Selbstmordlügen
New York Times
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31. März 2002
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Von Thomas Friedman
Der Ausgang des
Krieges, der jetzt zwischen Israelis und Palästinensern geführt wird,
ist von größter Bedeutung für die Sicherheit eines jeden Amerikaners und
auch – so glaube ich – für die Sicherheit der Zivilisation insgesamt.
Einfach, weil die Palästinenser eine ganz neue Form der Kriegführung
testen. Sie setzen Selbstmordattentäter ein, die, als Israelis
gekleidet, an ihren Körpern Dynamit tragen, um damit ihre politischen
Ziele durchzusetzen. Und es funktioniert.
Die Israelis leben
in fürchterlicher Angst. Und obwohl diese Strategie ihre Gesellschaft
zerstört hat, verspüren die Palästinenser ein wachsendes Gefühl der
Macht. Sie glauben, dass sie endlich eine Waffe besitzen, durch welche
ein Kräftegleichgewicht mit Israel hergestellt wird und die vielleicht
in ihrer Phantasie Israel zerstören kann. So hat Ismail Haniya von der
Hamas in der Washington Post gesagt, dass die Palästinenser die Israelis
jetzt in die Flucht geschlagen hätten, da es ihnen gelungen sei, ihre
Schwachstelle zu finden. Juden, sagte er, „lieben das Leben mehr als
jedes andere Volk und ziehen es vor, nicht zu sterben.“ So sind
palästinensische Selbstmordattentäter in einer idealen Position, um sich
mit ihnen auseinanderzusetzen. Das ist wirklich krankhaft.
Die Welt muss
verstehen, dass die Palästinenser den Weg der Selbstmordanschläge nicht
aus „Verzweiflung“ infolge der israelischen Besatzung gewählt haben. Das
ist ein kolossale Lüge. Warum? Weil es auf der Welt noch viele
verzweifelte Menschen gibt, die nicht mit einem Sprengstoffgürtel
herumlaufen. Und noch wichtiger: Präsident Clinton hat den
Palästinensern einen Friedensplan vorgeschlagen, der den
„desperaten“ Zustand der Besatzung hätte beenden können. Arafat hat
jedoch nein gesagt. Und was noch wesentlicher ist: Die Palästinenser
haben seit langem eine taktische Alternative zum Selbstmord: Eine
gewaltlose palästinensische Bewegung im Stile von Ghandi, welche an das
Gewissen der schweigenden Mehrheit in Israel appelliert, hätte bereits
vor 30 Jahren einen Staat bekommen. Die Palästinenser haben jedoch auch
diese Strategie verworfen.
Der Grund, weshalb
die Palästinenser sich nicht für diese Alternativen entschieden haben,
liegt darin, dass sie ihre Unabhängigkeit durch Blut und Feuer erlangen
wollen. Als Gemeinwesen können sie sich einzig darauf einigen, was sie
zerstören, nicht was sie aufbauen möchten. Hat jemand Herrn Arafat
darüber sprechen hören, welche Art von Bildungssystem er anstrebt oder
welche Form von Verfassung er bevorzugt? Nein, weil Herr Arafat kein
Interesse am Inhalt eines palästinensischen Staates hat, sondern nur an
seinen Konturen.
Ich möchte hier
Folgendes klarstellen: Die Palästinenser haben sich aus einer
strategischen Wahl heraus für Selbstmordattentate entschieden und nicht
aus Verzweiflung. Dies stellt eine Bedrohung für die gesamte
Zivilisation dar, denn wenn Selbstmordattentate in Israel funktionieren
können, werden sie, so wie es bei den Flugzeugentführungen geschah,
nachgeahmt. Am Ende werden wir Attentäter finden, die mit atomaren
Sprengsätzen ganze Nationen bedrohen. Aus diesem Grund muss die ganze
Welt dafür sorgen, dass diese palästinensische Strategie bezwungen wird.
Aber wie soll das
geschehen? Diese Art des Terrorismus kann nur dadurch eingedämmt werden,
dass er durch die ganze Gesellschaft geächtet wird. Keine fremde Armee
kann kleine, zum Selbstmord bereite Gruppen aufhalten. Wie können wir
die Palästinenser selbst von solchen Taten abschrecken? Zuallererst muss
Israel einen militärischen Schlag gegen sie führen, der ihnen klar
macht, dass sich Terror nicht auszahlt. Zweitens muss Amerika klar
stellen, dass Selbstmordanschläge nicht nur ein Problem für Israel sind.
Zu diesem Zweck sollten die Vereinigten Staaten erklären, dass bei allem
Respekt vor den legitimen Zielen des palästinensischen Nationalismus
Washington so lange keinen Kontakt mit der palästinensischen Führung
haben wird, wie die Terroranschläge toleriert werden. Des Weiteren
sollten wir klar stellen, dass arabische Führer, in deren Medien
Selbstmordattentäter „Märtyrer“ genannt werden, in den Vereinigten
Staaten nicht willkommen sind.
Drittens muss Israel
dem palästinensischen Volk sagen, dass es bereit ist, die in Anwesenheit
von Clinton als Vermittler geführten Friedensverhandlungen an dem Punkt
wieder aufzunehmen, wo sie vor der Intifada abgebrochen wurden. Bei
diesen Verhandlungen waren 90% des Weges Richtung Ende der Besatzung und
Gründung eines palästinensischen Staates zurückgelegt. Viertens: Jede
israelisch-palästinensische Friedensgrenze muss durch die Präsenz von
US- oder NATO-Truppen gesichert werden.
„Im Spanischen
Bürgerkrieg haben die damaligen Mächte ihre neuen Waffen vor Ausbruch
des Zweiten Weltkrieg ausprobiert“, sagt der israelische politische
Theoretiker Yaron Ezrahi. Und weiter: „Der israelisch-palästinensische
Konflikt ist der Spanische Bürgerkrieg für das 21.Jahrhundert.
Gegenwärtig wird in großem Umfang getestet, ob Selbstmordterrorismus als
Strategie der Befreiung erfolgreich sein kann. Er muss besiegt werden,
doch erfordert das mehr als eine militärische Strategie.“
Die Palästinenser
sind durch ihre narzistische Rage dermaßen geblendet, dass sie die
Grundwahrheit, auf der die Zivilisation basiert, aus dem Auge verloren
haben: Die Heiligkeit jedes Menschenlebens, angefangen mit dem eigenen.
Wenn Amerika, die letzte Macht, welche die Realität noch kontrollieren
kann, nicht seine gesamte Energie dafür einsetzt, diesen Wahnsinn zu
beenden und ihn beim richtigen Namen zu nennen, wird er sich ausbreiten.
Der Teufel tanzt im Nahen Osten und er tanzt in unsere Richtung.
Übersetzung:
Botschaft des Staates Israel
haGalil onLine 20-03-2002 |