Arafat in Ramallah:
Deckt ihn zu, dass er
sich nicht erkältet
Kommentar von Yoel Marcus, Ha’aretz, 15.02.2002
Erinnern wir uns an den bekannten
ungarischen Witz über einen Soldaten, der seiner Mutter einen Brief von
der Front schrieb und mitteilte: „Ich habe einen türkischen Soldaten
gefangen genommen, aber er will mich nicht gehen lassen.“? Das ist mehr
oder weniger das, was heutzutage mit Arafat geschieht. Seit wir eine
Ausgangssperre über ihn verhängt haben oder, um es präziser zu sagen,
ihn in Ramallah eingesperrt halten und seit er jeden Abend ins Bett geht
und jeden Morgen aufwacht und dabei von einem Panzer beobachtet wird,
ist es schwer zu sagen, wer hier wen gefangen hält.
Was jedoch klar ist, ist die Tatsache,
dass in den vier Monaten seiner Gefangenschaft die Gewalt gegen uns
zugenommen hat und sich das Sortiment der Methoden und Techniken
vergrößert hat. Tag für Tag werden Warnungen über bevorstehende
Anschläge verkündet, die das ganze Volk auf die Beine bringen. Auf
Granaten folgen Kassam-2-Raketen. Wenn diese Raketen benutzt werden, so
haben Sharon und Ben-Eliezer gewarnt, „werden wir militärische Schritte
unternehmen, die es bisher nicht gegeben hat.“ Gerade gesagt und schon
wurden drei Raketen abgefeuert und wir bewegen uns noch weiter auf einen
libanon-ähnlichen Zermürbungskrieg zu. Wahlversprechen, die persönliche
Sicherheit wieder herzustellen, scheinen im phantasievollen Kopf eines
Textschreibers einer Publicity-Firma entstanden zu sein, aber nicht in
strategischen Militärköpfen. Sharon hat keine Idee, wie er uns
Sicherheit bringen kann.
Arafat einzusperren hat eine absurde
Situation geschaffen. Einerseits fordern wir, dass er die Gewalt
beendet; andererseits schwächt es ihn, wenn man ihn hinter Schloss und
Riegel sitzen lässt und es liefert ihm ein weiteres Alibi. Wie kann man
von ihm erwarten, Terrororganisationen wie Tanzim und Force 17 zu
demontieren, Waffen einzusammeln und groß angelegte Verhaftungen
vorzunehmen, wenn er sich nicht frei bewegen kann? Selbst Ben-Gurion
–ein Vergleich ist nicht beabsichtigt- löste die jüdischen
Organisationen Lechi, Etzel und Palmach nicht auf, bis er der Führer
eines souveränen Staates wurde.
Man hält Arafat mit einem zweifachen
Ziel in Ramallah fest – um ihn persönlich anzutreiben, etwas gegen den
Terror zu unternehmen und um ihn soweit zu entkräften, dass er innerhalb
des eigenen Lagers gestürzt und durch eine neue Führung ersetzt wird.
„Wir haben sein Spielzeug weggenommen. Keine Hubschrauber, keine
Flugzeuge, keine Reisen rund um die Welt“, sagte eine Quelle, die dem
Verteidigungsminister nahesteht. „Eine Art persönlicher Preis für sein
Nichtstun.“ Sharons Partner sprechen über eine Strategie des
psychologischen Drucks und des Lenkens der Aufmerksamkeit auf Arafats
Verantwortung für die eskalierende Gewalt. Anscheinend ist das nicht
alles. Die Einschätzung eines außenstehenden Beobachters könnte dahin
führen, dass Sharon Arafat „aus dem Vertrag genommen“ hat. „Niemand hat
grünes Licht gegeben, um ihm Schaden zuzufügen“, sagte eine Quelle der
Verteidigung. „Aber wir haben eine Situation geschaffen, in der niemand
traurig sein wird, wenn er eliminiert wird.“
Tatsächlich hat die Demütigung und
Isolation Arafats das gegenteilige Ergebnis gebracht. Was das System
betrifft, mag er schwächer geworden sein und er hat eine Entschuldigung,
um nicht handeln zu müssen. Aber auf persönlicher Ebene - als nationales
Symbol und nationaler Führer - ist er stärker geworden. Arafat ist immer
am besten in der Rolle des Benachteiligten und des gottgefälligen
Heiligen. Der Adrenalinspiegel beginnt wieder zu steigen. Er stottert
weniger und der Mantel des Heldentums hüllt ihn ein, wenn er nach einer
Millionen Märtyrer schreit, die nach Jerusalem marschieren sollen.
Delegationen von solidarischen Menschen pilgern zu seiner Tür, und es
ist lange her, dass er so viele Interviews gegeben hat. Und selbst wenn
der Ra’is anderen ins Gesicht schlägt und mit seinen Pistolen
herumfuchtelt, sehen die Rajoubs und Dahlans nicht so aus, als wollten
sie ihn fertig machen. Arafat gefangen zu setzen hat ihm zweierlei
gegeben: eine gewisse Immunität und eine neue Art an Munition. Wenn es
sein Ziel war, Israel zu unkonventionellen Taten anzustacheln, die
Schockwellen durch die Region senden und Amerika verärgern, so kann er
sich diese Woche bereits einen kleinen Erfolg ankreiden. Mitchell hat
Sharon beschuldigt, dazu beizutragen, seinen Plan zu torpedieren und
Israel wurde mit nicht gerade schmeichelhaften Ausdrücken für den
Bombenabwurf auf Gaza heftig kritisiert.
Während Sharons Besuch in Washington unternahm die
amerikanische Regierung nicht die besonderen Versuche, die sie in der
Vergangenheit unternommen hatte, um zu demonstrieren, „wie sehr sie mit
uns ist“. Sie deutete auch nicht an, dass man mit Sharon, der ohne
irgend eine neue Initiative oder einen weiteren Plan für politische
Gespräche ankam, einfacher umgehen kann als mit Arafat. Was dem
Premierminister deutlich klar gemacht wurde, war, dass er kein grünes
Licht hat –weder direkt, noch indirekt, noch auf irgendeine implizite
Art- Arafat zu schaden oder militärische Schritte zu unternehmen, die
die Stabilität der Region ins Wanken bringen und den furchtlosen Kampf
des Sheriffs gegen die Kräfte des Bösen auf diesem Globus vereiteln
würden. Und so haben wir uns selbst eine Falle gestellt. Abgesehen von
der Tatsache, dass all unsere militärischen Optionen nichtig sind, haben
wir eine tragikomische Situation geschaffen, in der, egal was Arafat
passiert -ob er an Lungenentzündung stirbt oder auf den Stufen
ausrutscht- wir die Verantwortlichen sein werden. Also, deckt ihn zu,
dass er sich nicht erkältet!
haGalil onLine 06-03-2002 |