Israelisch-palästinensische Gruppendynamik:
Die Spielregeln haben sich geändert
Alex Fischmann, Jedioth achronoth
Der Anschlag in Jerusalem war kein weiterer
Racheakt der Hamas. Er kann als strategischer Anschlag definiert werden,
als Anschlag, der eine Wende herbeiführt. Von nun an müssen die Dinge
anders ablaufen. Man kann die Roadmap fortsetzen, auch die Feuerpause,
die Spielregeln haben sich jedoch geändert. Es kann keine gegenseitigen
Tricks mehr geben, mit welchen Zeit gewonnen werden soll. Es kann keine
israelisch-palästinensische Gruppendynamik mehr geben, mit der die
Amerikaner zufrieden gestellt werden sollen.
Eine Fortsetzung des politischen Prozess ist lebenswichtig, denn die
Alternative wäre eine Rückkehr in den unendlichen, blutigen Kreis. Die
beiden Seiten müssen jedoch beschließen, und zwar jetzt, wie das
wirklich getan werden kann. Dahlan sprach letzte Woche mit Mofas über
die Bemühungen der PA, die Terrororganisationen davon abzuhalten,
Anschläge zu verüben. Hamas hat bewiesen, dass sie auch auf Dahlan
pfeift. Dahlan und die Hamas saßen einen Tag vor dem Massenmord in
Jerusalem zusammen und berieten über eine Verlängerung der Hudna. Die
Theorie, Hamas sei an einer Fortsetzung der Hudna interessiert, sind
inhaltslos.
Der Verteidigungsminister gab inzwischen die Anweisung, eine Absperrung
über die Gebiete zu verhängen, die palästinensischen Städte einzukreisen
und jeden Kontakt zur PA abzubrechen. In anderen Worten: der Staat
Israel kehrt zu der Situation vor der Hudna zurück. Die nächste Phase
wird dann wohl wieder eine Rückkehr zu intensiven militärischen Aktionen
sein, einschließlich Liquidierungen und Einmarsch von Truppen in den
Gazastreifen, um Verhaftungen vorzunehmen und gegen die Produktion der
Kassam-Raketen vorzugehen. Keiner will wieder in diese zweite Phase
zurück. Auch nicht Israel. Die sicherheitspolitische Ebene in Israel
will die Hudna noch immer nicht ganz lassen. Bei uns will man noch immer
daran glauben, dass der Anschlag die palästinensische Gesellschaft
veranlassen wird, mit ihren Wahnsinnigen in Hamas und Jihad abzurechnen.
Man glaubt noch immer daran, dass Dahlan jetzt vielleicht damit beginnen
wird, ernsthaft gegen die Terrorfaktoren vorzugehen. Dass sich
vielleicht der "Wendeanschlag" ereignet hat.
Israel steht nun wieder vor dem Dilemma der "Dosierung der Reaktion".
Die Absperrungen und Blockaden werden der Bevölkerung den Preis der
Anschläge verdeutlichen. Die Reaktion muss so dosiert werden, dass sie
nicht zum Ende der Alternative in Gestalt von Abu-Masen und Dahlan
führen wird.
Die Hudna bewirkte, dass die Amerikaner eingeschlafen sind. Nach dem
gestrigen Anschlag kann die amerikanische Regierung jedoch nicht länger
die Augen verschließen. In Berichten, die John Wolf erst in den letzten
Tagen vorgelegt hat, kommt die Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass
die Palästinenser wirklich nur minimale Maßnahmen zur Terrorbekämpfung
ergreifen. In Israel wird angenommen, dass sich die amerikanische
Regierung nun wieder intensiv mit unserem Konflikt befassen wird, um
einen ihrer deutlichsten außenpolitische Erfolge zu bewahren: die
Roadmap. Dies bedeutet direkten und verstärkten Druck auf die PA. Das
ist ein weiterer Grund, im Moment noch nicht das ganze Porzellan zu
zerschlagen.
hagalil.com
20-08-03 |