Erntezeit:
Palästinas Olivenbauern in Not
Die diesjährige
Ernte im Westjordanland steht unter einem schlechten Stern.
Schießende Siedler behindern die Arbeit auf den Feldern, die
Absatzmärkte sind versperrt, und der Preis für das Öl sinkt. Dabei
wäre es eigentlich eine ertragreiche Saison
Von Yassin
Musharbash
Eigentlich sollte
es ein gutes Jahr für die palästinensischen Olivenbauern werden. Und
tatsächlich tragen die Bäume im Westjordanland in diesem Jahre viele
Früchte. "Aber wir werden längst nicht alle Oliven ernten können",
fürchtet Ibtisam Yusif aus dem Dorf Deir al-Balut in der Nähe von
Nablus. Ibtisams Dorf liegt in unmittelbarer Nähe von Ariel, einer
der größten israelischen Siedlungen in den palästinensischen
Gebieten.
Mitte Oktober sollte
in Deir al-Balut die Ernte beginnen. Doch Siedler hatten die Wege zu
den meisten Feldern gesperrt. Jetzt pflücken die Olivenbauern von
Deir al-Balut erst einmal nur in den am weitesten von Ariel
entfernten Hainen.
Die Angst der Bürger
von Deir al-Balut ist berechtigt, denn jedes Jahr kommt es aufs Neue
zu Überfällen israelischer Siedler auf palästinensische
Olivenbauern. Gleich zu Beginn der Erntesaison Anfang des Monats
wurde der 24-jährige Hani Yusuf in einem Dorf in der Nähe von Nablus
beim Olivenpflücken erschossen. Und nur wenige Tage nach Hani Yusufs
Tod schossen Siedler in Funduqiyah bei Dschenin auf die
Olivenpflücker, berichtet Ali Said von der palästinensischen
Farmergewerkschaft.
"Die Bauern", sagt
Said, "pflücken jetzt nur noch in großen Gruppen. Sie hoffen, dass
das die Siedler abschreckt." Nach Auskunft der Palestinian
Agricultural Relief Committees (Parc) befinden sich etwa 35 Prozent
der palästinensischen Olivenhaine in Schussweite von israelischen
Siedlungen. Knapp 150 Siedlungen stehen in den palästinensischen
Gebieten, schätzungsweise 150.000 Menschen wohnen dort. Viele der
Bewohner sind radikale Ultrareligiöse.
Die Siedlungen sind
zudem ein nahezu rechtsfreier Raum. Sie hätten sich bedroht gefühlt,
rechtfertigten die Einwohner der Siedlung Itamar die Schüsse auf
Hani Yusuf, obwohl keiner der Bauern bewaffnet war. Itamar ist
berüchtigt für die Übergriffe seiner Einwohner.
Die Opfer beklagen,
dass die israelischen Behörden, wenn sie sich solcher Fälle
annehmen, extrem genaue Informationen, etwa die Namen der Täter,
verlangen. Die aber kennt niemand.
Die meisten
Überfälle, auch jene mit Todesfolge, blieben so ungesühnt, beklagen
palästinensische Menschenrechtsorganisationen. Sie rechnen mit
weiteren Übergriffen und Toten, da bisher noch nicht alle Bauern mit
der Ernte begonnen hätten. Insgesamt wurden seit September 2000
palästinensischen Angaben zufolge 47 Palästinenser von Siedlern
getötet, etliche Felder zerstört und Früchte gestohlen, oft, ohne
dass die Armee einschritt.
Hunderttausende
palästinensische Familien sind von den Einkünften aus der
Olivenernte zumindest teilweise abhängig. In diesem Jahr rechnen die
Bauern mit hohen Verlusten. Die größten Abnehmer palästinensischer
Oliven sind normalerweise die in Israel lebenden Araber und die
Bewohner des Gaza-Streifens, wo es kaum Olivenbäume gibt. Doch in
diesem Jahr sind die Märkte wegen der Abriegelungen der israelischen
Armee nicht erreichbar. Auch das Exportgeschäft nach Europa ist zu
riskant geworden.
Und so sinkt der
ohnehin schon niedrige Olivenölpreis weiter, weil die Bauern auf
ihrem Öl sitzen bleiben. Eine Folge ist, dass sich nur schwer
Erntehelfer finden lassen: Traditionell werden die Arbeiter mit der
Hälfte des gewonnenen Öls bezahlt. Das entspricht in diesem Jahr nur
durchschnittlich elf Euro pro Tag. "Dafür ist kaum jemand bereit,
zusätzlich noch das Risiko von Siedlerattacken auf sich zu nehmen",
erklärt Nasr Samar. Etwas Abhilfe schaffen etwa hundert europäische
Erntehelfer.
Die Verluste sind für
die Bauern besonders schmerzhaft, weil die Bäume, einem natürlichen
Zyklus folgend, nur jedes zweite Jahr ausreichend Früchte tragen,
dass die Ernte lohnt.
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21-10-02 |