
Das Vorbild des schwarzen September
Vor 32 Jahren, begann der jordanische König nach einer Welle palästinensischer
Terroranschläge einen blutigen Krieg gegen die Milizen der Palästinenser und
vertrieb Yasser Arafat aus Jordanien. Dieser Krieg ist unter dem Namen
"Schwarzer September" in die Geschichte eingegangen. Was hat sich, wenn
überhaupt, verändert?
Von Uria Shavit, Haaretz, 12/04/2002
http://www.israel-news.de/
Im Bewusstsein der israelischen Öffentlichkeit wird der schwarze September als
eine Operation erinnert, in der das jordanische Königreich innerhalb eines
Monats auf kurze und entschiedene Weise einen palästinensischen Aufstand
beendete. Die Schritte des Königs Hussein vor 32 Jahren, welche letztendlich zur
Vertreibung von Arafat und seinen Getreuen führten, werden immer wieder von
jenen, die behaupten, dass im Nahen Osten nur grausame und erbarmungslose Mittel
wirken, als Beispiel angeführt. So hat auch der Einmarsch Israels in die
palästinensischen Städte vor zwei Wochen den Vergleich zwischen Husseins Dilemma
und seinen Handlungen mit denen Israels wieder aktuell werden lassen.
Die als "Schwarzer September" bekannten Ereignisse dauerten nicht nur einen
Monat. Die bewaffneten Kämpfe zwischen Jordanien und den Palästinensern
dauerten, einige Feuerpausen miteingeschlossen, anderthalb Jahre an. Ihren
Höhepunkt erreichten die Kämpfe im September 1970, die Entscheidung fiel jedoch
erst zehn weitere blutige Monate später, in denen die Palästinenser die
Jordanier mit ihrem Durchhaltevermögen überraschten.
Ein guter Anfangspunkt zur Erklärung der Ereignisse, welche letztendlich zur
militärischen Konfrontation führen sollten, liegt im März 1968. In diesem Monat
drangen israelische Truppen in das jordanische Städtchen Karamah ein, welches
nur sieben Kilometer östlich des Jordans liegt. In Karamah hatte der junge und
damals noch recht unbekannte Anführer der Fatah, Yasser Arafat, sein
Hauptquartier aufgeschlagen. Der israelische Angriff war die Reaktion auf eine
Serie von Terrorangriffen palästinensischer Milizen gegen Israel, welche von
jordanischem Boden aus geführt worden waren. Der damalige israelische Premier
Levi Eshkol, erklärte, dass der israelische Angriff "eine neue Terrorwelle"
verhindern solle. Der UNO-Sicherheitsrat verurteilte den Angriff.
Während der Kämpfe griff jordanische Artillerie auf Seiten der Palästinenser
ein. Im Verlauf der Kämpfe wurden, unterschiedlichen Angaben zufolge, 128 – 170
Palästinenser getötet. Doch Überraschenderweise musste die israelische Armee,
der berühmte Sieger des Sechstagekrieges, schwere Verluste hinnehmen. 28
Soldaten wurden getötet, 80 verwundet, vier Panzer fielen in die Hände der
Palästinenser. Yasser Arafat konnte unversehrt entkommen.
Ein Staat im Staate
Dieser bescheidene Erfolg auf dem Schlachtfeld entflammte die Vorstellungskraft
der Palästinenser in Jordanien und der gesamten arabischen Welt. Arafat wurde
als derjenige gerühmt, der es beinahe geschafft habe, die arabische Nationalehre
wiederherzustellen. Tausende junge Palästinenser wollten sich bald seiner
Organisation anschließen. Getragen von Wellen der Unterstützung, übernahm die
Fatah bald die Führung der PLO. Als Ergebnis der Schlacht von Karamah wuchs das
Selbstvertrauen von Arafats Anhängern. In den Flüchtlingslagern und in einigen
jordanischen Städten fingen sie an, sich wie die Herren des Staates zu
verhalten. Sie traten in der Öffentlichkeit bewaffnet und in ihren Uniformen
auf, errichteten Straßensperren, erhoben Steuern und weigerten sich, jordanische
Nummernschilder an ihren Fahrzeugen zu führen.
Die Erstarkung der palästinensischen Milizen stellte König Hussein vor ein
Dilemma. Auf der einen Seite bestand die Bevölkerung seines Landes zu zwei
Dritteln aus Palästinensern, welche den Guerillakrieg gegen Israel
unterstützten. Hussein war also nicht in der Lage, gegen die PLO vorzugehen ohne
eine Konfrontation mit der Mehrheit der jordanischen Bevölkerung zu riskieren.
Außerdem war zu erwarten, dass Ägypten unter der Führung Nassers und Syrien
unter Führung der Baath-Partei auf Seiten der Palästinenser intervenieren
würden. Auf der anderen Seite zersetzte die Erstarkung der palästinensischen
Milizen die Hoheit des Königs. Polizei und Militär waren nicht mehr die
alleinigen Herren der Flüchtlingslager und verloren ihre Hoheit auch bald im
Norden des Landes.
Der erste Versuch von Hussein, seine Herrschaft aufs Neue zu etablieren, fand im
November 1968 statt. Er handelte eine Vereinbarung mit den palästinensischen
Organisationen aus, die sieben Punkte umfasste. Erstens sollten die
Palästinenser nicht mehr bewaffnet und uniformiert öffentlich auftreten.
Zweitens sollten die Palästinenser keine zivilen Fahrzeuge anhalten und
Durchsuchungen vornehmen. Drittens sollten junge, wehrpflichtige Palästinenser
nicht mehr in die palästinensischen Milizen eingezogen werden. Viertens sollten
die Palästinenser wieder jordanische Ausweise mit sich führen. Fünftens sollten
ihre Fahrzeuge mit jordanischen Nummernschildern versehen werden. Sechstens
sollten kriminelle Taten der palästinensischen Milizen von den jordanischen
Behörden untersucht werden. Siebtens sollten Konflikte zwischen den
palästinensischen Gruppen und der jordanischen Regierung in einer gemeinsamen
Kommission geklärt werden.
Die Vereinbarung wurde niemals in Taten umgesetzt. Die palästinensischen Milizen
nahmen weiter an Macht und Einfluss zu und herrschten in den Flüchtlingslagern
nach ihrem Gutdünken. Der Kampf gegen Israel wurde von ihnen noch verstärkt –
1969 wurden 3170 Kampfhandlungen von den Palästinensern von jordanischem
Territorium aus gegen Israel durchgeführt, ohne dass dies mit der jordanischen
Armee im Voraus abgesprochen worden wäre. Die israelischen Gegenangriffe trafen
die jordanische Wirtschaft und 70.000 Untertanen des Königs flohen vor den
Kampfhandlungen aus ihren Häusern im Jordantal.
Im Frühling 1969 begannen die USA mit ihren Anstrengungen, ein Friedensabkommen
zwischen Israel und den arabischen Staaten zu erreichen. König Hussein hoffte,
dass der neue, republikanische Präsident, Richard Nixon, Israel nicht so
wohlgesonnen sein würde wie sein demokratischer Vorgänger und dass er Israel
zwingen würde, sich aus den im Sechstagekrieg eroberten Gebieten zurückzuziehen.
Er fuhr nach Washington, um der amerikanischen Regierung zu versichern, dass
Jordanien bereit sei, Nachgiebigkeit in seinen Standpunkten zu beweisen, um den
Erfolg der amerikanischen Initiative zu ermöglichen.
Die palästinensischen Gruppen beobachteten die Schritte des Königs mit
Misstrauen. Sie befürchteten, dass ein Frieden zwischen Jordanien und Israel
ihren Traum vom palästinensischen Staat vom Meer bis zum Jordan verhindern
würde. Um die Friedensverhandlungen zu durchkreuzen und zum Ausbruch eines
Krieges zwischen Jordanien und Israel zu führen, verschärften Arafat und seine
Getreuen ihren bewaffneten Kampf gegen Israel. Der linke Flügel der
Palästinenser begann offen den Sturz von König Hussein zu diskutieren um
Jordanien zu einem "arabischen Hanoi" zu machen – eine Ausgangsbasis für den
bewaffneten Befreiungskampf in den besetzten Gebieten, so wie Nordvietnam dem in
Südvietnam agierenden Vietkong als Stützpunkt diente.
Hussein entschied sich zu handeln – doch seine Hände waren gebunden. Mehr als
das, was Nasser ihm zubilligte, konnte er nicht tun. Anfang Februar 1970 fuhr
Hussein nach Kairo und holte die Zustimmung Nassers für härtere Maßnahmen gegen
die palästinensischen Milizen ein. Als er am 10. Februar nach Jordanien
zurückkehrte, erließ der König einen Befehl, der 10 Punkte beinhaltete. Unter
anderem wurde den palästinensischen Milizen untersagt, die jordanischen
Sicherheitskräfte in ihrer Tätigkeit zu stören, Demonstrationen und
Versammlungen ohne Genehmigung abzuhalten und am politischem Leben des Landes
teilzunehmen.
Die palästinensischen Gruppen waren nicht bereit dem Befehl zu gehorchen. Am 11.
Februar errichteten sie einen gemeinsamen Generalstab, um sich auf einen
möglichen jordanischen Angriff vorzubereiten. In derselben Nacht wurden allein
in Amman 300 Menschen bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden
Seiten getötet. König Hussein fürchtete nun die Kontrolle vollends zu verlieren.
Nasser gab dem König zwar grünes Licht für härtere Maßnahmen gegen die
Palästinenser, warnte ihn jedoch gleichzeitig vor einen umfassenden Krieg gegen
die Palästinenser. Hussein befahl daraufhin der jordanischen Armee nicht gegen
die Palästinenser aktiv zu werden und verkündete öffentlich dass "wir alle
Fedayin" seien (Fedayin: Kämpfer, der bereit ist, Palästina mit seinem Blute
auszulösen – d. Übers.). Er entließ den größten Widersacher der Palästinenser
aus seiner Regierung – den Innenminister Muhamad Rasul al Kilani. Die erste
Schlacht zwischen Jordanien und den Palästinensern war vorüber. Arafat hatte
gesiegt. "Wer
gab ihnen die Gewehre"
Ende Juli 1970 entschloss sich Ägypten, den Plan des amerikanischen
Außenministers, William Rogers, anzunehmen, der die sofortige Beendigung des
Zermürbungskrieges zwischen Ägypten und Israel und den Rückzug Israels aus den
1967 besetzten Gebieten vorsah, wie dies auch von der Resolution 242 des
UN-Sicherheitsrates gefordert wurde. Nach Ägypten teilte auch Jordanien mit,
dass sie den Plan befürworte. Diese dramatische Erklärung führte zur Verstärkung
des militärischen Kampfes der Palästinenser gegen Jordanien. Die linksradikalen
Gruppierungen in der PLO, die "Volksfront zur Befreiung Palästinas" von George
Habash, die "demokratische Befreiungsfront Palästinas " von Naef Hawatme und die
"Volksfront – allgemeiner Stab" von Ahmed Jibril fassten den Beschluss, das
Regime von König Hussein zu destabilisieren, um auf diese Weise den Rogers-Plan
zum Scheitern zu bringen und gegebenenfalls das Hashemitische Königshaus zu
stürzen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Fatah eine Politik der "Nichteinmischung in
die inneren Angelegenheiten arabischer Staaten" propagiert und versuchte deshalb
eine direkte Konfrontation mit der jordanischen Regierung zu vermeiden. Yasser
Arafat, der Führer der Fatah, befürchtete auch, dass der Versuch König Hussein
zu stürzen verfrüht sei. Die jordanische Armee verfügte über 55.000
gutausgebildete Soldaten, Panzertruppen und eine Luftwaffe. Die Palästinenser
verfügten über höchstens 15.000 Soldaten, die meisten nur mit leichten Waffen
ausgestattet. Arafat versuchte, den Kuchen zu essen und ihn zu behalten. Im
erzeugten Chaos bremste er die Radikalen nicht, stellte sich aber auch nicht
offen gegen Hussein.
Anfang Beginn September 1970 waren die Aktionen der linken palästinensischen
Gruppierungen in Jordanien zurr offenen Kampfansage gegen König Hussein
geworden. Am ersten September entkam Hussein einen palästinensischen Attentat
auf sein Leben, als er sich auf dem Weg zum Flughafen von Amman befand. Am 6.
September entführten Mitglieder der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" drei
Flugzeuge der TWA und der Swissair und zwangen sie, auf dem Flughafen von
Zarqazu landen. Ein weiteres Flugzeug der Pan Am wurde gezwungen auf dem
Flughafen von Kairo zu landen. Drei Tage später wurde eine britische
Verkehrsmaschine gezwungen, bei Amman zu landen. Die Reisenden wurden als
Geiseln festgehalten. Die Entführer forderten die Freilassung palästinensischer
Häftlinge in einer Vielzahl von Ländern. Der Sprecher der Volksfront teilte mit
"dass die Entführungen den Amerikaner wegen ihrer dauernden Unterstützung
Israels eine Lehre erteilen sollten". Yasser Arafat verurteilte die
Flugzeugentführungen nicht.
Die Flugzeugentführungen führten zu einer weltweiten Welle von Protesten gegen
die Palästinenser. Hussein wusste, dass die Welt nun seinem harten Vorgehen
gegen die palästinensischen Milizen mit mehr Verständnis begegnen würde und dass
Nasser, der den Rogers-Plan befürwortete – weniger Starrsinn an den Tag legen
würde. Inzwischen hatte der König mit wachsender Geschwindigkeit die Kontrolle
über sein Reich verloren. Inmitten der Entführungsdramen hatten die
Palästinenser das Gebiet um Irbid im Norden des Landes zum "befreiten Gebiet"
ausgerufen und erklärten, dass sie sich nun auf die "entscheidende Schlacht"
vorbereiten würden.
Vertraute des Königs, die einen palästinensischen Putsch fürchteten, erklärten
dem König, dass die Stunde gekommen sei, die Palästinenser militärisch zu
besiegen. "Am 15. September, im Homar-Palast in Savilah, nördlich von Amman,
versammelten sich die Vertrauten des Königs und seine Berater" schrieb Asher
Massar in seiner Biographie von Waspi el Tal, dem damaligen Premier des Königs.
"Jene Männer, die bereits seit längerem härteres Durchgreifen gegen die Fedayun
befürworteten, überzeugten Hussein, dass die Stunde der Tat gekommen sei. Ihre
Einschätzung war, dass die Armee in der Lage sein würde, die Fedayeen in ein bis
zwei Tagen aus den großen Städten zu vertreiben. Der zögernde Hussein war nun
zur Tat entschlossen. An diesem Tag entschloss er sich, die Fedayun militärisch
zu besiegen. Die Unsicherheit und die Frustrationen der letzten Wochen waren
verschwunden. Die Stimmung im Homar-Palast glich in jener Nacht zum 16.
September der eines Generalstabs am Vorabend eines Krieges. Schlachtpläne wurden
in kurzer Zeit erstellt und mit den Vorbereitungen begonnen. Die Annahme war,
dass es nur noch einige Stunden bis zum "Showdown" dauern könne.
Am Morgen des 16. September ernannte Hussein eine Militärregierung. Am Tag
danach begann der Angriff. Patton-Panzer der 60. Panzerdivision rückten,
unterstützt von Schützenpanzern, aus allen Richtungen in Amman ein und griffen
die Hochburgen der Palästinenser an. Feuergefechte fanden auch in Savilat,
Zarka, Salt und Irbid statt. Die Einschätzung der Berater des Königs, man könne
die Palästinenser innerhalb von zwei Tagen niederringen, erwies sich als
unrealistisch. Die Palästinenser erwiesen sich als standhafte Kämpfer und die
Kämpfe wurden von Haus zu Haus getragen. Hussein wusste, dass mit jedem weiteren
Tag der arabische Druck zunehmen und ihn letztendlich zur Einstellung der Kämpfe
und zu einem Kompromiss mit den Palästinensern zwingen würde.
Am 18. September, zwei Tage nach Beginn der Offensive, drangen kleinere
gepanzerte Einheiten der Syrer in den Norden Jordaniens ein. Innerhalb von zwei
Tagen, hatten sich der Vorhut zwei weitere gepanzerte Regimenter aus Syrien
hinzugesellt. Am nächsten Tag, erreichten die syrischen Verbände bereits die
Stärke einer Division. Die Jordanier befürchteten, dass Syrien den Bürgerkrieg
ausnutzen würde, um das Königreich zu erobern und den Traum von Groß-Syrien zu
verwirklichen. Die Jordanier stellten den Syrern das 40. Panzerregiment entgegen
und nach kurzer Schlacht kam der syrische Vormarsch zum Stehen. Der jordanische
Verdacht wurde auch von den USA und Israel geteilt. Die Erkundungsflüge der
israelischen Luftwaffe über den syrischen Verbänden schürten wiederum in
Damaskus die Furcht, in einem weiteren Krieg von Israel geschlagen zu werden,
falls sich die Verbände nicht aus Jordanien zurückziehen würden.
Syrien musste sich aus Jordanien zurückziehen. Das gescheiterte Abenteuer ist
noch heute unter Historikern umstritten. Hafes el Assad, der im September 1970
der Verteidigungsminister Syriens war, sagte seinem Biographen Patrick Ceil,
dass der einzige Zweck der syrischen Invasion gewesen sei, die Palästinenser vor
einem Massaker zu retten. Der hastige Rückzug der Syrer zerstörte mit einem Mal
die Hoffnungen der Palästinenser. Jordanische Panzer und Artillerie belegten die
Hochburgen der Palästinenser in den Flüchtlingslagern bei Amman mit
Dauerbeschuss und drohten, den palästinensischen Widerstand in anderen Regionen
des Landes zu brechen. Die Palästinenser stimmten einen Waffenstillstand zu.
Hussein und Arafat fuhren zur Tagung der arabischen Staaten in Kairo. Auf der
Tagung errang Arafat einen diplomatischen Sieg. Am 27. September wurde Hussein
gezwungen im Hilton-Hotel eine Vereinbarung zu unterzeichnen, die den
Palästinensern weiterhin das Recht einräumte, in Jordanien gegen Israel aktiv zu
sein.
Aus jordanischer Sicht war es eine besondere Demütigung, dass die Vereinbarung
beide Konfliktparteien als gleichberechtigt darstellte. Die Vereinbarung sah
vor, "dass Jordanien weiterhin den palästinensischen Befreiungskampf
unterstützen werde", dass "sich beide Seiten aus den Städten zurückziehen
werden" und dass "alle Gefangenen freigelassen werden". Der einzige Absatz, der
für die Jordanier günstig war, sah vor, dass die jordanische Polizei das
Machtmonopol im Lande haben solle. Aber Hussein hatte keinen Grund anzunehmen,
dass sich die Palästinenser an diese Vereinbarung halten würden, da sie ja auch
ähnliche Vereinbarungen mit ihm immer wieder gebrochen hatten.
Die genaue Zahl der in den Schlachten im September 1970 Getöteten ist
umstritten. Prof. Yasir Said schreibt in seinem Buch "Der bewaffnete Kampf und
das Streben nach einem Staat" dass die hohe Zahl von 20.000 Toten nur in
israelischen Quellen vorkomme. Nach jordanischen Angaben, wurden 2500 Menschen
getötet. Arafat schätzte im März 1971 die Zahl der palästinensischen Opfer mit
3400 und die Zahl der Verwundeten mit 10.800. Dies waren die Gründe, die dazu
führten, dass jener blutbefleckte Monat als schwarzer September in Erinnerung
blieb. Die militärische Macht der Palästinenser erlitt in jenem Monat einen
vernichtenden Schlag. Auf diplomatischer und politischer Ebene wurden Arafat und
die palästinensischen Gruppierungen jedoch nicht geschlagen. Auch nachdem
Hussein einen Großteil seiner militärischen Macht gegen sie eingesetzt hatte,
konnten sie nicht vertrieben werden und bereiteten sich nun auf die nächste
Phase des Kampfes vor.
Doch zwei Entwicklungen in der arabischen Welt sollten das Schicksal der
Palästinenser in Jordanien besiegeln. Am 28. September starb Nasser im Alter von
nur 62 Jahren an einem plötzlichen Herzanfall. Nach seinem Tode wurde gesagt,
dass der Druck der Ereignisse des schwarzen September zu seinem Zusammenbruch
geführt habe. Bis zur Stabilisierung des Regimes in Ägypten unter Anwar el Sadat
sollten die Palästinenser ihren wichtigsten Schutzschirm in Jordanien verlieren
und die ägyptische Einmischung in die jordanischen Angelegenheiten erreichte
einen zeitweisen Tiefpunkt. Zwei Monate später ergriff der syrische
Verteidigungsminister, Hafes al Assad, der dem pragmatischen Flügel der
Baath-Partei angehörte, die Macht. Auch Syrien war kurzfristig nicht in der
Lage, sich mit den Sorgen der Palästinenser zu beschäftigen. Die Stunde für die
dritte und entscheidende Phase des Kampfes zwischen Arafat und dem König war
gekommen.
Der letzte Akt
Nach dem Tod von Nasser schätzte Arafat die Schwächung seiner Position richtig
ein. Am 13. Oktober unterschrieb er ein Fünfpunkteabkommen, das stark an das
Abkommen von 1968 erinnerte und dessen Ziel es war, die Alleinherrschaft des
Königs wiederherzustellen. Unter anderem sah das Abkommen vor, dass die
palästinensischen Gruppierungen von nun an die Gesetze des Landes einhalten und
ihre Stützpunkte auflösen sollten. Wieder wurde es ihnen untersagt, uniformiert
und bewaffnet in den Städten und Dörfern aufzutreten. Wenn die Palästinenser
dieses Abkommen eingehalten hätten, wäre es Hussein schwer gefallen weiter gegen
sie vorzugehen. Doch die links von Arafat stehende "Volksfront" und die
"Demokratische Front" weigerten sich, die Bedingungen des Abkommens
anzuerkennen. Sie riefen ihre Mitglieder auf, die jordanische Staatsmacht zu
ignorieren und in einer Sitzung des palästinensischen Nationalrates setzten sie
eine Entscheidung durch, der zufolge Jordanien Bestandteil des zukünftigen
palästinensischen Staates sein werde.
Diese offene Provokation führte zum Wiederaufleben der Kampfhandlungen zwischen
den Palästinensern und der jordanischen Armee, deren Offiziere sowieso darauf
brannten, den im September erhaltenen Auftrag zu vollenden. Zu Beginn November
1970 flammten in Amman Kämpfe zwischen Volksfront und Demokratischer Font und
jordanischen Sicherheitskräften auf. Am 9.September erklärte der Premier Vaspi
el Tal – ein erklärter Gegner der Palästinenser – dass es von nun an den
Palästinensern untersagt sei, Waffen zu tragen und Sprengstoff aufzubewahren,
wie dies das Abkommen des Vormonates vorsah. Die jordanischen Sicherheitskräfte
erhielten den Befehl, die Palästinenser zu entwaffnen.
Bis Januar 1971 hatte die jordanische Armee ihre Präsenz in allen zentralen
Städten verstärkt. Anfang Januar eröffnete die jordanische Armee eine Offensive
gegen die palästinensischen Stützpunkte an der Straße zwischen Amman und Jarash,
um sie so von den Städten und den Flüchtlingslagern abzuschneiden. Um den
Angriff zu stoppen, verpflichteten sich die Palästinenser, ihre Waffen den
Jordaniern zu übergeben, hielten jedoch ihr Versprechen nicht ein. Anfang März
wurde von den Jordaniern in Irbid ein großes palästinensisches Waffenlager
ausgehoben. Daraufhin verhängte die Armee den Belagerungszustand über die Stadt,
verhaftete einen großen Teil der palästinensischen Aktivisten und verwies sie
des Landes. Anfang April hatte die jordanische Armee die Ordnung in Irbid wieder
hergestellt. Viele der palästinensischen oberen Kader, die ihre Schwäche zur
Kenntnis nahmen, begannen daraufhin Amman zu verlassen.
Trotz der Kette von Niederlagen war die PLO nicht bereit, auf ihre Provokationen
zu verzichten. Am 5. Juni, dem vierten Jahrestag des Sechstagekrieges, riefen
die palästinensischen Gruppierungen und ihre Führer über Radio Bagdad zum Sturz
des Königs auf. Arafat und die Fatah waren mit von der Partie. Sie begründeten
ihre Forderung damit, dass dies die einzige Möglichkeit sei "einen
Friedensvertrag zwischen Jordanien und Israel zu verhindern".
Mitte Juli 1971, nach mehreren, gespannten Monaten, in denen beide Seiten
versucht hatten, ihre Positionen mit politischen Mitteln zu verbessern, begann
die jordanische Armee mit ihrer letzten Offensive gegen die Palästinenser. Die
Armee, die in den 10 vorhergegangenen Monaten die Palästinenser aus allen großen
Städten vertrieben hatte, schickte nun große Einheiten in das bergige Gebiet um
die Städte Jarash und Ajlun. Dort, im Norden des Landes, hatten sich 3000
bewaffnete Palästinenser verschanzt.
Die Angehörigen der Fatah erklärten, dass sie es vorziehen würden, kämpfend zu
sterben als sich den jordanischen Forderungen zu beugen. Nach vier Tagen
schwerer Kämpfe hatten die Jordanier die letzten Widerstandsnester beseitigt.
König Hussein rief eine Pressekonferenz ein und verkündete, dass in seinem Reich
nun wieder "absolute Ruhe" herrsche. 72 Palästinenser sahen sich zu dem für sie
wohl erniedrigensten Schritt gezwungen – aus Furcht vor den jordanischen
Soldaten, setzten sie sich ins Westjordanland ab und lieferten sich dort
freiwillig der israelischen Armee aus.
Die palästinensische Niederlage war vollendet. Die geschlagene und erniedrigte
Fatah gründete eigens zu Rachezwecken eine eigene Untergruppe, die "Schwarzer
September" heißen sollte. Am 28. November 1971 führte die Gruppe ihren ersten
Anschlag durch. Auf den Stufen des Hilton-Hotels in Kairo lauerten vier ihrer
Mitglieder dem jordanischen Premierminister Vaspi el Tal auf und ermordeten ihn.
Seine letzten Worte waren: "Sie haben mich ermordet.. Mörder... Sie glauben nur
an Feuer und Zerstörung.
Das Nachspiel
Die Aussage, dass sich die Geschichte nur einmal wiederholt und dass dieselben
Ereignisse zuerst als Tragödie, danach als Farce aufgeführt würden, hat im Nahen
Osten offenbar keine Gültigkeit. Hier haben die alten Tragödien die Neigung,
sich immer wieder aufs neue zu wiederholen.
Für das jordanische Selbstverständnis war der September 1970 ein Wendepunkt. Der
lange andauernde Versuch des Königs, eine Synthese zwischen der jordanischen und
der palästinensischen Identität zu schaffen, war gescheitert und machte einer
"Jordanisierung" von Armee und Staatsapparat Platz. Damit war der Weg für den
letztendlichen Verzicht des Königs auf die Wiedererrichtung seiner Hoheit im
Westjordanland offen. Jordanien hatte auch gelernt, dass es zur Wahrung seiner
Stabilität auf die Unterstützung des Westens angewiesen ist – wie dies die
amerikanische und israelische Unterstützung zur Zeit der syrischen Invasion
getan hatte.
Die Ereignisse um den schwarzen September zeigten, dass die Palästinenser ein
militärischer Faktor geworden waren, mit dem man rechnen musste und nun die
Macht hatten, die Tagesordnung der arabischen Staaten und Israels zu bestimmen.
Auf der anderen Seite zeigte sich, dass die palästinensische Führung nicht in
der Lage war ihre eigene Stärke und die Bereitschaft der arabischen Staaten, die
Palästinenser zu unterstützen, realistisch einzuschätzen. Diese Erfolge – und
Misserfolge - hat die palästinensische Führung seither in jeder kritischen
Entscheidungssituation wiederholt, vor der sie stand.
Für Yasser Arafat war der schwarze September eine Bewährungsprobe. Es wurde von
ihm erwartet, sich an unterschriebene Vereinbarungen zu halten, doch er wurde
immer wieder wortbrüchig. Er wurde als Führer der Palästinenser gefordert, seine
Offiziere zu kontrollieren, doch er versagte. Es war seine Aufgabe, realistische
strategische Ziele zu setzen doch er versagte. Aus Jordanien wurde er in den
Libanon und von dort nach Tunesien vertrieben. Und nach seiner Rückkehr nach
Gaza und Ramalla befindet er sich wieder – 32 Jahre nach dem schwarzen September
– im Zentrum eines von ihm miterzeugten Chaos und wird, wie damals, von
gegnerischen Panzern belagert, denen er nichts entgegenzusetzen hat.
Die Lehren des schwarzen September sind im Nahen Osten nicht in Vergessenheit
geraten. Nach dem Einmarsch Israels in die palästinensischen Städte übersandte
das Hashemitische Königshaus mehrere Warnbotschaften an Israel. Unter anderem,
wurde Israel nachdrücklich vor den tragischen Konsequenzen gewarnt, die eine
Ausweisung Arafats nach Jordanien mit sich bringen würde.
haGalil onLine 01-05-2002 |