Die in London erscheinende Tageszeitung al-Hayat veröffentlichte am
31. Januar 2003 einen Leserbrief, der über die Entscheidung des
Vorstandes des Goethe-Instituts in München berichtet, den Leiter des
Damaszener Goethe-Instituts, Manfried Wüst, zum 31. Januar 2003 nach
Poona, Indien, zu versetzen. Wüst hatte im Dezember auf einer
Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin die
Ansicht geäußert, palästinensische Selbstmordattentäter seien keine
Terroristen, sondern Freiheitskämpfer. Seine Haltung begründete er dabei
mit seinen Erfahrungen und Eindrücken, die er während seiner Tätigkeit
als Leiter des Goethe-Instituts in Ramallah gesammelt habe.
Die Entscheidung des Goethe-Instituts stieß in Syrien auf Protest. In
einem offenen Brief an die Präsidentin des Instituts, Jutta Limbach,
werden die Vorwürfe "zionistischer Kreise", die gegen Wüst erhoben
wurden, zurückgewiesen und davor gewarnt, das Goethe-Institut dürfe sich
im Nahostkonflikt nicht die Position Israels zu eigen machen. (1)
In dem Leserbrief aus Damaskus, der von Ahmed al-Khalil verfasst wurde,
wird die Diskussion um die Berliner Veranstaltung wiedergegeben.
Al-Khalil berichtet zudem von den Reaktionen syrischer Intellektueller,
die gegen eine Versetzung Wüsts protestieren:
"Der evangelische Pfarrer Manfred Wüst (60) ist seit September 2002
Direktor des Goethe-Instituts (deutsches Kulturzentrum) in Damaskus.
Zuvor war er mehrere Jahre als Direktor des Goethe-Instituts in Ramallah
(Palästina) tätig. Im Dezember vergangenen Jahres wurde Wüst nach
Deutschland eingeladen, um bei einer Veranstaltung unter dem Titel
'Culture unlimited' über das kulturelle Leben in unstabilen und
unsicheren Ländern zu sprechen. Wüst hatte fünf Jahre in Ramallah
verbracht. Bei der Veranstaltung wurde Manfred Wüst von einer Frau
gefragt: 'Was halten Sie von den Plakaten, auf denen die Selbstmörder
als Helden dargestellt werden?' Wüst antwortete unzweideutig: 'Für mich
sind die palästinensischen Terroristen Freiheitskämpfer.'
Im Saal löste diese Antwort Unruhe und Verwirrung aus. Wüst wurde
erneut gefragt: 'Sagten Sie 'Freiheitskämpfer'?' Er erwiderte: 'Ja, sie
sind Freiheitskämpfer.' Unter den Anwesenden war Jutta Limbach, die
Präsidentin des Goethe-Instituts in Deutschland. Sie kommentierte das
Geschehen nicht, antwortete allerdings [später] auf die Frage der
Journalistin Caroline Fetscher vom Tagesspiegel (17.12.02): 'Meine
persönliche Haltung ist klar. Ich teile diese Einschätzung nicht im
Mindesten und habe kein Verständnis für diese Aussage. Wer sich am Leben
von Menschen vergeht, ist für mich ein Straftäter, der Strafe verdient,
und nicht den Titel eines Freiheitskämpfers. Herr Wüst wird zur Klärung
in die Zentrale des Goethe Instituts in München gerufen.'
Am 21. Januar 2003 veröffentlichte der Tagesspiegel folgende Meldung:
'Der Vorstand des Goethe-Instituts hat die Versetzung von Manfried Wüst
zum 31. Januar 2003 nach Indien beschlossen, um ihm die Gelegenheit zu
geben, sachlich gegenüber den Geschehnissen im Nahen Osten zu werden.'
So berichtete es die Zeitung. Im Gespräch mit Limbach am 22. Dezember
2002, zu dem er zur Klärung bestellt wurde, hatte Wüst erklärt: 'Meine
kurze Äußerung zur palästinensischen Situation war nicht falsch. Die
Menschenwürde, das Recht auf Leben und die Unverletzlichkeit des Körpers
sind unteilbar. Das gilt nicht nur für die Selbstmordanschläge in Israel
allein, sondern muss auch für die Palästinenser gelten, die Repressionen
und ständigen Menschenrechtsverletzungen seitens der israelischen
Behörden ausgesetzt sind und die Leiden durchleben, die mit der
israelischen Seite vergleichbar sind. Wenn die israelische Willkür
weitergeht und Israel sich weiterhin nicht an die internationalen
Verträge und Beschlüsse der Vereinten Nationen hält, dann gibt es für
die Palästinenser keine andere Wahl als jene zwischen Unterwerfung und
Widerstand.'
Einige Zeitungen wie der Tagesspiegel und Die Welt forderten die
Entlassung oder Versetzung Wüsts. Hingegen wendeten sich zahlreiche
syrische Intellektuelle in einem in scharfem Ton verfassten Brief an die
Leiterin des Goethe-Instituts in Deutschland. In dem Brief heißt es:
'Die Versuche, die palästinensische Sichtweise [aus der Öffentlichkeit]
zu verdrängen, verleitet manche in Europa dazu, allein dem
palästinensischen Widerstand die Bezeichnung 'Terror' anzuheften und
davon die Taten, die die israelische Besatzung begeht, auszunehmen.' In
dem Brief heißt es weiter: 'Die willkürlichen Maßnahmen gegen Dr. Wüst,
nur weil er sich nicht der Sprache der Zionisten bedient und [die Dinge]
nicht mit den Augen der extremistischen Israelis sieht, sind nicht
nachvollziehbar. Er sympathisiert nur mit dem palästinensischen Volk in
seinem gerechten Kampfe.' Am Ende des Briefes äußern die syrischen
Intellektuellen die Hoffnung, die administrativen Maßnahmen gegen Wüst
würden nicht so weit gehen, dass sie sich zum Boykott der Aktivitäten
und Veranstaltungen des Goethe-Instituts in Damaskus veranlasst sehen
müssten. Zu den Unterzeichnern des Briefes gehören der Schriftsteller
Michael Kilo, Mia al-Rahbi, die Verlegerin Nada al-Ali, der Dichter Ali
Safr, der Anwalt Abdallah al-Khalil, der Autor Fayez Sara, der
Journalist Basil al-Awdat, der Autor Yassin al-Hadj Saleh, der Autor
Hussein al-Awdat und der Filmproduzent Omar Amiralay. Der Druck, der auf
Manfried Wüst ausgeübt wurde, führte bei ihm zu Herzproblemen, aufgrund
derer er am 29. Januar 2003 ins Krankenhaus eingeliefert wurde."
(1) Ein Aufruf zur Unterstützung Wüsts findet sich auch auf der
Homepage "48+2", die von einer Organisation syrischer Studenten
betrieben wird. Hier findet sich auch der offene Brief an Jutta Limbach:
www.damascus-online.com/48/goethe.htm.
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