Wie du mir, so ich dir:
Der Terror geht weiter
Kommentar von Yoel Marcus, Ha'aretz, 18.01.2005
Übersetzung Daniela Marcus
Die Entscheidung von Premierminister Ariel
Scharon, Abu Mazen (Mahmoud Abbas) die kalte Schulter zu zeigen bis
der Terror beendet wird, ist gerechtfertigt. Es handelt sich hierbei
nicht um einen Trick, die Umsetzung des Abkoppelungsplans zu
umgehen. Im Prinzip ist es Scharon lieber, während der Ausführung
des Planes jemanden auf der anderen Seite zu haben, mit dem er reden
kann.
Er möchte einen Dialog in freundlicher Atmosphäre.
Er möchte jemanden auf der Empfängerseite haben, dem die
Vermögensgegenstände der Siedlungen überreicht werden können. Er
möchte ein Übereinkommen für eine zukünftige Kooperation zwischen
der palästinensischen Autonomiebehörde und der israelischen
Regierung. Er möchte, dass der Gazastreifen die Türschwelle für
weiterführende Gespräche und für die schrittweise Umsetzung des
"Fahrplans" wird.
Wir sahen die Gesichter der palästinensischen
Wähler, als diese zu den ersten demokratischen Wahlen der
palästinensischen Autonomiebehörde gingen. Sie strahlten vor Freude
und Optimismus. Wir sind also nicht die einzigen hier, die müde
sind. Sie sind es auch. Auf beiden Seiten gab es Hoffnung auf ein
Ende der Gewalt und auf eine bessere Zukunft.
Niemand stellte sich vor, dass die Woche von Abu
Mazens Amtseinführung eine der schwierigsten und enttäuschendsten
werden würde, die wir bisher gesehen haben. Ich sage nicht, dass Abu
Mazen dieses neue Blutbad organisiert hat, um seinem Volk zu
beweisen, dass er nicht weniger hart und zweigesichtig ist wie sein
Vorgänger Jassir Arafat, mit dem Allah Gnade haben möge. Doch es
gibt eine Menge Ähnlichkeiten: Man spricht über einen gerechten
Frieden zwischen beiden Völkern, lächelt in die Kameras und übt
Terroranschläge aus. Und wenn die Bomben explodieren, entschuldigt
man sich sofort für das Töten von Menschen. Abu Mazen ist bereits
Premierminister gewesen. Nach vielen Jahren an Jassir Arafats Seite
weiß er, wie das System funktioniert: Schieße und heule.
Es ist lächerlich zu sagen, Scharon habe zu
voreilig reagiert, indem er das Treffen mit Abu Mazen abblies. Und
es ist lächerlich, Scharon dafür zu kritisieren, dass er Abu Mazen
nicht die in der Politik übliche 100-Tage-Schonfrist lässt. Abu
Mazen hatte genug Zeit, sich in die palästinensische
Autonomiebehörde einzuarbeiten. Er weiß, wer die Initiatoren der
Anschläge sind. Er weiß, wer die Schießereien ausführt und er weiß,
wie man mit denjenigen, die die Selbstmordattentäter losschicken,
umzugehen hat. Abu Mazen wusste schon seit langem, dass er der
nächste in der politischen Reihenfolge ist. Er musste nicht ganz von
vorne anfangen, um die Dinge zu organisieren, damit die
Meuchelmörder wenigstens an seinem ersten Amtstag, seinem besonderen
Tag, wussten, wer das Sagen hat. Dieser führende Mann in seinem
feinen englischen Anzug und mit seiner schicken Chinchilla-Pelzmütze
hat die Anschläge zwar verurteilt. Doch wie sein Vorgänger wandte er
dabei die Augen gen Himmel und verbarg dadurch ein Augenzwinkern
gegenüber dem Verschiedenen, mit dem er möglicherweise sagen wollte:
"Ich habe gut von dir gelernt, nicht wahr?"
Die Israelis haben solche Spitzfindigkeiten satt.
Wenn du schießen willst, Abu Mazen, dann schieß. Doch tu nicht so,
als wärst du ein Engel des Friedens. Unsere Geduld ist schon längst
zu Ende. Und was mich am meisten ärgert ist die Tatsache, dass sich
Intellektuelle und Friedensaktivisten um Abu Mazen drängen und
sagen, wenn wir Ruhe haben wollen, dann müssten wir dafür mit Gesten
des guten Willens wie z. B. der Entlassung von palästinensischen
Gefangenen bezahlen. Wir müssten Abu Mazen überzeugen, wir müssten
sein Image unter den Palästinensern aufpolieren. Gesten? Was für
Gesten? Ich schulde diesem Mann nichts. Denn solange er nichts
Gegenteiliges beweist, befindet er sich in der Ruhmeshalle der
palästinensischen Führer, die niemals eine Gelegenheit verpassen
eine Gelegenheit zu verpassen.
Die Beweislast, dass sich in der palästinensischen
Welt etwas geändert hat, liegt bei Abu Mazen. Sowohl Israel wie die
USA hängen große Hoffnungen an ihn. Mit dem Abkoppelungsplan haben
wir bereits angefangen, unseren Teil beizutragen. Der Preis für
diesen Beitrag ist eine innere Teilung des Landes. Wir tun dies
nicht für irgendjemanden, wir tun dies für uns selbst. Wir trennen
uns vom Gazastreifen und geben ihn euch, zusammen mit seinen
eineinhalb Millionen Einwohnern. Wir werden von dort wegziehen, und
ihr werdet die volle Kontrolle erhalten. Wenn irgendjemand die
Position geändert hat, dann sind wir es, während ihr auf eurem Weg
des Mordens und des Terrors weitergeht. Welche Macht haben diese
Leute über dich, dass du solche Angst vor ihnen hast? Was wollen sie
erreichen? Wollen sie Israel in eine Riesenkonfrontation ziehen,
damit sich die ganze Welt auf uns stürzen kann? Schon allein aus
diesem Grund können wir es uns nicht leisten, uns ans Drehbuch zu
halten. Wir müssen uns aus dem Gazastreifen zurückziehen, ob es die
Palästinenser wollen oder nicht und ob sie mit uns kooperieren oder
nicht.
Gleichzeitig können wir uns nicht zurücklehnen und
vor dem Artilleriebeschuss auf zivile Dörfer, die sich auf
israelischem Staatsgebiet befinden, resignieren. Jeden Tag sind
Städte wie Sderot zu einem russischen Roulettespiel verurteilt. Die
gesamte Bevölkerung dieser Städte –Männer, Frauen, Kinder, Senioren-
halten ihren Atem an, müssen zusehen und warten, ob eine Rakete
fällt und wann sie fällt, ob sie treffen wird und wen sie treffen
wird und wer als nächster sterben muss. Kein Land der Welt wäre
bereit, diese Art von täglichem Beschuss zu ertragen. Es gibt eine
Grenze. Und es gibt einen Zeitpunkt, an dem die Regierung ihre
Samthandschuhe ausziehen und der anderen Seite ein entschiedenes
Ultimatum setzen muss: Jeden willkürlichen Angriff auf zivile Ziele
erwidern wir mit einem Angriff auf ihre mit Zivilisten bevölkerten
palästinensischen Städte. Wie du mir, so ich dir. Gleiches wird mit
Gleichem vergolten.
hagalil.com
18-01-2005 |