte mein Mann mich auf, wir sollten endlich wieder zu den Verwandten nach Israel fahren, wir seien schon viel zu lange nicht mehr dort gewesen. Bei Anrufen aus Tel Aviv endete jedes Gespräch mit der Frage, wann kommt ihr wieder? Ich konnte nicht gut erklären, dass mich die Angst zaudern ließ - Angst wegen der Bombenanschläge, der Attentate, der Sirenen, der Nachrichten in den Medien. Meine Familie in Israel muss jeden Tag damit leben und nicht wie ich nur mit den Bildern. Fast könnte ich sagen, dass ich an schreckliche Angst gewöhnt bin. Sie hat mich oft in meinem Leben begleitet, obwohl ich nicht im Budapester Ghetto war wie meine Mutter und keine Zwangsarbeit leisten musste, wie mein Vater während der Nazizeit.

Gottseidank gibt es eine allmächtige Lebensenergie, die mich dann doch verreisen ließ - und so waren wir für einen Monat in Israel. In einem Land, in dem diesmal so vieles anders war, als ich es kannte.

Ich empfinde Trauer über das Trauerspiel meines Volkes, wie ich es jetzt erlebt habe. Trauer über diesen Berg, der so viel Lava und Gestein ausspuckt, jeder Brocken bereit, mich zu erschlagen, und wenn jemand neben mir steht, den gleich mit. Dieser Vulkan, der nicht nur in mir, sondern in ganz Israel ausgebrochen scheint, der die Araber vertrieben hat, das Vertrauen erschlägt und nur Asche und öden Hass hinterlässt. Wie soll es Frieden geben, wenn auf beiden Seiten Vulkane tätig sind, wenn Menschen sterben, deren tote Seelen in der Luft zu spüren sind und keine Entspannung zulassen? Zwar feiert man in der Familie und in Freundeskreisen, trifft man sich wie in jeder Woche am Sabbat zum gemeinsamen Essen und fühlt sich wohl. Doch in dem Augenblick, da man sein Zuhause verlässt, ist eine unglaubliche Anspannung zu spüren. Wenn du in den Bus einsteigst, schaust du den Leuten genau ins Gesicht - ist das ein Araber, ein Selbstmörder, der mit dir fährt? Solltest du an der nächsten Station aussteigen? Hat vielleicht deine letzte Stunde geschlagen?

Ich verbringe einen Tag am Toten Meer, steige entspannt aus dem Hotelpool, da begegnen mir die ersten Männer im Rollstuhl. Schöne, dunkeläugige, kräftige Männer. Einer hat ein kleines Mädchen auf seinen Beinen sitzen, das mit ihm herumgefahren wird. Kinder sind kreativ, können dem Leben wunderbare Seiten abgewinnen. Sie sind so hilfsbereit - sie können Nähe, Lustigkeit und Vergessen spenden.

Am Frühstücksbüffet bedient eine junge Frau ihren Mann. Wie gut sie es haben: Zwei Wochen im Jahr bezahlt die israelische Krankenkasse den Verletzten einen Aufenthalt in diesem Hotel bei Anwendung all der Gottesgaben des Toten Meeres. Der Schwefel, die Salze, das Klima lindern die Schmerzen. Und für den Rest des Jahres, wie leben sie da, die einstigen Soldaten, diese lebenshungrigen Männer mit ihren amputierten Beinen und Armen? Was tun die Kinder, wenn der eigene Vater zum hilflosen Kind wird? Wenn er nicht mehr das Frühstück vorbereiten kann, nicht mehr mit ihnen um die Wette läuft und gewinnt?

Abends in der Hotelbar beobachte ich einen Vierjährigen. Er rempelt die Leute an, tritt seine Schwester im Rhythmus der Musik. Er scheint ausgesprochen musikalisch. Er hat die Schwingungen in sich, kann die Wut gegen das Leben wenigstens gegen die große Schwester auskosten. Die wirkt ein wenig hilflos: soll sie sich vor allen Leuten schikanieren lassen - wie viel soll sie hinnehmen? Wie gut, dass man tanzen kann, dass man lebt. Der Vater schaut vom Rollstuhl aus zu. Ist er dankbar, dass er überlebt hat? Oder findet er das Leben, das bleibt, ungerecht, weil es ihn so behandelt? Ihn, der einmal so gern getanzt hat?

Immer ist für mich in diesen Tagen der Terror der arabischen Fanatiker präsent. Ob ich im Pool schwimme und zuschaue, wie ein junger Mann mit einer Hebeeinrichtung in den Pool gehoben und später wieder herausgezogen wird. Während der stündlichen Fernsehnachrichten bei meinen Verwandten. (Schon am frühen Morgen läuft der Fernsehapparat.) Oder im Bus, wenn der Fahrer Radio hört, vollaufgedreht, damit alle dabei sein können, wenn es wieder eine Horrornachricht gibt und alle hilflos und wütend zuhören.

Wie lebt meine Cousine damit, dass ihre beiden Söhnen jetzt, da sie die Wehrpflicht unbeschadet überstanden haben, wieder für mindestens eine Woche im Monat verschwinden? Wie schafft sie es, zur Arbeit zu gehen, zum Friseur, mit den Nachbarn zu reden, mit den Freunden Karten zu spielen? Ist es das Gehaltenwerden durch die anderen, die ein ähnliches Schicksal haben, und mit denen man pokert? Was kann eine Mutter tun, wenn sie ihren Sohn so bedroht fühlt wie jetzt? Kann man sich bei dieser Angst wirklich noch gegenseitig helfen?

Die Mutter meiner Cousine war in Auschwitz. Jede Energie, die ihr damals - in den Jahren des Lagers - blieb, war nur auf das Überleben gerichtet. Wie geht sie jetzt mit der Gefahr für ihre Enkelkinder um? Den Jüngeren verwöhnt sie mit einem Schnitzel, während der Rest der Familie mit einem Omelett auskommen muss - sie mixt ihm einen Bananen-Shake, weil er so wenig isst. Dabei ist er 19 und beherrscht so manchen Handgriff an der Waffe. Du bekommst alles, was du willst, nur bleib am Leben, komm gesund wieder, damit ich dir wieder ein Milch-Shake mixen machen kann. Jeder Streit ist verziehen, wenn er geht.

In Berlin ruft meine Freundin an: Bist du erkältet aus Israel zurück gekommen? War das Wetter nicht schön? - Was soll ich ihr sagen? Dass meine belegte Stimme nicht von einer Erkältung herrührt, sondern vom Weinen über Israels Kinder? Ich erzähle, was ich erlebt habe, und beschreibe meine Verwunderung darüber, dass die Familie trotz der alltäglichen Gefahren zu leben - gut zu leben versteht. Dass sie dort mit einer Bedrohung leben, die sich - unterschwellig, unhörbar, unüberwindbar - mit jener alte Erfahrung verbindet, die in ihnen ist und die sie nicht immer zwischen Realität und Fata Morgana unterscheiden lässt. Ich erzähle, wie gut sie ihren Alltag beherrschen, dass es Kichererbsen (Humus) mit Falafel gibt und dass es ihnen oft gelingt, die Angst in Trotz und Wut zu verwandeln, um über die Schmerzen der anderen Seite hinwegzugehen und das Land zu verteidigen.

Ich erzähle, dass mich ein solches Leben schmerzt, weil es so viel Ungerechtigkeit in sich trägt und mich meine Ohnmacht spüren lässt. Dieses tiefe Gefühl, hilflos zu sein, hatte meiner Mutter im Ghetto das Leben gerettet, als sie sich vor den SS-Leuten in einem Hauseingang versteckt hielt und ihnen nicht trotzig entgegentrat. Mir aber hat es bis heute eine Bürde aus Angst auferlegt, ja keinen falschen Schritt zu tun.

Auf dieser Reise ist mir mehr als jemals zuvor, die Hilflosigkeit bewusst geworden, in der sich viele Israelis befinden. Der 19-jährige Sohn meiner Cousine hatte mir eines Tages erklärt: "Mir ist es lieber, mein Freund bleibt am Leben, als dass ich die besetzten Gebiete halte. In Jerusalem ist es anders, dort werden wir von ihren Gewehren bedroht sein, wenn wir nachgeben ..."

Und ich dachte während des Gesprächs, warum sagt ihr nicht, dass ihr keine Mörder seid, dass ihr auf die Steinewerfer reagiert? Warum sagt ihr nicht, dass die Soldaten an der Staatsgrenze nicht mit Steinen werfen können, wenn sie ihr Land verteidigen? Warum sagt ihr nicht, dass ihr Vorschläge habt für den Frieden, warum hört man so wenig von Euch in den Medien? Ihr steht da, wie Leute, die anderen etwas weggenommen haben, und nicht wie solche, die Sicherheit für ihre Kinder und Enkelkinder wollen. Und ich höre ihre Antworten: "Wir wissen nicht, wie wir es machen sollen. Wenn wir zu Konzessionen und Verträgen bereit sind, werden die Forderungen an uns erhöht, dann will die andere Seite immer mehr - noch mehr von unserer Sicherheit. Und wir wissen nicht, wo ist die Grenze für sie. Es fehlen uns 2000 Jahre Erfahrung. Wie sollen wir vertrauen, wenn das Leben uns das nicht gelehrt hat?"

Die Eltern von Rodika Mandel sind Opfer des Holocausts, haben Deportation und Zwangsarbeit überlebt und gingen 1945 nach Israel. 1962 übersiedelte die Autorin nach Deutschland und unterrichtete später als Studienrätin Französisch und Geschichte an einem Gymnasium in Berlin. Heute arbeitet sie als freie Autorin.

haGalil onLine 14-02-2002

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved