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Jericho:
40 Grad und keine Schattenseiten

Jericho im Westjordanland gilt als Friedenshort und Vorbildstadt– warum man auch nach zwei Jahren Intifada dort nur mit Hitze und Fliegen kämpft

Von Thorsten Schmitz

Jericho, im September–Der Bürgermeister von Jericho sitzt zwei Jahre nach Beginn der Intifada in seiner Amtsstube und kämpft mit Fliegen. Sie setzen sich auf seine Lippen, wenn er zum Reden ansetzt, sie machen es sich auf den Schulterpolstern seines zu großen Jacketts bequem, naschen vom süßen Tee, der vor ihm dampft. Der Fliegenkiller auf dem Schreibtisch versagt kläglich wie die einzige Klimaanlage in dem Bürgermeisteramt. Beide sind Auslaufmodelle und stammen aus Israel. Abdel Karim Sidr entschuldigt sich, dass ihm die Fliegen die Schau stehlen. Er hatte sich so gefreut, dass Besuch kommt. Vor ihm liegen Prospekte, Stadtpläne, Hotel- und Restaurantverzeichnisse, und seinen Assistenten hat er bereits am Morgen damit beauftragt, im Internet nach Jericho-Daten zu surfen. Der Bürgermeister will einen guten Eindruck hinterlassen und diktiert dem Besucher in den Block: "Wir sind eine gastfreundliche Stadt, niemand braucht sich hier vor Gewalt zu fürchten." Anteilnehmend möchte er wissen, ob die israelischen Soldaten am Checkpoint an Jerichos Einfallstraße schikanös oder unkompliziert gewesen seien. Tatsächlich hatte der 18-jährige Soldat voller Unglauben gefragt, was wir in Jericho zu suchen hätten. "Da gibt’s nur Fliegen", gab er uns mit auf den Weg und ließ uns passieren in die zehntausend Jahre alte Stadt.

Jericho, eine halbe Autostunde östlich von Jerusalem in der Wüste gelegen und im Spätsommer noch immer backofenheiß mit mehr als 40 Grad, ist ein Ort der Superlative. Der ständigen Hitze wegen ist es der ereignisloseste Ort im Nahen Osten, und die älteste Stadt der Welt am tiefsten Punkt der Erde. 400 Meter unter dem Meeresspiegel gelegen und höchstens zwei- bis dreimal im Jahr von Regen gesegnet, spielt sich Leben hier nur in den frühen Morgenstunden und dann erst wieder weit nach Einbruch der Dunkelheit ab. Dass der Bürgermeister einen Anzug trägt mit Krawatte, "habe ich nur Ihnen zu Liebe gemacht", lächelt Abdel Karim Sidr und tupft den Schweiß von Stirn und Wangen.

Seit zwei Jahren verfügt Jericho über einen neuen Superlativ: Kein einziger palästinensischer Selbstmordattentäter stammte aus der Wüstenstadt. Ihre 15000 Bewohner befinden sich seit 1994 in der Obhut der Palästinensischen Autonomiebehörde, und selbst in den letzten zwei Jahren hat sich daran nichts geändert. Während andere Autonomiestädte wie Ramallah, Dschenin oder Tulkarem von israelischen Truppen belagert und beschossen werden, hält sich die israelische Armee aus Jericho raus. Denn Jericho ist friedlich. "Wir tun hier keiner Fliege was zu Leide", sagt der Bürgermeister und entschuldigt sich für einen Moment. Er will Nachrichten hören und erfahren, wie es Jassir Arafat geht in dessen fast völlig zerstörtem Hauptquartier. Auf dem in zehn verschiedenen Farben gewebten Teppichporträt hinter Sidrs Bürgermeistertisch lächelt der Vorsitzende der Autonomiebehörde.

Die Intifada in den Palästinensergebieten und die Selbstmordanschläge in den israelischen Städten werden in Jericho als Nachrichten von einem anderen Stern empfunden. Für das jüdische Laubhüttenfest Sukkot haben die Palästinenser von Jericho Palmenblätter an israelische Zwischenhändler verkauft, in Jericho existiert das einzig noch funktionierende israelisch- palästinensische regionale Koordinationsbüro, und die Palästinenser, die via Jerichos Allenby-Grenzübergang nach Jordanien ausreisen möchten, können durchaus mit einem lächelnden israelischen Soldaten rechnen, der ihnen "Gute Reise" hinterherwünscht. In Jericho heißen Supermärkte "Frieden", weisen Schilder auf Hebräisch den Weg zu Parkplätzen, bringt eine jüdische Mutter zweier Söhne aus Jerusalem palästinensischen Kindern das Reiten im Stall der Autonomiebehörde bei. Und weil sie als Israelin palästinensisches Autonomiegebiet nach einem Erlass der Regierung in Jerusalem nicht betreten darf und manche Soldaten sie am Checkpoint in ihrem klapprigen VW Golf nicht durchlassen, parkt sie den Wagen in Sichtweite zu den Soldaten und den zwei palästinensischen Kamelen, die dort grasen. Nimmt ihr Handy, ruft ihren palästinensischen Kollegen vom Reitstall, der kurz darauf mit zwei Pferden angeritten kommt und sie abholt.

Mein Freund Schimon

Ein paar Hundert Meter vor den Toren der Stadt verwaisen ein Hotel und das Oasis-Casino, das vor Beginn der Intifada–wie auch die Restaurants und Hotels innerhalb der Stadt–von spiel- und abenteuersüchtigen Israelis in Scharen heimgesucht worden waren. Jetzt sind Türen und Fenster im "Oasis" und im Hotel verriegelt. Seit ein paar Tagen jedoch hält sich im Hotel eine illustre Gesellschaft auf: Mitglieder des US- Geheimdienstes CIA trainieren palästinensische Offiziere in Terrorbekämpfung –unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Jeder, der sich auch nur ansatzweise dem Hotelkomplex nähert, wird von palästinensischen Polizisten verscheucht. Der Bürgermeister von Jericho ist so glücklich über die Gäste vom CIA vor den Toren seiner Stadt, dass er schon die getrübten amerikanisch-palästinensischen Beziehungen gekittet sieht: "Wenn die vom CIA schon hierher kommen, wer weiß, vielleicht kriegt Arafat doch noch eine Einladung ins Weiße Haus!"

Die Intifada findet unter Ausschluss Jerichos statt, und das habe drei triftige Gründe, sagt der berühmteste Einwohner der Stadt, Saeb Erekat. Der als Kommunalminister und Chef-Unterhändler amtierende Palästinenserpopulist, der in geschliffenem Englisch Dauergast auf CNN ist und auf Hebräisch engen Kontakt zu "meinem Freund" Schimon Peres hält, zählt an den Fingern seiner Hand die Gründe für die Friedfertigkeit seiner Nachbarn auf: die Hitze, die dem Leben Geschwindigkeit nimmt und auch die Lust auf Krawall. Die Tatsache, dass Jericho den einzigen Grenzübergang zu Jordanien besitzt, wohin intifadamüde Palästinenser aufbrechen. Die Abgeschiedenheit und der –frühere–Kontakt zu israelischen Touristen. Rechtsanwalt Erekat, das meist respektierte palästinensische Sprachrohr in der westlichen Welt, sagt, er würde "niemals" seinen Wohnort wechseln und etwa nach Ramallah ziehen. In Jericho zu leben nähre ihn mit Hoffnung, dass es in den anderen Palästinenserregionen "irgendwann mal" auch so friedfertig zugehen könne.

Darauf spekuliert auch Israel. Die Regierung betrachtet die heiße Kleinstadt als Laborversuch. Sie gilt als "Vorbild" für eine mögliche Zukunft an der Seite der Palästinenser, nicht gegen sie. Jericho, das oft als Wiege der Zivilisation beschrieben wird, besitze das Potenzial zur Wiege eines künftigen Palästinenserstaates. Hier hat die Autonomiebehörde Arafats kurz nach Unterzeichnung der Oslo-Verträge 1994 ihre Arbeit aufgenommen, von hier soll auch der Funke zum Frieden auf die anderen Autonomiestädte überspringen. Der Planungschef im israelischen Regierungsstab für die Koordination in den besetzten Gebieten, Schimon Arbel, sagt: "Jericho ist für uns ein Pilotprogramm für die Zukunft. Wir gewähren den Palästinensern dort größtmögliche Freiheit und müssen feststellen, dass diese nicht missbraucht wird." Zwar sei es in den letzten zwei Jahren vereinzelt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen, "aber es gibt in Jericho keinen Trend zum gewaltsamen Aufstand". Die Menschen dort wollten Frieden, ihre israelischen Touristen wieder zurück und einen ungehinderten Export ihrer Wüstentomaten. Verglichen mit Ramallah oder Kalkilia sei Jericho "geradezu pastoral". Israel wolle, dass sich die Palästinenser aus dem Gaza-Streifen und den Westjordanland-Städten ein Vorbild nähmen und erkennten: "Es geht auch ohne Gewalt." Im Gegensatz zu den anderen Städten, wo die radikalen Islamisten von Hamas und Heiligem Krieg die Intifada dirigieren, hat Israel in Jericho ein leichtes Spiel. Bürgermeister Abdel Karim Sidr kommt vom Radio zurück mit der Gewissheit, dass Arafat noch lebt, und sagt: "Die Hamas-Mitglieder in Jericho können sie an einer Hand abzählen, sie passen in einen Mini-Van. Und vom Islamischen Dschihad haben wir gar keinen hier, höchstens einen."

Ansichten aus Israel

hagalil.com 26-09-02

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