Anschläge auf Bali:
Einfache Antwort, falsche Frage
Kaum eine
offizielle Stellungnahme zu dem Anschlag auf Bali, kaum ein
Kommentar kommt ohne die Frage aus: War es al-Qaida? Und gleich ist
auch ein schlauer Experte oder gar ein Minister zur Hand, der dies
eindeutig mit Ja beantwortet. Das Schöne daran: Die Behauptung kann
gänzlich falsch nicht sein, denn die Definition dessen, was die
al-Qaida darstellt, ist extrem diffus - Mitgliedsausweise stellt sie
jedenfalls nicht aus. Wird die Aussage dann auch noch qualifiziert,
indem nur "Verbindungen" zur al-Qaida unterstellt werden, schwindet
der letzte Rest einer sinnvollen Analyse.
Kommentar von Eric
Chauvistre
Auch bei den
Anschlägen vom 11. September sind sich selbst die Geheimdienste
längst nicht sicher, dass die Pläne dafür im Zirkel um Ussama Bin
Laden in Tora Bora oder bei der Gruppe um Mohammed Atta in
Hamburg-Harburg geschmiedet wurden. Die Frage ist deshalb, was eine
behauptete Verbindung zur al-Qaida genau bedeutet. Denn das Spektrum
der denkbaren Verbindungen bewegt sich zwischen dem Modell einer
Kaderstruktur, bei der die Befehle von Bin Laden oder seinem inneren
Zirkel ausgehen, einerseits und einem breit gefächerten Kreis von
eigenständig agierenden Anhängern andererseits. Dazwischen ist jede
Konstellation denkbar.
Entscheidend ist die
Frage nach der Art der Verbindung deshalb, weil die Antwort einen
elementaren Unterschied bei der Wahl der Strategie zur Verhinderung
künftiger Anschläge macht. Betrachtet man die al-Qaida primär als
einen schlagkräftigen Apparat, dann wäre das Problem mit der
Zerstörung seiner Strukturen beseitigt. Dies ist der Ansatz, der dem
seit einem Jahr währenden so genannten Antiterrorkrieg zugrunde
liegt.
Betrachtet man das,
was als al-Qaida beschrieben wird, jedoch primär als ideologische
Klammer und als Finanzierungsnetzwerk, dann liegt die Vermutung
nahe, dass der "Antiterrorkrieg" die Vorbildfunktion des zum
Untergrundhelden aufgestiegenen Ussama Bin Laden verstärkt und die
Rekrutierung neuer Attentäter vereinfacht hat.
Der pauschale
Verweis auf die al-Qaida wird sich dennoch halten - weil er so
bequem ist. Denn wer das Problem auf die Existenz einer Organisation
reduziert, der hat mit dem "Antiterrorkrieg" gleich eine Lösung des
Problems parat. Und da das Zentrum des Terrors offenbar noch nicht
zerstört ist, geht der Krieg halt noch ein paar Jahre oder
Jahrzehnte weiter. Eine differenzierte Analyse der Verflechtung und
Machtbasis von Terrorgruppen würde da nur stören.
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15-10-02 |