Eskalation von militärischer Aktivitäten:
Arafat trägt die Verantwortung
Analyse von Ze’ev Schiff, Ha’aretz, 22.08.2003
Im Anschluss an die gezielte Tötung des ranghohen Hamasführers
Ismail Abu Shanab können wir eine Eskalation von militärischen
Aktivitäten erwarten, bei der Israel und die Hamas Schläge
austauschen werden.
Und die Person, die den größten Einfluss darauf hat, wie lang diese
Periode dauern wird, ist nicht der palästinensische Premierminister
Mahmoud Abbas, sondern der PA-Vorsitzende Yassir Arafat. Dieser
hatte am Mittwoch noch vor Israels Schlag gegen Abu Shanab die Bitte
zurückgewiesen, die Kontrolle über zwei wichtige
PA-Sicherheitsdienste an Abbas und seinen Sicherheitschef Mohammed
Dahlan zu übergeben.
Arafat vertagte auch die Besprechung über einen Plan, der ihm von
Abbas und Dahlan zum Vorgehen gegen die Hamas und den Islamischen
Dschihad infolge des Selbstmordanschlages am Dienstag in Jerusalem,
vorgelegt worden war.
Israels Sicherheitskabinett, das die Erwiderung auf den Jerusalemer
Busanschlag erörterte, zog die erwartete Eskalation in Betracht.
Wenn die Eskalation weitergeht, wird Abu Shanab bestimmt nicht der
letzte Hamasführer im Visier Israels sein. Es wird sicher auch
umfangreiche Verhaftungen überall in der Westbank geben.
Die Entscheidung, den Rahmen der Verhaftungen zu erweitern, wurde
getroffen, nachdem Israel entdeckt hatte, dass am gleichen Tag, an
dem ein Attentäter der Hamas aus Hebron kam und den Bus in Jerusalem
in die Luft sprengte, auch ein Attentäter einer Zelle des
Islamischen Dschihad aus Westsamaria auf dem Weg zu einem
Selbstmordanschlag nach Haifa war. Er wurde jedoch verhaftet.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Hamas, die gestern ein Ende
der Feuerpause verkündete, nun versuchen wird, an unterschiedlichen
Fronten gegen Israel zu kämpfen. Absurd ist, dass der Anschlag in
Jerusalem, der 20 Menschen tötete, und ein weiteres
Selbstmordattentat der letzten Woche, das weniger Opfer forderte,
von der Hamas als Teil der Feuerpause angesehen werden.
Während der Wochen des Waffenstillstandes, in denen weder die
israelische Verteidigungsarmee noch die Sicherheitsdienste der PA
gegen die Hamas vorgingen, hat diese Organisation ihre Stärke und
ihre Fähigkeiten wieder aufgebaut. Nun wird sie zweifellos
versuchen, Kassam-Raketen und Mörsergranaten auf israelische Städte
zu schießen, Bomben an Straßenrändern zu zünden, Hinterhalte auf den
Straßen im Gazastreifen zu legen und israelische Siedlungen
anzugreifen. Natürlich wird sie auch versuchen, mehr
Selbstmordanschläge durchzuführen. Und sie wird versuchen, den
Islamischen Dschihad und Fatah-Zellen dazu zu bewegen, sich derlei
Aktionen anzuschließen.
Die Erklärung, die gestern von Dahlans Sprecher abgegeben wurde und
in der gesagt wurde, dass Dahlan vorgehabt hätte, gegen die Hamas
vorzugehen, diesen Plan jedoch wegen der Ermordung Abu Shanabs
aufgegeben hätte, wurde in Israel mit Verachtung entgegen genommen.
Warum hat Dahlan nicht früher gehandelt? Warum hat er wiederholt
gesagt, er habe nicht die Absicht, gegen die terroristische
Infrastruktur vorzugehen?
Dahlans Organisation tat während der eineinhalb Tage, die dem
Attentat in Jerusalem folgten, absolut nichts. Dies hat die
israelische Verteidigungsarmee dazu bewegt, zu handeln. Der
palästinensische Sicherheitsplan, der angeblich jetzt erst
"eingefroren" wurde, befand sich tatsächlich schon seit langem im
Tiefkühlschrank, obwohl Israel Dahlan wiederholt gewarnt hatte, dass
sein Nichtstun möglicherweise im Desaster enden werde.
Letzte Woche bewies der präventive Sicherheitsdienst der PA, dass er
handeln kann, wenn er will. Nachdem ein mit einem Sprengstoff
versehenes Fahrrad neben das Büro des Sicherheitsdienstes gestellt
worden war, verhaftete dieser sofort die dafür verantwortlichen
Mitglieder des Islamischen Dschihad. Zwei der Verhafteten wurden bei
einem Feuergefecht, das während dieser Verhaftungsoperation
stattfand, verwundet.
Als die USA und Israel nach dem Anschlag vom Dienstag Abbas und
Dahlan dazu gedrängt haben, gegen die terroristische Infrastruktur
vorzugehen, baten die beiden erst einmal um Zeit, um das Kabinett
der PA einzuberufen. Dann sagten sie, sie müssten den Plan dem
Vorstand der PLO vorlegen, welcher von Arafat angeführt wird. Doch
Arafat genehmigte den Plan nicht und sagte stattdessen, man müsse
ihn erneut erörtern. All dies geschah vor der gezielten Tötung von
Abu Shanab.
Während dieses Treffens wurde Arafat auch gebeten, die Kontrolle von
zwei wichtigen Sicherheitsorganisationen zu übergeben. Es handelte
sich hierbei um den Nationalen Sicherheitsdienst und um den
Allgemeinen Geheimdienst, über die Arafat immer noch die Kontrolle
hat, obwohl der Reformplan der PA gefordert hatte, alle
Sicherheitsdienste unter Abbas‘ Kontrolle zu stellen. Arafat hatte
erwidert, dass er diese Forderung erst eingehend bedenken müsse. Wie
gewöhnlich weigerte er sich nicht gänzlich. Doch er gab auch nicht
die Zustimmung.
Es ist unmöglich vorherzusehen, wie lange die Periode der
Eskalation, in die wir nun eintreten werden, dauern wird. Die
Amerikaner werden sicher versuchen, sie abzukürzen, sowohl durch
diplomatische Aktivitäten als auch durch die Ausübung von Druck.
Israel hat Washington darüber informiert, dass es sich weiterhin dem
diplomatischen Prozess verpflichtet fühlt. Doch es sieht keine
Möglichkeit eines Erfolgs dieses Prozesses, wenn nicht gegen die
terroristische Infrastruktur vorgegangen wird.
Die Haltung der USA gegenüber der terroristischen Infrastruktur hat
sich seit dem Anschlag vom Dienstag erhärtet. Doch hat sie noch
nicht die Stufe von Ultimatums erreicht. Und dafür verdient
Washington Kritik. Vor der Akaba-Konferenz sagten die Amerikaner den
Israelis, dass Dahlan viel Zeit benötigen werde, bevor er fähig sei,
den Terror zu bekämpfen. Israel stimmte zu, dass Dahlan einige Zeit
für die Organisation brauche, doch es warnte davor, dass die Hamas
die Feuerpause ausnutzen werde.
Als Israel den Amerikanern mitteilte, dass drei bis vier Wochen an
Vorbereitungszeit genügen sollten, bevor Dahlan erste Aktionen
unternehmen könne, erwiderten die Amerikaner, dass sie den Zeitplan
diktieren würden. Diese Antwort rief eine harte Auseinandersetzung
zwischen dem amerikanischen Außenminister Colin Powell und dem
Generalstabschef der israelischen Verteidigungsarmee, Moshe Ya’alon,
hervor, als letzterer zu Besuch in Washington war.
Nun, nach dem Attentat in Jerusalem, beginnt Amerika, härtere
Forderungen bezüglich der sofortigen Vernichtung der terroristischen
Infrastruktur zu stellen. Powell rief außerdem Arafat dazu auf,
sofort die Verantwortung für die Sicherheitsdienste an Abbas
abzugeben. Etwas, das er unter dem Reformplan schon längst hätte tun
sollen.
Dadurch wird der Finger der Anklage auf Arafat gerichtet. Dadurch
wird auch bestätigt, dass Arafat der Mann ist, der die
Entscheidungen trifft, während Abbas, der unfähig ist, etwas
eigenhändig zu tun, auf Arafats Befehl warten muss.
Übersetzung Daniela Marcus
hagalil.com
24-08-2003 |