Über den elektrischen Stuhl und die Motivation
Kommentar von Yoel Marcus, Ha’aretz, 19.08.2003
Der Verurteilte ist bereits auf dem
elektrischen Stuhl festgeschnallt. Das Signal zur Betätigung des
Schalters wird gegeben. Plötzlich – ein Stromausfall. Der Knopf wird
mehrmals gedrückt. Doch nichts passiert. Da erinnert man sich, dass
der Kerl auf dem heißen Stuhl ein Elektriker ist. "He! Mann! Kannst
du dieses Ding reparieren?" fragt man ihn. "Ich kann schon",
antwortet er, aber im Moment bin ich nicht gerade motiviert es zu
tun."
Vielleicht hat Verteidigungsminister Shaul Mofas
diesen alten Witz noch nie gehört. Doch während er im Ausland im
Urlaub weilte, schien der Groschen bezüglich der Wichtigkeit der
Motivation zu fallen. Woher ich das weiß? Weil Mofas sagt, er hat
sich persönlich entschieden, nach Israel zurückzukehren, um die
Feuerpause davor zu bewahren in Rauch aufzugehen, um seinen
palästinensischen Amtskollegen Mohammed Dahlan am Rücktritt aus
seinem Amt zu hindern und um Abu Mazens (Mahmoud Abbas‘) Regierung
vor dem Kollaps zu retten. "Zu fordern, dass sie gegen die
Terrororganisation agieren, reicht nicht", erklärte Mofas. "Wir
müssen ihre Motivation stärken, damit sie die Anschläge auch
wirklich stoppen wollen."
Derzeit besitzt die Regierung Abu Mazens nicht die Kontrolle über
die Westbank. Um von dort aus gegen den Terror vorgehen zu können,
muss Israel die Zuständigkeit für mehr Bevölkerungszentren abgeben.
In zwei einschneidenden Treffen, die übers Wochenende stattfanden,
akzeptierte Mofas Dahlans Argument, dass es weniger Anschläge geben
wird, wenn er mehr Macht hat und wenn mehr Städte unter der
Herrschaft der PA sind. Mofas schlug vor, Qalqilyah, Jericho und Tul
Karm an die Palästinenser zu übergeben, und darüber hinaus,
Restriktionen innerhalb der Zivilbevölkerung zu mindern. Und Sharon
stimmte im Prinzip zu.
Die Fernsehberichte, die seit Beginn der Hudna in unsere Wohnzimmer
ausgestrahlt werden, illustrieren den intensiven Wunsch beider
Seiten, zu einer Art ökonomischem Modus Vivendi zurückzukehren. Die
Bilder aus Gaza und Tel Aviv von Menschen, die den Strand bevölkern,
zeigen, dass es möglich ist, anders zu leben. Innerhalb des letzten
Jahrzehnts hat Israel nicht solch einen Ansturm von Touristen erlebt
wie im Moment. Das Lächeln ist auf die Gesichter der Menschen
zurückgekehrt, sowohl hier wie dort. Vielleicht bleibt es dort bis
zum nächsten Anschlag oder bis zur nächsten Erwiderung auf den
nächsten Anschlag. Vielleicht auch nicht.
Nachdem die beiden Verteidigungsminister am Wochenende im Prinzip
eine Entscheidung getroffen haben, änderte der skeptische Mofas, der
immer auf das schlimmste Szenario vorbereitet ist, seinen Ton. Er
redete ohne Punkt und Komma darüber, wie wichtig es für die
Erreichung eines Abkommens ist, den Palästinensern mehr Motivation
zu geben.
Ehud Barak verglich das Oslo-Abkommen in der Regel mit einem
Schweizer Käse: voll von Löchern. Mit der Zeit sehen wir, dass auch
der Fahrplan seinen Anteil an Schlaglöchern aufweist. Was ist zum
Beispiel mit "Ausrottung der Terrorinfrastruktur" gemeint? Physische
Zerstörung? Die Demontage der islamischen
Wohltätigkeitsorganisationen? Blockierung des Flusses finanzieller
Unterstützung?
Welches ist der effektivere Weg, um dem Terror ein Ende zu machen?
Imams ihres Amtes zu entheben oder sie zu verhaften? Oder Drehbänke
zu verschrotten? (Anmerkung: Drehbänke werden von palästinensischen
Terroristen bei der Herstellung von Bomben benutzt.) Die Antwort ist
natürlich, dass die Imams, die Blutvergießen predigen, gefährlicher
sind als die Waffenlager. Diese geistigen Führer sind diejenigen,
die Geld beschaffen, die bei den Massen den Hass schüren und die die
Armut und Verzweiflung ausnützen, um Selbstmordattentäter zu
züchten.
Israel wird mit all seiner Macht niemals fähig sein, die gesamte
Terrorinfrastruktur zu beseitigen. Je härter Israel auf diese
einschlägt, desto mehr wird sie wachsen. Nur die palästinensische
Regierung kann sie unter Kontrolle halten – nicht als ein
Kollaborateur Israels, sondern als zentral regierendes Organ, das
seine Autorität dadurch erhält, dass es die Gesamtheit des
palästinensischen Volkes vertritt.
Doch so lange wir die Befehle in der Westbank geben, werden sich die
Terrororganisationen der Unterstützung der Massen erfreuen. Die
palästinensische Regierung wird ihre Autorität nur stärken können,
wenn sie nationale und ökonomische Errungenschaften vorweisen kann.
Eine palästinensische Regierung, die von Terrororganisationen
bedroht wird, braucht die weitreichende Unterstützung der
palästinensischen Öffentlichkeit, um etwas zur Beendigung des
Terrors tun zu können. Und dies hängt sehr von uns ab.
Das Experiment, das Mofas begann, ist es wert unterstützt zu werden.
Je mehr urbanes Gebiet der Westbank an die Regierung Abu Mazens
übergeben wird, desto mehr wird diese ein Interesse haben, die
falsche Elite zu bewachen. Und wenn die Möglichkeit realer wird,
einen Staat ohne Terror zu gründen, wird die Unterstützung des
Volkes für Abu Mazen wachsen und damit die Motivation seiner
Regierung, energisch gegen die Terrororganisationen vorzugehen.
Übersetzung Daniela Marcus
hagalil.com
20-08-2003 |