Der Reformdruck auf die palästinensische Regierung
steigt. Eine Beteiligung der Hamas würde wohl die Attentate beenden,
aber auch die Anerkennung Israels in Frage stellen
Zu viele Ratschläge für Arafat
YASSIN MUSHARBASH
Jassir Arafat steht vor einem Scherbenhaufen. Er ist
Präsident eines Staates, den es nicht gibt. Er ist Chef einer Regierung,
deren Institutionen zerstört sind. Er ist Vorsitzender einer
Befreiungsbewegung, der PLO, die es eigentlich nicht einmal mehr gibt.
Und dann auch noch das: Kaum dass er nach Monaten des Hausarrests sein
Amtsgebäude in Ramallah verlassen durfte, hagelte es Kritik aus den
eigenen Reihen an seiner Amtsführung und seiner Person. Auch die USA,
die EU und der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon sparen nicht
mit Reformvorschlägen.
Was nun die "Vorschläge" Scharons zur Reform der
Autonomiebehörde angeht, so können diese getrost außer Acht gelassen
werden. Ihm, der seine bisherige Amtszeit darauf verwendet hat, die
palästinensische Regierung zu diskreditieren und zu zerstören, liegt
ihre Reform sicher nicht am Herzen. Was Scharon will, ist die
Neutralisierung Arafats. Diesen Wunsch hat er hübsch garniert zum
Ausdruck bringen lassen: Arafat könnte sich doch auf wahrhaft
präsidiale, also repräsentative Aufgaben beschränken, verlautete aus der
israelischen Regierung.
Für die Palästinenser sind solche Einmischungen in ihre
inneren Angelegenheiten durch die Besatzungsmacht inakzeptabel. Sie
erinnern an ähnliche Versuche Scharons in der Vergangenheit: 1981 wollte
er den Palästinensern die kollaborationswilligen "Dorf-Ligen" als
Vertretung aufzwingen. Schon davor entwickelte er eine Strategie, der
zufolge Jordanien über die Geschicke der Palästinenser entscheiden
sollte. Und kaum hatte sich die PLO nach ihrer Gründung Mitte der
60er-Jahre zu einem veritablen Sprachrohr palästinensischer Interessen
gemausert, zielte Scharon auf ihre Zerschlagung.
Aber auch den Einflüsterungen der USA und der EU
gegenüber sind die Palästinenser misstrauisch. Zwar sind nicht alle
Vorschläge von vornherein von der Hand zu weisen. So forderte
US-Außenminister Colin Powell beispielsweise, dass die zahlreichen
palästinensischen Sicherheitsdienste zusammengelegt werden. Eine
ordentliche Polizeitruppe wäre auch den Palästinensern lieber. Insgesamt
aber sind sie sich bewusst, dass weder die USA noch die EU ihre
Interessen vertreten.
Besonders deutlich zeigte sich das während der letzten
Tage der Regierung Ehud Barak, als die Palästinenser dessen Friedensplan
ablehnten und dafür Prügel aus Washington und Kritik aus Brüssel
einstecken mussten. War Baraks Angebot etwa nicht das weitreichendste,
das Israel je gemacht hatte? Ja, das schon. Aber Baraks Plan lag dennoch
weit unter dem, was die Palästinenser fordern. Er beinhaltete keinen
souveränen und lebensfähigen Staat für die Palästinenser. Die EU und die
USA, sind sich die Palästinenser seitdem endgültig sicher, verlangen
ihnen stets mehr Kompromissbereitschaft ab als den Israelis.
Die EU und die USA sollten also nicht zu viel darauf
geben, wenn einige ihrer Vorschläge auch von einzelnen Palästinensern
angeführt werden. Viele Palästinenserinnen und Palästinenser verbinden
damit nämlich durchaus andere, ganz eigene Ziele. Sie sehnen sich zwar
nach Gewaltenteilung, funktionierenden Gerichten und Presse- und
Meinungsfreiheit. Sie knüpfen aber an die Reformen auch den Wunsch nach
einer Regierung, die den Widerstand gegen die israelische Besatzung
effektiver und erfolgreicher anführt, als Arafat das in der
Vergangenheit vermochte.
Damit ist nicht eine Ausweitung der Intifada gemeint.
Viele derer, die in den letzten Wochen Reformen gefordert haben, denken
über friedlichere Methoden des Widerstands und sogar die Beendigung der
Intifada nach. Die Intifada wird in Palästina eher als Ausdruck des
Protests denn als Methode zur Erlangung der Ziele gesehen. Deshalb
übrigens spielt es in der palästinensischen Debatte auch eine
untergeordnete Rolle, ob Arafat tatsächlich oder doch nicht an
Waffenschmuggeln beteiligt war. Noch niemand hat deswegen seinen
Rücktritt gefordert. Arafat muss sich an anderen Dingen messen lassen.
Nach weithin akzeptierter palästinensischer Vorstellung
ist eine gute Regierung vor allem eine Regierung, die mit Israel
unnachgiebig und gradlinig verhandelt. Gerne auch friedlich. Nicht aber
eine Regierung, die einen fragwürdigen Kompromiss nach dem nächsten
eingeht, dessen Dividende zudem noch unsicher ist.
Denn davon haben die Palästinenser genug gehabt. Das
Stichwort hier heißt Oslo. Es war ein historischer Fehler Arafats und
seiner PLO, im Osloer Prinzipienabkommen von 1993 Israel anzuerkennen,
ohne dafür im Gegenzug eine Garantie für einen souveränen, lebensfähigen
palästinensischen Staat einzufordern. Arafat begnügte sich seinerzeit
mit einem vagen und unausgesprochenen Versprechen, das zwischen den
Zeilen des Abkommen versenkt wurde. Und da liegt es noch heute.
"Die PLO hat sich von einer Befreiungsbewegung in eine
Kleinstadtregierung verwandelt", schrieb damals der palästinensische
Publizist Edward Said. Das stimmte, nur dass die Bewohner nicht immer
glücklich waren mit dem aus dem Exil importierten Politikstil der PLO.
Ihre Aktivisten bekamen die einflussreichsten Posten in der
Autonomiebehörde - unter Vernachlässigung der zahllosen lokalen
Aktivisten, die das Land nie verlassen hatten. Auch gegen diese
Brüskierung, eine Mischung aus Loyalitätssicherung und
Versorgungsmentalität, richten sich die Rufe nach Reformen.
Noch hält Arafat trotzdem offiziell an Oslo fest. Doch
ob er mit diesem Programm noch eine Wahl gewinnen kann, ist unsicher.
Seit seiner Wahl von 1996 haben sich die Dinge nachteilig entwickelt.
Alles, was in den Oslo-Verträgen bewusst ausgespart blieb, ist bis heute
ungelöst: der Status von Jerusalem, die Grenzen, die Flüchtlingsfrage
und die Wasserversorgung. Die jetzt erhobenen Rufe nach Reformen sind
Ausdruck der Sorge, dass das große Ziel eines unabhängigen und
lebensfähigen Staates in immer weitere Ferne rückt.
Diese Sorge treibt Hamas-Anhänger ebenso um wie das
demokratische, linke Spektrum. Arafat selbst wird deshalb über kurz oder
lang wohl seinen Kurs korrigieren müssen, wenn er politisch überleben
will. Vielleicht genügen sein Charisma und sein Status als Symbol für
noch eine weitere Amtszeit. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass
es in Palästina mittelfristig zu einer Regierung der nationalen Einheit
unter Einbeziehung der Hamas und vielleicht noch anderer oppositioneller
Gruppen kommt - entweder als Ergebnis einer Wahl oder auf Initiative
Arafats.
Das bedeutete übrigens nicht automatisch, dass der
Nahostkonflikt noch blutigeren Zeiten entgegentreibt. Wahrscheinlich
würde die Hamas, wäre sie in der Regierung, ihre Anschläge sogar
aussetzen. Eine Hamas-Regierung aber würde die Anerkennung Israels wohl
zurückziehen und sie erst gegen die Anerkennung eines palästinensischen
Staates tauschen. Damit wären die Karten in Nahost neu gemischt.
Autorenhinweis:
Der Autor hat deutsche, palästinensische und jordanische Vorfahren,
studiert Arabistik sowie Politologie in Göttingen und besuchte ein Jahr
lang die Bir-Zeit-Universität im Westjordanland. Er schreibt regelmäßig
für die taz.
taz Nr. 6758 vom 27.5.2002, Seite 12, 241
Kommentar YASSIN MUSHARBASH, taz-Debatte
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haGalil onLine 27-05-2002 |