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Wie Abd a-Samed das 116te Kind wurde, das in Gaza gewaltsam starb

von Amira Hass
Ha’aretz / ZNet 02.07.2002

GAZA. Er liebte nichts sosehr wie runter ans Meer schwimmen geh’n u. seinen selbstgebastelten Drachen steigen lassen. Aber am Morgen des 21. Juni (Freitag) ging der 10jährige Abd a-Samed Shamalekh statt dessen auf das Feld seiner Familie; er sollte Auberginen u. Gurken ernten.

Auf diese Weise verbrachten Abd a-Samed u. sein 12jähriger Bruder Mohammed ja ihre ganzen Sommerferien: entweder, sie waren drunten am Meer oder sie arbeiteten auf den Feldern bzw. verkauften Gemüse. Die Familie Shamalekh besitzt 4,5 Dunams Land (= 45 Ar). Von dem Gemüse, das sie anbauen, bestreiten 15 Personen ihren Lebensunterhalt. Die Familie lebt im Sheikh-Ajlin-Viertel im Süden von Gaza-Stadt. Ein dichtbevölkerter Bezirk mit vielen zweigeschossigen Häusern. Die Menschen, die diese Häuser während der letzten beiden Jahrzehnte gebaut haben, leben hauptsächlich von der Landwirtschaft. Das Viertel erstreckt sich über jenen sandigen Hügel, der vom Strand herauf- kriecht. Rote Klettersträucher der Bougainvillea sprießen im Sand, klettern über die Eisentore, um sich am Betonverputz der Häuser emporzuranken. Lediglich die flaschenhalsähnliche Verengung der Küstenstraße trennt das Haus der Familie Shamalekh vom Meer ab. Wenn es aufs 1,5 Kilometer im Süden gelegene Feld hinausgeht, benutzt die Familie einen Eselskarren. Wie fast überall üblich im Sheikh-Ajlin-Viertel war auch das Land der Shamalekhs früher mit Reben bepflanzt, aber man hatte sich entschlossen, auf Gemüse umzustellen. Ein Weinberg sorgt nämlich nur einmal im Jahr für Ernte, Gemüse hingegen bedeutet Arbeit u. Einkommen das ganze Jahr über.

Am Tag des 21. Juni kam es schon frühmorgens zu einer Schießerei - vielleicht war es um 5, vielleicht auch erst um 6 Uhr. Wir wissen nicht mehr ganz genau, wann es war, sagt die Familie. Jedenfalls, als sie aus dem Fenster sahen, stellten sie fest, dass der südlich fließende Verkehr zum Stillstand gekommen war. Es würde unmöglich sein, aufs Feld zu gelangen. Gegen 8 oder auch 8 Uhr 30 bewegte sich der Verkehr wieder, u. die Familie ging davon aus, die Situation hätte sich beruhigt: Schüsse, Verkehrsstillstand, noch mehr Schüsse u. wieder Stille - so geht das hier im Viertel routinemäßig. Die (jüdische) Siedlung Netzarim ist 2 km in südöstlicher Richtung gelegen. Sie wird von der “halben israelischen Armee” bewacht, wie man hier in Gaza sagt. Während der vergangenen 22 Monate hat man das meiste landwirtschaftlich genutzte Land in den Sanddünen rund um die Siedlung zerstört: die Gewächshäuser wurden eingerissen, die Felder beharkt, dann eingeebnet. Man hatte die Rebstöcke der Weinberge entwurzelt oder zerhackt. Vertrocknete Tomatenpflanzen u. Überbleibsel von Rebstöcken liegen noch immer verstreut am Straßenrand herum. Dennoch haben einige grüne Inseln (Ackerland) überlebt - östlich bzw. westlich der Küstenstraße; sie werden von ihren Besitzern bzw. ihren Pächtern nach wie vor bebaut. Die asphaltierte Straße, die im Osten nach Netzarim führt, ist für palästinensische Fahrzeuge gesperrt u. wird nur von (israelischen) Panzern u. Jeeps benutzt. Ein einzelnes Haus - es gehört der Abu-Husa-Familie -, steht allein inmitten verbrannter Erde. Schon seit über einem Jahr hat die Israelische Armee darin Posten bezogen; sie beobachtet von hier aus eingehend die (palästinensischen) Bauern, die auf ihre Felder zurückkehren sowie die Fahrzeuge bzw. Karren, die sich auf der Straße bewegen.

Eine Menge Blut

Die Brüder Abd a-Samed u. Mohammed waren an diesem Freitagmorgen aufs Feld hinausgegangen - sie wollten sehen, was dort los war: kindliche Neugier. In der Stadt hatte es nämlich Gerüchte gegeben, ein israelischer Bulldozer habe damit begonnen, das (restliche) Ackerland der Umgebung zu zerstören u. einzuebnen. Außerdem sollten die beiden Jungen mehrere Kilo Gemüse abernten u. im Karren zum Vater bringen, der es auf dem Markt verkaufen wollte. Anschließend könnten die beiden dann wieder zurück ans Meer - mit dem Drachen spielen, mit dem Wind, mit den Wellen. Kurz nach 9 Uhr morgens - etwa eine halbe Stunde, nachdem die Kinder das Haus verlassen hatten -, kam jemand zu den Eltern u. sagte, Mohammed sei verwundet worden. Dann hieß es wieder, nein, es sei Abd a-Samed, u. man hätte ihn schnell ins Krankenhaus gebracht. Als die Eltern im Krankenhaus ankamen, fanden sie ihren Sohn tot vor. Er hatte eine Kugel in den Kopf bekommen. (Was war passiert:) An diesem Morgen, also Freitag, hatten Palästinenser eine selbstgebastelte Panzerfaust-Rakete auf einen israelischen Armeeposten neben der Netzarim-Siedlung abgefeuert. Ein Givati-Soldat* war schwerverletzt worden. Vonseiten der Israelischen Armee erfuhr Ha’aretz, der Vorfall habe sich um 6 oder 7 Uhr früh ereignet. Die Armee hätte “die Quellen der Abschüsse identifizieren können und das Feuer erwidert”. Später zerstörte die Israelische Armee noch einen nahegelegenen Posten der palästinensischen Küstenwache. Laut des israelischen Armeesprechers sei die Rakete von dieser Position aus abgefeuert worden. (Aber die Frage ist:) Haben die Palästinenser auch noch um 9 Uhr auf einen israelischen Armeeposten gefeuert? Der Armeesprecher gegenüber Ha’aretz: davon sollte wohl vernünftigerweise ausgegangen werden, u. anschließend hätte die Israelische Armee dann eben zurückgefeuert. Im Widerspruch hierzu berichten Journalisten, die gerade vor Ort gewesen waren, ein Spurensucher des ‘Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte’ (‘Palestinian Center for Human Rights’) sowie Anwohner der Gegend, die Lage habe sich bereits gegen 8 Uhr 30 beruhigt gehabt u. es sei zu keinem weiteren Schusswechsel mehr gekommen. Tatsache ist, der Verkehr war bereits wieder geflossen, Bauern waren zu ihren Feldern gerannt, um zu sehen, was man mit ihren Ländereien angestellt hatte, u. Fotografen kamen, um Bilder von dem Bulldozer zu schießen, wie der immer vor u. zurück über die Erde fuhr - also noch mehr Gemüsefelder einebnete. Dann hatte plötzlich heftiges Gewehrfeuer die Stille durchbrochen. Die Reporter u. die Anwohner sagen, die Schüsse müßten entweder von den Netzarim-Posten gekommen sein oder aber von einem israelischen Panzer, der kurz zuvor die Straße überquert hatte. Dutzende Menschen, meistens Frauen u. Kinder, hätten sich aus Angst zu Boden geworfen, ihre Gesichter in Sand u. Erde begraben. Als die Schießerei ausbrach, waren Mohammed u. sein jüngerer Bruder Abd a-Samed nicht mehr weit vom Feld der Familie entfernt gewesen. Beide warfen sich flach zur Erde wie alle andern auch - jedenfalls glaubte das Mohammed zuerst. Nach ein paar Minuten sagte er zu seinem Bruder, die Schießerei sei jetzt wohl vorbei, sie könnten weiter. Aber Abd a-Samed antwortete nicht, u. als Mohammed sich zu ihm umwandte, sah er eine Menge Blut. Mohammed rief um Hilfe, aber es war keine Ambulanz in der Nähe. Jemand fuhr mit einem Eselskarren heran, u. ein anderer schleppte Abd a-Samed zu dem Karren. Ohne festzustellen, ob das Kind überhaupt noch lebte, fuhren sie los bis zur nächsten Ambulanz. “Aber er war schon tot, als sie ihn gebracht haben”, sagt sein Vater. “Was hat er getan, dass sie auf ihn geschossen haben? Er hat doch noch nicht mal Steine geworfen. Die Soldaten haben doch alle Geräte - Kameras, Feldstecher - sie geben doch immer damit an, dass sie alles sehen. Sie müssen doch ganz genau gesehen haben, dass dieses Kind nicht auf sie geschossen hat. Sie haben doch ganz genau gesehen, das sind nur Kinder, sie tragen keine Waffen. Es hat sich doch nicht bei Nacht abgespielt sondern am hellichten Tag”.

Später ebnete der Bulldozer auch noch das Gemüse-Feld der Shamalekh-Familie ein: all ihre Tomaten, ihre Gurken u. Auberginen wurden einfach zerquetscht. Der Verdienst für die Sommer- u. Herbstmonate innerhalb weniger Minuten zunichtegemacht. Außerdem wurden auch noch drei motorbetriebene Wasserpumpen - sie hatten das Brunnenwasser hochgepumpt -, zerstört. “Seit der Türkenzeit haben wir dieses Land bearbeitet”, sagt der Vater, “Nun werden wir wohl Wolfsbohnen** auf der Straße verkaufen müssen”, fügt seine Frau mit bitterem Lachen hinzu. Ihr Sohn Mohammed steuert eine Kleinigkeit zum Familieneinkommen bei, indem er seinem Onkel auf dem Bau zur Hand geht. Wenn er von der Arbeit heimkommt, sind seine Hände schwarz u. übersät mit Blasen. Die Familie besitzt jetzt noch einen halben Dunam (= 5 Ar) Land, auf dem sie Tomaten anbaut. Aber da es derzeit ja nicht möglich ist, Gemüse aus Gaza nach Israel oder in die Westbank zu exportieren, herrscht ein Überangebot an Tomaten. Der Marktpreis in Gaza ist so niedrig, dass er nicht mal die Anbaukosten deckt: ein Karton mit 17 Kilo Tomaten kostet nur noch 3 Shekel.

Das Töten der Kinder von Gaza

Der Junge Abd a-Samed Shamalekh, der nach den Sommerferien die 4. Klasse besuchen sollte, ist das 116te palästinensische Kind, das die Israelische Armee seit dem 28. September 2000 im Gazastreifen getötet hat. Unter Berufung auf Zahlen des ‘Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte’ wurden während der Intifada bisher - Stand gestern - insgesamt 450 Palästinenser (in Gaza) getötet. Dabei sind diejenigen nicht mitgerechnet, die israelische Armeepositionen oder Siedlungen angegriffen haben u. dabei getötet wurden. Eingerechnet sind hingegen bewaffnete palästinensische Zivilisten bzw. Angehörige des (palästinensischen) Sicherheitsapparats, die von der Israelischen Armee attackierte Wohnviertel in Gaza verteidigt haben. Unter Zugrundelegung dieser strengen Kriterien wurden seit Beginn der Intifada bis zum 18. Juni im Gazastreifen u. in der Westbank insgesamt 1398 Personen durch die Israelische Armee getötet (seit dem 18. Juni kommen in Gaza noch 8, in der Westbank mindestens noch 15 neue Opfer hinzu). Unter diesen 1398 Personen waren 253 Kinder. Nicht mitgezählt ist der Shamalekh- Junge, ein 17jähriger aus Rafah, 7 Kinder, die die israelische Armee allein während der letzten 10 Tage in der Westbank getötet hat sowie ein Kind, das starb, als das Haus der Familie kollabierte, weil die Israelische Armee ein benachbartes Haus eingerissen hatte. Unter den getöteten Palästinensern sind auch 77 Frauen - 18 davon aus dem Gazastreifen. Seit Fertigstellung dieser Statistik am 18. Juni wurde eine weitere Frau in Dir al-Balah durch die Israelische Armee getötet. Der Anteil der getöteten Kinder liegt im Gazastreifen um einiges höher als in der Westbank - 26 Prozent in Gaza gegenüber 15 Prozent in der Westbank. Das ‘Palästinensische Zentrum für Menschenrechte’ führt dies erstens auf die höhere Bevölkerungsdichte im Gazastreifen zurück, zweitens darauf, dass Kinder in Gaza 50 Prozent der Bevölkerung dieses dichtbevölkerten Distrikts stellen sowie drittens darauf, dass die dortigen Militärbasen der Israelischen Armee sehr nah an palästinensisches Wohngebiet heranreichen. Aber von alldem einmal abgesehen, gehen die Analysten des Menschenrechts- zentrums auch davon aus, dass die hohe Opferzahl unter Kindern in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass die Soldaten der Israelischen Armee sehr oft das Feuer auf Zivilisten u. Wohngebiete eröffnet haben - also dass sie nicht (wie es heißt) die ihnen zu Gebote stehenden Maßnahmen ergriffen haben, um sicherzustellen, dass ihr Feuer auch tatsächlich präzise auf “die Quelle des (palästinensischen) Feuers” gerichtet ist. Zudem, so das Zentrum, reflektiere die hohe Zahl getöteter Kinder auch die Tatsache, dass die Israelische Armee manchmal erst Stunden später auf einen Angriff ‘reagiert’ hat - u. somit also keineswegs im Rahmen eines Schusswechsels. Auf diese Weise ist jedenfalls Abd a-Samed Shamalekh ums Leben gekommen.

Anmerkung d. Übersetzerin:
* Eliteeinheit der Israelischen Armee
** Lupine Futter- bzw. Gründüngungspflanze: nicht eßbar

Übersetzt von: Andrea Noll
Orginalartikel: "
How Abd a-Samed became the 116th child killed in Gaza"

hagalil.com 07-07-2002

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