"Warten wirs ab":
Nur wenige fanden viel neues in Arafats Rede
Israel und die
USA nehmen eine "Warten-wir’s-ab"-Haltung ein; Erekat betont
Arafats Ruf nach Frieden
Von Amira Hass, Haaretz,
10.09.2002
Übersetzung Daniela Marcus
Die Dinge liefen wie immer am
gestrigen Nachmittag in der Muqata, dem Hauptquartier von
PA-Führer Yassir Arafat in Ramallah. Bewaffnete Polizisten und
Fatah-Aktivisten standen entspannt herum, während unbewaffnete
Wachen die Journalisten am Eintreten hinderten, wie es seit
Inkrafttreten der Palästinensischen Autonomiebehörde üblich ist.
Die Autos der Diplomaten, der
Minister und der Mitglieder des PLC (Palestinian Legislative
Council) fuhren eines nach dem anderen vor. Es war das normale
Lärmen vor einem Medienereignis, das dieses Mal zwischen
ausgebrannten Gebäuden, Sandsäcken und Schutt –den Überbleibseln
der israelischen Angriffe- stattfand. Gestern waren die
israelischen Polizeijeeps und die Militär-Ambulanzen, die noch
einen Tag zuvor dort standen, nicht zu sehen.
Die Teilnehmer dieser Ereignisse
küssen sich immer, doch gestern schienen die Küsse inniger
gewesen zu sein. Freunde, die sich seit einem halben Jahr nicht
gesehen hatten, trafen sich wieder. Diejenigen von Jenin oder
Nablus –Städte, die nach palästinensischem Ethos Sitz der
Tapferkeit sind- bekamen den wärmsten Empfang.
In der Empfangshalle von Arafats
Bürogebäude saßen die diplomatischen Repräsentanten aus Europa,
den arabischen Ländern, Australien, Südafrika und dem Fernen
Osten. Weder die Amerikaner noch die Briten hatten allseits
bekannte Repräsentanten geschickt. Arafat, der vor den Kameras
von CNN sprach, rief zu einer politischen Lösung der Irak-Krise
auf.
Später stimmten die meisten
Menschen in der West Bank darin überein, dass Arafats Rede
nichts neues enthalten hatte, weder inhaltlich noch stilistisch.
Einige Mitglieder des Rates, die
mit der Fatah verbunden sind, sagten höflich, dass es unter den
Umständen der israelischen Angriffe auf die Palästinenser
wichtig gewesen war, dass Arafat den Willen des
palästinensischen Volkes, Frieden mit Israel auf der Basis von
zwei Staaten zu schließen, wiederholt hat.
Jamal a-Shati, ein
Fatah-Repräsentant aus dem Flüchtlingslager Jenin, sagte, dass
die Rede weder die Ernsthaftigkeit des palästinensischen Opfers
aus emotionaler Sicht vermittelt, noch die Forderungen nach
Reformen wirklich skizziert hätte. Andererseits hatte Minister
Saeb Erekat das Gefühl, dass der Ruf nach einer friedlichen
Lösung des Konflikts das wesentliche Element der Rede gewesen
sei. Er hob hervor, dass Arafat von der Notwendigkeit der Reform
gesprochen hätte, ohne die gewöhnliche Ausrede zu benutzen, dass
er unter Belagerung sei und deshalb nichts machen könne.
Ismail Hanieyeh, der dem
geistlichen Führer der Hamas, Sheik Ahmed Yassin, nahesteht,
wies Arafats Ruf nach Verhandlungen mit Israel zurück. "Wir
akzeptieren dies nicht, besonders nicht jetzt, da die Intifada
ins dritte Jahr startet", sagte er. Er griff die Benutzung des
Wortes "Terror" für die palästinensischen Selbstmordanschläge
heftig an und sagte, Arafat läge falsch, wenn er sagte, diese
gäben Israel die Möglichkeit für weitere Aggression. Hanieyeh
sagte, Israel handle nach "einem vorprogrammierten zionistischen
Plan". Der Beweis dafür ist, dass Israel mit der Durchführung
dieses Planes fortgefahren war, als die Hamas bereit für eine
Feuerpause gewesen war.
In Jerusalem sagte Außenminister
Shimon Peres, dass Israel eine "Warten-wir’s-ab"-Haltung
bezüglich der Rede eingenommen hätte. Wenn der Ruf nach einer
Feuerpause zu einem Ende der Gewalt führt, wird dies positiv
sein, doch wenn die Gewalt weitergeht, wird dies "nur ein
weiterer Aufruf" gewesen sein. So lautete das Statement des
Außenministeriums.
Peres warnte davor, alles an der
Person Arafats festzumachen. Er sagte, dass es innerhalb der
palästinensischen Gesellschaft eine wirkliche und ernsthafte
Diskussion gäbe, die nicht von Israel geführt werden sollte.
Einige Palästinenser, wie Arafats Stellvertreter Abu Mazen
(Mahmud Abbas), haben öffentlich gesagt, dass die Intifada ein
Fehler und eine verpasste Gelegenheit gewesen sei. Innenminister
Abdel Razak Yehiyeh hat ein Ende des Terrors gefordert, so
Peres. "Ich hoffe, das palästinensische Volk wird diesen Dialog
auf positive Art für seine Zukunft nutzen", sagte Peres.
Ra‘anan Gissin, ein Berater von
Premierminister Ariel Sharon, sagte, die Rede sei bedeutungslos
gewesen und eine palästinensische Reform würde nicht
funktionieren, so lange Arafat an der Macht sei. "Frieden und
Reformen kann es nur geben, wenn Arafat nicht dort ist", sagte
Gissin.
Paul Patin, der Sprecher der
amerikanischen Botschaft in Tel Aviv, sagte nach der Rede, dass
Arafat an seinen Taten und nicht an seinen Worten gemessen
werden würde.
hagalil.com
10-09-02 |