Syriens Präsident:
Wer ist Bashar Assad?
Von Uriya Shavit, Jerusalem Post, 15.10.2003
Übersetzung Daniela Marcus
Eine der am meist verbreiteten falschen
Vorstellungen von Syriens Präsident Bashar Assad ist diejenige, dass
er westliche Tendenzen und Einstellungen hat. Die Presse macht immer
ein großes Aufhebens davon, dass er eine britische Erziehung
genossen und eine gebürtige Engländerin zur Frau hat. Somit äußern
westliche Medien und westliche Politiker jedes Mal, wenn er etwas
sagt oder tut, das diesem westlichen Image von ihm widerspricht,
Überraschung oder Enttäuschung.
Diese falsche Vorstellung rührt teilweise von der
Biographie des syrischen Staatsoberhauptes her, die aus westlicher
Perspektive interpretiert wird. Bashar verbrachte in der Tat zwei
Jahre in London, wo er sich im Bereich der Augenheilkunde
spezialisierte. Er heiratete eine Frau, die in England geboren wurde
und eine vornehme Privatschule besuchte. Und als er nach Damaskus
zurückkehrte, wurde er Leiter des syrischen Computervereins.
Jedoch darf nicht vergessen werden, dass er
bereits ein 27jähriger Erwachsener war, als er nach London kam. Die
Zeit dort verbrachte er von morgens bis abends mit Studien in dem
Krankenhaus, in dem er sein Praktikum absolvierte. Darüber hinaus
lebte er sehr isoliert. Er hatte nur Kontakt zur
syrisch-moslemischen Gemeinde, die von seinem späteren
Schwiegervater geleitet wurde.
Das kulturelle und politische Klima, in dem er
seine damalige Zeit im Westen verbrachte, war beinahe dasselbe wie
das seiner ba’athistischen Erziehung. Somit ist Bashars Geschichte
ganz anders als die des jordanischen Königs Abdullah, der bereits
als Kind nach Großbritannien kam und in einer ganz anderen
kulturellen Umgebung aufwuchs.
Das interessante an Bashar ist nicht, wie sehr er
sich von seinem Vater unterscheidet, sondern wie sehr er ihm
gleicht. Tatsächlich gibt er die Ähnlichkeit stolz zu, nicht nur,
wenn er sich an das arabisch sprechende Publikum wendet, sondern
auch in Interviews mit westlichen Medien.
Seine Ansicht vom Westen und von der liberalen
Demokratie –eine, die er häufig wiederholt- ist direkt mit seiner
Weltanschauung verbunden, der zufolge Geschichte und Erbe die
Regentschaft entscheiden. Er glaubt, dass Anarchie und der totale
Zusammenbruch der Gesellschaft die Folge sind, wenn ein anderes Erbe
und eine andere Geschichte irgendwo eingeführt werden, wo sie nicht
hingehören.
Er glaubt -und wiederholt damit die Vorstellungen
seines Vaters-, dass westliche Ideale und Regierungssysteme, sollten
sie in Syrien eingeführt werden, das Gebilde seines Erbes, seiner
Religion, seiner Werte und Stabilität zerfallen lassen würden.
Dies kann in seiner Politik gegenüber dem Internet
erkannt werden. Die herkömmliche Ansicht Bashars ist diejenige, dass
das Internet als Werkzeug zur Modernisierung und zur Angleichung an
den Westen dient. Die Praxis ist jedoch weit davon entfernt.
Erstens basierte Bashars Übernahme des syrischen
Computervereins eher auf Tradition denn auf Moderne. Als sein Bruder
Basil im Jahr 1994 bei einem Verkehrsunfall getötet wurde, kehrte
Bashar aus England zurück und nahm Basils Platz als Thronfolger ein,
wobei er auch Leiter des syrischen Computervereins wurde.
Zweitens sieht Bashar im Internet eher eine
Bedrohung denn eine Gelegenheit. Eine Bedrohung, die in Grenzen
gehalten werden muss. Wenn das Regime auf dem Spiel steht und er die
Wahl zwischen wirtschaftlichem Stillstand und Fortschritt hat, wählt
Bashar den Stillstand. Somit ist der Internetzugang in Syrien zum
einen sehr eingeschränkt (Tausende von Seiten sind blockiert) und
zum anderen sehr teuer, was bedeutet, dass die Leute, die sich den
Internetzugang leisten können, bereits diejenigen sind, die für das
Regime sind. Darüber hinaus wird jeder, der in Syrien beim
"Missbrauch" des Internets erwischt wird, hart bestraft.
Im Hinblick auf Israel ist über Bashar folgendes
zu sagen: Er sieht den Frieden mit Israel von zwei Standpunkten aus:
vom pragmatisch/politischen und vom kulturellen/historischen.
Bezüglich des ersten sind seine Begriffe für Frieden identisch mit
denen seines Vaters in dessen späteren Jahren: Israels kompletter
Rückzug zu den 1967er Grenzen. Was den zweiten Standpunkt angeht, so
ist er überzeugt, dass Israel eines Tages zwangsläufig aufhören wird
zu existieren, da es seiner Meinung nach kein richtiger Staat ist,
sondern eine westliche Fiktion ohne historischen Anspruch auf das
Land, ein Kreuzritter-Staat, der letzten Endes verschwinden wird.
Seine bis dahin andauernde Strategie basiert auf dem, was er als
Israels Achillesferse beobachtet hat.
Den ersten Krieg, den er bezüglich seines Alters
bewusst wahrgenommen hat, war der Yom-Kippur-Krieg. Seitdem hat er
den Libanonkrieg, die erste Intifada und die "Al-Aqsa-Intifada"
gesehen.
Seine Schlüsse aus all den Konfrontationen, die er
erlebt hat, lauten, dass Israel nicht komplett geschlagen werden
kann. Doch wenn Israel durch Zermürbungskriege "irritiert" wird,
gewinnen seine Feinde an Boden. Deshalb lautet sein Standpunkt, dass
dies der Weg ist, um Israel dazu zu bewegen, sich von den Golanhöhen
zurückzuziehen.
Wenn Israels kürzlicher Luftangriff in Syrien
irgendeinen Effekt auf Bashar hatte, dann denjenigen, ihm
anzudeuten, dass Israel die Spielregeln ändern könnte, nach denen
die Araber einerseits fähig waren, einen ausgewachsenen Krieg zu
vermeiden, während sie andererseits straffreie
"Irritations"-Taktiken und Zermürbungskriege durchführten, die
Israel von innen her unterwandern.
Bashar möchte auf alle Fälle nicht gezwungen sein
eine Wahl zu treffen zwischen einer ruhigen Grenze und dem Risiko
eines tatsächlichen Krieges, den er verlieren würde.
hagalil.com
17-10-2003 |