MEMRI Special Dispatch – 7.
Oktober 2004
Abu Mazen:
Die Intifada war ein Fehler
Unter der Überschrift "Oslo war der größte palästinensische Erfolg und
Camp David ein Fehler" veröffentlichte die jordanische Tageszeitung
Al-Rai kürzlich ein Interview mit dem ehemaligen Premierminister der PA
Mahmoud Abbas (Abu Mazen). Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus
dem am 27. September 2004 erschienenen Interview:
['In Camp David wurde nur über
ein paar Ideen gesprochen']
"Frage: 'Warum haben sie [im Jahr 1996 nach der Ermordung Rabins] die
laufenden Verhandlungen [über den Endstatus] nicht abgeschlossen, als
deutlich wurde, dass Netanjahus Chancen, die [bevorstehendenWahlen] zu
gewinnen, ziemlich gut standen?'
Abbas: '[...] Es blieb uns nur ein Monat […] und mit Netanjahus Wahl waren
wir auf den Nullpunkt zurückgeworfen. Er weigerte sich, Arafat, die PLO
und Oslo anzuerkennen […]. [Nach drei Jahren] kam Barak […] und es kam
zu den Verhandlungen in Camp David […] und Taba. Dann kamen der Besuch
von Sharon auf dem Tempelberg und der Ausbruch der Intifada. Diese
beiden Ereignisse stoppten die Verhandlungen bis heute und es gab keine
Fortschritte mehr – im Gegenteil […]. Es waren also die israelischen
Regierungen, die Oslo scheitern ließen. Sharons Besuch [auf dem
Tempelberg] war ein schlimmer Fehler, auf den die Intifada folgte, deren
Fortsetzung ´das Schlimmste´ war. Heute meine ich, dass die gesamte
Intifada ein Fehler war und nicht hätte fortgeführt werden sollen. Das
gilt insbesondere für die so genannte 'Militarisierung des Intifada'.
Frage: 'Die Verhandlungen von Camp David führten zu keinen Ergebnissen.
Wer ist für das Scheitern verantwortlich? Ist Yassir Arafat
mitverantwortlich?'
Abbas: 'Die Wahrheit ist doch, dass es während der 16-tägigen
Verhandlungen in Camp David gar keinen 'Clinton-Plan' gab, sondern eher
[einzelne] Ideen. Und während der letzten beiden Tage wurden nur drei
Themen diskutiert: das Problem der Grenzen, die Flüchtlingsfrage und
Jerusalem. Der erste Fehler bestand schon darin, dass die Verhandlungen
von Camp David ohne Vorbereitung stattfanden. [...] Außerdem gab es
nicht ein einziges Treffen zwischen Arafat und Barak. Das einzige was
geschah war, dass Clinton zu uns und zu ihnen kam, um über ein paar
Ideen zu sprechen. [...] Was die Grenzen angeht schlug er vor, dass wir
80% der Westbank und die Israelis den Rest bekommen sollten. […] Wir
begannen zu diskutieren: Warum sollten wir 20% aufgeben? Nach langen
Diskussionen schlug Clinton 92% vor. Wir haben das abgelehnt und
erklärt, dass wir bereit seien, die Grenzen von 1967 mit ein paar
kleinen gegenseitigen Änderungen zu akzeptieren. Clinton kam daraufhin
mit [93%]. Auch das lehnten wir ab. Wir können so etwas nicht
akzeptieren – jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Warum nicht? Allein
wenn man die Siedlungen in ihrer jetzigen Form akzeptierte, würde man
damit die Westbank in vier Teile zerreißen, obwohl die Siedlungen nur
1,7% ihrer Fläche einnehmen. Und selbst wenn wir ihnen nur 3% statt 8%
überließen, gäben wir ihnen damit das Recht die Siedlungen noch zu
vergrößern - und dieses Problem ist deshalb so schwierig, weil die
Siedlungen auf den palästinensischen Wasservorkommen liegen.
Dann gab es die Flüchtlingsfrage. […] Wir konnten Clinton davon
überzeugen, dass es Palästinenser gibt, die [sehr wohl] ein Recht auf
Rückkehr haben, das sie entweder wahrnehmen oder Reparationszahlungen
beanspruchen können. Wir erläuterten alle Details und schlugen vor, mit
[den Flüchtlingen] aus dem Libanon anzufangen. Zusätzlich fragten wir
[den Generalstaatsanwalt] Elyakim Rubinstein nach dem aktuellen Status
des 'Absentee Property Fund', woraufhin dieser zugab, dass er durch
Kabinettsbeschluss 'gestrichen' worden sei. Darauf sagte ich zu ihm:
'Wenn das so ist, dann waren auch Hitlers [Enteignungs-]beschlüsse in
Ordnung.' Das macht deutlich in welchem Klima die Auseinandersetzungen
mit der israelischen Seite in Camp David verliefen. [...]'
Frage: 'Aber noch einmal die Frage: Wer war für das Scheitern [von Camp
David] verantwortlich?'
Abbas: 'Clinton erklärte mir und Abu Ammar [Yassir Arafat], dass er ein
Kommuniqué dazu herausgeben wolle und versprach uns, dass er keine Seite
für das Scheitern von Camp David verantwortlich machen würde. Und dann
machte er doch Arafat für das Scheitern verantwortlich. Dabei war Yassir
Arafat in Camp David viel nachgiebiger als ich - aber es gab einfach
keine ernsthaften Angebote. [...]
Frage: 'Ist Oslo also ein Fehler gewesen?'
Abbas: 'Nein. Schließlich bin ich der 'Vater von Oslo'. Vielleicht, wenn
Rabin noch am Leben wäre, hätte er erreichen können, was kein anderer
vor oder nach ihm hätte schaffen können. Er war bereit, für den Frieden
Schritte zu gehen, die er als 'schmerzvoll' bezeichnete. [...] '
Frage: 'Wenn also die Verhandlungen zu keinem Ergebnis führten, warum
meinen sie dann, dass die Intifada die schlechteste Wahl gewesen ist?'
Abbas: 'Nehmen wir einmal an, die Intifada wäre vorbei und wir könnten
nach vier Jahren ihre Folgen bewerten. Es gibt dazu drei verschiedene
Positionen: Zum einen gibt es die Auffassung, dass nachdem 1000 Israelis
durch die Intifada getötet wurden, Israel und die Regierung Scharon
zusammenbrechen werden. Zweitens meinen einige, dass die bewaffnete
Intifada das Heimatland befreien würde. Und der dritten Meinung zufolge
hätte die Intifada den Siedlungsbau stoppen können. Es zeigt sich aber,
dass Scharon nicht zurücktreten musste. Im Gegenteil: Er ist zum
populärsten [Staatsmann] in der Geschichte Israels geworden […].
Außerdem sind gegenwärtig alle palästinensischen Gebiete besetzt und
schutzlos; und es gibt fast doppelt so viele Siedlungen wie vorher.
Darüber hinaus haben wir unserem Verhältnis mit den Amerikanern und der
öffentlichen Meinung in Israel geschadet. Auch die die letzte
Verlautbarung des [Nahost-] Quartetts zeigt wohin wir es gebracht
haben.'
Die Intifada hat die Welt dazu gebracht,
die Palästinenser zu verurteilen
Frage: 'Sie haben auf einen vierten Standpunkt zur Intifada
hingewiesen. Wie sieht der aus?'
Abbas: 'Die vierte Meinung sagt: Stoppt die 'Militarisierung der
Intifada'. Wir sollten die Verpflichtungen aus der Road Map und unserer
Verfassung erfüllen und dann die Welt davon überzeugen, dass wir unseren
Verpflichtungen gefolgt sind und auch Scharon die seinen erfüllen muss.
Stattdessen verurteilt nun die ganze Welt uns statt Scharon.'
Frage: 'Was muss die palästinensische Seite tun, um aus dieser Lage
herauszukommen?'
Abbas: 'Wir müssen in unseren eigenen Reihen Ordnung schaffen. Das ist die
erste Bedingung […]. Das ist aber nicht getan worden. Die vierte Ansicht
bleibt schwach und findet kein Gehör.' [Im Weiteren spricht Abu Mazen
über Probleme der inneren Reformen und behauptet dann, dass der getötete
Führer der Hamas, Scheich Yassin, bereit gewesen sei, einen
palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 zu akzeptieren. Damit,
so Abu Mazen, hätte das größte Problem zwischen der PA und den anderen
„palästinensischen Organisationen“ kurz vor einer Lösung gestanden. Auf
Nachfrage erklärt Abu Mazen, dass er es für möglich halte, dass diese
Entwicklung einer der Gründe für den Beschluss der israelischen
Regierung gewesen sein könnte, Yassin umzubringen, und dass Yassin
innerhalb der Hamas eine eher moderate Position vertreten habe. Dann
fährt er fort:] 'Der erste Schritt [um das palästinensische Haus in
Ordnung zu bringen] wäre die Vereinheitlichung des Sicherheitsapparates
gemäß der Road Map und unserer Verfassung, dann kämen nationale
Gespräche und dann Wahlen.' […]
Die drei Hauptursachen für das Scheitern der
Regierung
Frage: 'Es gibt Leute, die behaupten, dass die USA und Israel ihren
Rücktritt als Rechtfertigung für die israelischen Angriffe gegen die
palästinensische Bevölkerung genutzt hätten, indem sie behaupteten, dass
Präsident Arafat ihre Regierung gestürzt habe.'
Abbas: 'Drei Hauptgründe führten zum Scheitern meiner Regierung: Der erste
war, dass Israel keines seiner Zugeständnisse umsetzte. Zweitens haben
die Amerikaner die Sache schleifen lassen und drittens attackierten mich
die Palästinenser selbst. […] Wir hatten es geschafft, für
zweiundfünfzig Tage völliger Ruhe in den palästinensischen Gebieten zu
sorgen, aber im August, am dreiundfünfzigsten Tag, gab es einen Anschlag
in Jerusalem […] und der Waffenstillstand [hudna] platzte. [...] Ich
erklärte, dass ich weiter an einer Hudna festhalten wolle, aber Scharon
und auch Bush lehnten das in Scharm Al-Scheich ab, weil ihrer Meinung
nach die andere Seite terroristisch sei […].
Frage: 'Wenn Israel [die Verhandlungen] scheitern ließ und die
Amerikaner die Sachen schleifen ließen, wie kam es dann dazu, dass die
Palästinenser sich am Sturz ihrer Regierung beteiligten?'
Abbas: 'Ich geben ihnen ein Beispiel. Bevor ich zum Gipfel von Aqaba
reiste, war die Road Map [bereits] ausgearbeitet. Ich stimmte den uns
auferlegten Verpflichtungen zu und dann forderten die Amerikaner von
mir, dass ich in meiner Rede nicht 'vergessen' sollte, zu erwähnen, dass
'Israel ein jüdischer Staat' ist. Ich lehnte dies ab, weil ich dies zu
sagen nicht als meine Angelegenheit betrachtete und teilte ihnen das
auch mit.
Danach hielt ich meine bekannte Rede in Aqaba, die mit irrationaler Wut
und vielen Fragen aufgenommen wurde: Warum hast Du das Leiden der Juden
thematisiert? Ich antwortete, dass ich auch vom Leiden der Palästinenser
gesprochen hätte. Dann kam die Frage: Warum hast Du das Problem der
Flüchtlinge nicht erwähnt? Ich erklärte ihnen, dass ich über die sechs
Fragen des Endstatus insgesamt gesprochen habe, von denen die
Flüchtlingsfrage eine […]. Die Kritik wurde nur um der Kritik willen
geübt und die Verurteilung, nur um mich zu verurteilen. Auf jeden
Schritt wurde genau entgegengesetzt reagiert. Soviel zur politischen
Ebene.
Auf der inneren [palästinensischer] Ebene begannen wir mit internen
Reformen bis ich am 4. September zum Parlament kam und am Eingang von
einer bewaffneten Menschenmenge empfangen wurde und alle Fenster
eingeworfen wurden. Ich erklärte, dass ich vielleicht naiv gewesen war,
Unterstützung von Scharon oder den Amerikanern zu erwarten – aber ich
hätte nicht gedacht, dass meine Leute so etwas tun würden. Am folgenden
Tag […] bot ich meinen Rücktritt an und ich weiß nicht, wie Israel und
Amerika davon profitiert haben könnten. [...]
Frage: 'Können sie uns erklären, warum Präsident Arafat [auch jetzt]
kein Interesse daran hat, Macht an den gegenwärtigen Premierminister Abu
Alaa [Ahmad Qurei] abzugeben und er es den Palästinensern nicht erlaubt,
ihre innere Krise in Ordnung zu bringen? Warum weigert sich Abu Ammar
trotz Forderungen von internationaler und arabischer Seite
Machtbefugnisse an Sie und die anderen Minister abzugeben?'
Abbas: 'Ich weiß es nicht. Vielleicht glaubt er, dass die Reformen dazu
führen würden, dass man sich seiner ganz entledigt. […] Ich weiß nur,
dass er in dem Moment, in dem unsere internen Angelegenheiten geklärt
sind […], die Sicherheitsfragen überprüft werden und es Wahlen gibt,
innerhalb von fünf Monaten im Weißen Haus empfangen würde.'
Frage: 'Worauf wartet die PA dann?'
Abbas: 'Vielleicht auf die Wahlen in Amerika. Aber das wäre reine
Zeitverschwendung, denn in allem was uns betrifft, nehmen sich Bush und
Kerry rein gar nichts.'
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