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Leben mit Tragödien

Hilflosigkeit, Angst und Hass prägen die Reaktionen der Israelis auf immer neue Anschläge

Von Thorsten Schmitz

Wie viele Tragödien erträgt ein Volk? So lautete die meist gestellte Frage nach dem Selbstmordattentat in Jerusalems Innenstadt – während in den Straßen von Ramallah mehrere hundert Palästinenser den Tod von 15 Menschen bejubeln. 15 Menschen hat ein 23-jähriger Palästinenser mit in den Tod gerissen, innerhalb Sekunden 15 Tragödien geschaffen. Mordechai und Tzira Schiwarschuder waren mit fünf ihrer insgesamt acht Kinder in dem italienischen Schnellrestaurant „Sbarro“, als am Donnerstagmittag die fünf Kilogramm schwere Bombe explodierte.

Der Attentäter hatte die Bombe mit Schrauben und Nägeln versetzt, um schwere Verletzungen zu bewirken. Von der vor einem Jahrzehnt aus Holland eingewanderten Familie waren Vater, Mutter und drei Kinder im Alter von zwei, vier und vierzehn Jahren sofort tot. Zwei kleine Töchter liegen schwer verletzt im Krankenhaus und wissen noch nicht, dass ihre halbe Familie ausgelöscht wurde. Die drei älteren Söhne hatten den Ausflug nach Jerusalem nicht mitgemacht. Sie mussten im forensischen Institut in Tel Aviv die deformierten Leichen ihrer Eltern und Geschwister identifizieren. Die Brüder stehen unter Schock. Nur mit Hilfe von Medikamenten konnten sie die Beerdigung am Freitag durchstehen.

Die Medien haben die Tragödie der Familie in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung gerückt. Das Land hat kaum das Attentat auf die Stranddiskothek in Tel Aviv verkraftet, bei dem 21 Jugendliche getötet worden waren, da wird es erneut mit Schicksalsschlägen konfrontiert. Man erfährt von einer schwangeren Touristin aus New Jersey, die erst ein paar Tage in Jerusalem war und Appetit hatte auf ein Stück Pizza – und nun samt dem ungeborenen Kind begraben wird. Man erzählt sich die wundersame Geschichte eines unverletzt gebliebenen Rabbiners, der sich vor dem Lärm an einem Fensterplatz in eine hintere Ecke des Lokals zurückgezogen hatte. Und es wird eine 24-Jährige aus Jerusalem von Fernsehkameras bestürmt, deren flackernder Blick den drohenden Nervenzusammenbruch signalisiert: Sie war wenige Meter von dem Lokal entfernt, als der Attentäter seine Bombe zündete und abgerissene Gliedmaßen an ihr vorbei durch die Luft wirbelten – und es war das dritte Mal in ihrem Leben, dass sie einen Anschlag eines Palästinensers überlebte.

Nach Selbstmordattentaten läuft stets dieselbe Choreographie ab. Zunächst hört man nur, es habe einen Anschlag gegeben. Die Handy-Netze sind überlastet. Radio- und Fernseh-Reporter eilen zum Ort des Geschehens und berichten vage über viele Verletzte. Im Fernsehen erscheinen Stadtpläne, da Bilder noch nicht verfügbar sind. Landesweit laufen Fernseher und Radios, auf Flughäfen und in Kiosken, in Bussen und in Supermärkten. Mit den ersten Bildern steigt die Zahl der offiziell bestätigten Toten – und die Hilflosigkeit. Reporter bestürmen Minister mit immer derselben Frage: Wie der Terror beendet werden kann? Die Politiker sagen immer dasselbe: dass Palästinenserpräsident Jassir Arafat schuld sei, weil er die Terroristen aus den Gefängnissen freigelassen habe. Sie appellieren an die USA und an die EU, Israel zur Seite zu stehen und Arafat zu isolieren.

Der Einzige, der immer weiß, was zu tun ist, ist Benjamin Netanjahu, Vor-Vorgänger und Intimfeind von Premierminister Ariel Scharon. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck kritisiert er zwischen den Zeilen Scharons Politik der Zurückhaltung und klassifiziert die Palästinensische Autonomiebehörde als „Hort von Terroristen“. Das hören die meisten Israelis in blanker Existenzangst gern. Netanjahu, der vor zwei Jahren von der politischen Bühne abtreten musste, schwimmt auf einer landesweiten Welle der Ressentiments gegen die Palästinenser einem Comeback entgegen. Die Umfragewerte für ihn steigen. Grimmig nannte er vom fernen Australien aus Arafats Autonomiebehörde ein Regime, das es „auszuschalten“ gelte.

Scharon gerät immer stärker unter Druck. Seine Politik der Einfrierung jeglicher Gespräche mit Arafat isoliert ihn außenpolitisch. Innenpolitisch gerät er in eine Sackgasse, weil die Stimmung in rechten Teilen der Bevölkerung nach Rache ruft. Palästinensische Arbeiter auf dem Obstmarkt „Mechane Yehuda“ in Jerusalem wurden von Polizisten vor wütenden Israelis geschützt.

Zugleich steht und fällt Scharons Zukunft mit der Haltbarkeit seiner Koalition. Nur wenige Stunden vor dem Anschlag in Jerusalem hatten Scharon und sein linker Außenminister Schimon Peres noch öffentlich gestritten. Peres plädiert für Kontakte zu Arafat. Rechte Minister wie Avigdor Lieberman hingegen wollen palästinensische Strukturen in Gaza und im Westjordanland zerbomben, andere wollen palästinensisches Autonomiegebiet zurückerobern, einer verlangt die Tötung Arafats. Dass die Flagge Israels nun über dem Orient- Haus weht, ist manchen in Israel Anlass zum Triumph.

 sz 010801
haGalil onLine 08-10-2001

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