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Die Mission der helfenden Grenzgänger: „Ich erinnere mich an die 13 Kugeln in Ihrem Bauch“

Acht Engel für Palästina

Wenn sich die begehrtesten Ärzte Israels auf den Weg ins Feindesland machen, scheint es ihren Patienten dort, als habe der Himmel sie geschickt

Von Thorsten Schmitz

Tel Aviv und Schufa, Ende Februar – Beschwingt von den Beethoven-Sonaten aus dem Autoradio fährt Professor Raphael Walden an einen Ort, wo Juden wie er normalerweise umgebracht werden. Es ist früh am Samstagmorgen, Tel Aviv liegt noch unter Daunen, und Professor Walden drückt aufs Gas. Angst habe er nicht, sagt er. Der Chefchirurg am Tel Aviver Krankenhaus Tel Hashomer opfert den einzigen freien Tag der Woche für Menschen, die Israelis hassen und sie seit 17 Monaten beschießen. „Angst hat man nur vor etwas, das man nicht kennt“, sagt Walden und stellt die Musik noch ein bisschen lauter. Er aber kenne den Feind, der Feind kenne ihn, und beide hätten etwas viel Wichtigeres zu bekämpfen als sich selbst: Krankheiten.

An einer Tankstelle trifft der Professor Kollegen von anderen Krankenhäusern, Chefärzte und Krankenschwestern und zwei arabische Israelis, die ihre Autos für den Trip ins Kriegsgebiet zur Verfügung stellen. Die jüdische Krankenhausbelegschaft stopft zwei Transportwagen mit Decken voll, mit T-Shirts, Pullis, Hosen, Hustensaft, Kopfschmerztabletten, Binden, Nasentropfen, Injektionen gegen Schlangenbisse und Wundsalbe und beginnt mit ihrer illegalen Mission. Als sich die zwei Wagen einem israelischen Checkpoint nähern, hebt ein Soldat die Hand und signalisiert ein vorläufiges Ende der Samstagsfahrt. In schusssicherer Weste und mit einem über die Schulter geschnallten Maschinengewehr kontrolliert er die Ausweise der Israelis. Er könnte Professor Waldens Sohn sein, er ist gerade mal zwanzig.

„Wo wollt ihr hin?“
„Nach Schufa.“
„Seid ihr Siedler?“
„Nein, Tel Aviver.“
„Dann dürft ihr da nicht hin, das ist Zone A. Für Juden verboten. Das ist lebensgefährlich.“
„Das ist es nicht. Wir sind Ärzte und behandeln Palästinenser.“
Einmal im Monat

Der junge Soldat kann mit der Antwort nichts anfangen und geht zu seinem Vorgesetzten. An ihnen vorbei strömen palästinensische Frauen, die Erdbeer-Paletten und Olivenöl-Kanister auf dem Kopf balancieren. Der Weg ist staubig und steinig, die Wintersonne brennt heiß, Kinder an den Händen der Mütter weinen, junge Männer in Sandalen stehen in Gruppen zusammen, rauchen und spucken ihr Revier ab. Sie schauen den acht Juden zu, die mit zwei jüdischen Soldaten darum streiten, in das Gebiet fahren zu dürfen, das die Juden für sich reklamieren, das aber für Juden zu gefährlich ist.

Betont langsam stiefelt der Vorgesetzte des jungen Soldaten auf die zwei Wagen zu, schaut auf die Ausweise der Juden aus Tel Aviv, schüttelt den Kopf. Dieselben Fragen noch einmal, dieselben Antworten, ein Schulterzucken, ein Nicken. Jüdische Siedler sind ihm bekannt. Die wohnen jenseits des Checkpoints in schwer geschützten Trutzburgen und sagen, sie fühlten sich dort zu Hause. Weil es 200000 Siedler gibt im Westjordanland, gibt es Zehntausende Soldaten, die sie vor den 1,7 Millionen Palästinensern beschützen. Dass es aber jüdische Israelis gibt wie diese acht, die nicht der Bibel wegen in die Palästinensergebiete fahren, ist dem Vorgesetzten ein Rätsel. Er ruft noch hinterher, die Ärzte sollten nach dem Checkpoint rechts auf die frisch asphaltierte Straße abbiegen. Es ist die jüdischen Siedlern vorbehaltene Straße, die von Palästinensern nicht befahren werden darf, die allerdings ihre Olivenhaine und Gemüsefelder durchschneidet.

Einmal im Monat fahren acht israelische Ärzte und Krankenschwestern in die besetzten Gebiete und behandeln kranke Palästinenser. Umsonst. Professor Walden belustigt die Vorstellung, dass arme Palästinenser in den Genuss einer De-Luxe-Behandlung kommen, die sich selbst manche Privatpatienten in Israel nicht leisten können. Die Ärzte, die der Hilfsorganisation „Physicians for Human Rights“ angehören, sind die Crème de la Crème Israels: die besten –und teuersten–Chirurgen, wie Professor Walden, die besten Herzspezialisten, die besten Geburtshelfer. In Jeans und karierten Hemden fahren sie jeden Monat nach Absprache mit dem palästinensischen Roten Kreuz in ein Dorf, das weitab liegt vom nächsten OP und der nächsten Apotheke–oder aus dem die Bewohner nicht herauskönnen, weil israelische Soldaten einen Belagerungsring angelegt haben.

Professor Walden sitzt auf der Rückbank des Transporters, eingequetscht zwischen Medikamenten und zwei Krankenschwestern, und studiert abwechselnd eine Mappe und die Landschaft. „Wunderschön“, sagt er und inhaliert den Duft saftiger Wiesen, von Klatschmohn, Kakteen und blühenden Mandelbäumen. Er sieht Armeecamps und daneben die typischen rotdachigen Häuser jüdischer Siedlungen, er sieht Häuser palästinensischer Dörfer, von denen der Putz abblättert und manche gar keine Dächer haben. Es ist nicht so, dass der Professor aus lauter Nächstenliebe weniger patriotisch gestimmt wäre. „Verstehen Sie mich nicht falsch“, sagt er. „Ich liebe mein Land und auch diese Landschaft hier.“ Er stimme nicht mit den Linken Israels überein, die behaupteten, „Judäa“ und „Samaria“ seien bedeutungslos–so nennen die Religiösen in Anlehnung an das Alte Testament das Westjordanland. „Ich kenne jeden Stein, jeden Hügel, aber für mich steht Humanität an erster Stelle. Die Palästinenser sollen hier leben, nicht wir.“ Professor Walden war Soldat im Libanon und im Gaza-Streifen und hat um Israels Existenz gekämpft. Aber die Besatzung „korrumpiert uns und tötet Israel. Es bringt den Teufel in uns hervor. Wir müssen hier raus“. Deshalb fährt der Professor hier hinein: „Wir wollen zeigen, dass Israelis nicht nur Monster sind, die Palästinenser hassen. “

Die kleine Kolonne bewegt sich auf holprigen Straßen an Eselskarren vorbei einen kleinen Hügel hinauf in das mittelalterliche Dorf Schufa. Tausend Menschen leben hier, eingekeilt zwischen den Autonomiestädten Tulkarem und Kalkilia, die sie nicht erreichen können. Die tausend Menschen von Schufa teilen sich einen einzigen Arzt, Dr. Abdallah Barkami, der keine Medikamente hat. In einem edlen Anzugsjackett mit goldenen Knöpfen steht der Doktor von Schufa vor einem Wohnhaus, das den Ärzten aus Tel Aviv als mobile Klinik dienen soll, und begrüßt jeden einzelnen mit Handschlag.

Seit dem frühen Morgen warten Frauen und Männer und Kinder vor und in dem Haus, auf Treppenstufen und auf Plastikstühlen, manche seit vier Stunden. Die gesunden Kinder des Dorfes, die gerade aus der Schule kommen, strömen zu dem Wohnhaus, das die Besitzerin den Israelis zur Verfügung stellt und in dem sie seit Stunden mit einer Teekanne und Plätzchen aus Israel die Patienten versorgt. Die Schulkinder starren auf die Ärzte, als sei soeben ein Raumschiff gelandet, und die Frauen und die Kinder drängen in die fünf Zimmer, in denen noch Fernseher stehen, Schrankwände, Sessel, und in denen jetzt für die kommenden fünf Stunden Pulse gemessen, Herztöne abgehört, Kniegelenke gebogen, Röntgenbilder geprüft, Mandeln ausgeleuchtet werden. Professor Walden stöpselt ein Stethoskop in seine Ohren, legt es auf die wettergegerbte Brust einer siebzigjährigen Palästinenserin und sagt: „Manchmal fühle ich mich wie im Zoo, so werden wir hier angestarrt. Aber die meisten kennen entweder keine Juden oder aber nur Soldaten, die ihre Ausweise kontrollieren oder nachts um drei mit Gewehren im Anschlag ihre Wohnungen stürmen.“

Die siebzigjährige Palästinenserin klagt über Druck auf ihrer Brust, Professor Walden hört Unregelmäßigkeiten im Herzschlag, berät sich mit Meir Liron, der mit seinen siebzig Jahren Arabisch lernt, um die Patienten besser zu verstehen, und die beiden beschließen, dass die alte Dame mit dem Krückstock und den tausend Falten im Gesicht in einem israelischen Krankenhaus gründlich untersucht werden muss. Ob sie etwas dagegen habe, fragt Walden, wenn er sie nach Tel Aviv in sein Krankenhaus einlade. Dort gäbe es Spezialisten, die sich genauer ihre Herzmuskeln anschauen könnten. Die alte Frau schweigt. Ein Palästinenser, der Hebräisch in einem israelischen Gefängnis gelernt hat, übersetzt. Es stellt sich heraus, dass die Dame sehr wohl verstanden hat. Sie war sich nur nicht sicher, ob sie richtig gehört hat.

Sie war noch nie in Israel, das drei Kilometer von Schufa entfernt beginnt.

Die fünf Ärzte und drei Krankenschwestern verschnaufen keine Minute –und sie nehmen sich viel Zeit für jeden Einzelnen. Als der palästinensische Koordinator in ein Behandlungszimmer tritt und die Krankenschwester Chana Knaz bittet, sie alle mögen doch etwas schneller die Patienten abfertigen, schenkt sie ihm ihr schönstes Lächeln, misst den Puls einer achtzigjährigen Palästinenserin und sagt: „Bei uns sind die Patienten Könige.“

Professor Walden und sein Kollege Professor Meir Liron untersuchen einen 28-jährigen Palästinenser, der ohne T-Shirt vor ihnen steht und Mühe hat, beide Arme gleichzeitig zu bewegen. Er sagt, er sei von Soldaten angeschossen worden und könne seine Armbewegungen seitdem nicht mehr koordinieren. Die Professoren betrachten Röntgenbilder vom Gehirn des Palästinensers – und entscheiden sich, auch ihn in Professor Waldens Krankenhaus gründlicher zu untersuchen. Der junge Mann hat Angst vor Israel, Professor Walden beschwichtigt ihn: „Wir schicken einen Brief an Sie, und mit diesem Brief kommen Sie durch den Checkpoint. Ich werde Sie dann abholen.“ Der junge Palästinenser küsst den 59-jährigen Juden auf die Wange. Vor der Tür wartet eine junge Frau mit einem zweijährigen Baby auf dem Arm. Ihm fehlt die linke Gehirnhälfte, und es ist linksseitig gelähmt.

Professor Walden findet den Aufenthalt jedes Mal faszinierend– vom medizinischen Standpunkt aus: „Wir stoßen hier auf Pathologien, die es seit Jahrzehnten schon nicht mehr in den entwickelten Nationen gibt.“ Im Nebenzimmer, das der Fernsehraum ist, steht die Krankenschwester Irene Lewenhoff und pult mit Wattestäbchen einem Fünfjährigen Popel aus der Nase. Er leidet an Asthma. Die verschleierte Mutter sagt, zu Hause sei es kalt und feucht, sie hätten keine Heizung. Und während Irene Lewenhoff ein Asthmamittel verschreibt, murmelt sie: „Die Leute hier frieren, und nebenan leben die Siedler mit Swimmingpools und Wassertanks und Generatoren.“ Die Mutter bittet Irene Lewenhoff, in ihren Mund zu schauen, sie habe Schmerzen am Zahnfleisch. Lewenhoff nimmt ein Holzstäbchen und drückt die Zunge der Frau nach unten und stellt fest, dass ein Gebiss aus vier künstlichen Zähnen am Zahnfleisch scheuert. Sie verschreibt Spülungen und gibt den Rat, die Frau solle zum Zahnarzt gehen. Die Frau sagt, dafür habe sie kein Geld.

Am Mittag wird Professor Walden vor das Haus gerufen. Ein gehbehinderter Mann könne nicht in die Praxis laufen. Walden nähert sich dem Auto, die Tür öffnet sich, darin sitzt ein Palästinenser mit wundem Fuß. Der Mann sagt, er habe keine richtigen Schuhe, nur ein paar enge, an denen er sich ständig wund scheuert. Professor Walden kniet nieder, nimmt den Fuß in die Hand, sagt, das sei keine schlimme Verletzung, ein bisschen Salbe, ein Verband, und der Mann fühlt sich schon viel besser. Er habe da noch ein Anliegen, ein persönliches, sagt der Mann, und der Professor verscheucht die neugierigen Kinder, die das Auto umzingeln. Während der letzten Intifada sei er von israelischen Soldaten angeschossen worden, dreizehn Kugeln seien in seinem Bauch gelandet.

„Moment mal“, sagt Walden. „Sind Sie damals in einem israelischen Krankenhaus operiert worden?“
„Ja“, sagt der Mann.
„War das 1992?“
„Ja.“
„Dann habe ich Sie zusammengeflickt. Ich erinnere mich an die 13 Kugeln in Ihrem Bauch.“

Die zwei schütteln sich die Hand, der Palästinenser und der jüdische Israeli. Der Palästinenser bietet eine Zigarette an und sagt, seit der Verletzung von damals könne er keine Kinder mehr zeugen. Er und seine Frau hätten alles versucht. Professor Walden lädt ihn in sein Krankenhaus ein, dort könne er von einem befreundeten Urologen gecheckt werden. „Sie sind ein Engel“, freut sich der Mann und braust davon.

Und dann die Nachrichten

Nach einem Mittagessen aus Huhn, Joghurt, Brot und Salat, das die Hausherrin kredenzt, sichtbar stolz auf ihre Gäste, machen sich die Ärzte und die Krankenschwestern auf den Weg zurück nach Israel. Sie wollen vor Einbruch der Dunkelheit am Checkpoint sein und im Dunkeln nicht zum Ziel von Palästinensern werden, die ihre israelischen Kennzeichen für Siedlerautos halten könnten. Alle acht sind müde, schweigen, dösen, rufen zu Hause an, dass alles okay sei, als der Fahrer das Autoradio aufdreht. Nachrichten.

Vor ein paar Minuten, verkündet der Sprecher, habe sich ein palästinensischer Selbstmordattentäter in der Pizzeria einer jüdischen Siedlung in die Luft gesprengt. Von Toten ist die Rede und von vielen verletzten Jugendlichen, die zum Ausklang des Sabbats eine Pizza essen wollten. Die Siedlung liegt einen Kilometer von Schufa entfernt.

Niemand sagt etwas.

Plötzlich klingelt das Handy von Professor Walden. Es ist seine Chirurgie-Abteilung. Er möge schnell ins Krankenhaus kommen, die ersten Schwerverletzten aus der Siedlung würden in wenigen Minuten eintreffen.

haGalil onLine 04-03-2002

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