Von B. Tchernitzky*
Die erste Stufe der Roadmap
enthält die Verpflichtung der Palästinensischen Autonomiebehörde mit
"nachhaltigen, gezielten und effektiven Aktionen gegen alle [zu
beginnen], die in terroristische Aktionen verwickelt sind" sowie "die
Handlungsmöglichkeiten von Terroristen und ihre Infrastruktur zu
zerstören".(1) Der palästinensische Premierminister Mahmoud Abbas (Abu
Mazen) bevorzugte jedoch die Fortsetzung des Dialog mit den islamischen
Fraktionen, um eine Übereinkunft in Form der Hudna [Waffenstillstand]
und damit eine vorübergehende Aussetzung der Aktionen gegen Israel zu
erreichen.(2)
Die Verhandlungen über die
Hudna, von denen einige unter ägyptischer Vermittlung in Ägypten
stattfanden, begannen vor einigen Monaten - noch bevor Abu Mazen am 30.
April 2003 zum Ministerpräsidenten ernannt wurde und vor dem offiziellen
Inkrafttreten der Roadmap am 1. Mai 2003. Aufgrund von
Meinungsverschiedenheiten der Teilnehmer wurden sie abgebrochen. Mit der
Ernennung von Abu Mazen und dem Inkrafttreten der Roadmap konnten die
Gespräche wieder aufgenommen und beschleunigt werden.
Die neu aufgenommenen
Verhandlungen zwischen den verschiedenen palästinensischen Fraktionen
fanden auf verschiedenen Ebenen statt: Abu Mazen sprach mit
Repräsentanten der islamischen Fraktion in Gaza, der Vorsitzende der
Fatah der Westbank Marwan Barghouti und die Vertreter der Fatah Qaddoura
Fares und Ahmad Ghuneim (3), sprachen mit Führern der islamischen
Fraktion in Damaskus. Außerdem gab es Verhandlungen in israelischen
Gefängnissen mit Mitgliedern verschiedener palästinensischer
Organisationen.(4)
Obwohl die Verhandlungen mit
einer Abmachung einiger Teilnehmer abgeschlossen wurden, die Angriffe
auf Israel einzustellen, stand keine gemeinsame Deklaration an ihrem
Ende. Stattdessen gab es drei verschiedene Erklärungen - eine von Hamas
und Islamischem Jihad (5), eine zweite von der Fatah (6) und eine dritte
seitens der PLO (7). Vertreter der Fatah räumten ein, dass
Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Partei eine gemeinsame Erklärung
verhindert hätten.
I. Meinungsverschiedenheiten
innerhalb der Fraktionen
Die an den Verhandlungen über
die Hudna beteiligten Organisationen aber auch Einzelpersonen waren sich
über mehrere grundlegende Fragen uneinig – etwa, ob die Roadmap in der
Einleitung der Erklärung erwähnt werden sollte, wie lange sie andauern
und wie sie aussehen sollte.
A. Der Bezug auf die Roadmap
In der Erklärung der Hudna, die
aus den Verhandlungen zwischen den Abgesandten Barghoutis, Qaddoura
Fares und Ahmad Ghuneim sowie den Führern der Hamas und des Islamischen
Jihad in Syrien resultierte, wird die Roadmap überhaupt nicht erwähnt.
Die politische Führung der PLO/PA (zum Beispiel Abu Mazen) wollten die
Roadmap in die Deklaration aufnehmen, was die Vertreter von Hamas und
Islamischem Jihad aber ablehnten.(8)
Fares etwa sagte, dass
[Fatah-Offizielle] der Hudna-Erklärung politische Positionen hinzufügen
wollten, die Hamas und Jihad gezwungen hätten, jeweils eigene
Erklärungen abzugeben.(9) Und Abd Al-Qadar, Mitglied des
Palästinensischen Gesetzgebenden Rates und Führer der Fatah erklärte in
einem Forum der Internetseite www.islamonline.net: "Als der [in Damaskus
erarbeitete] Entwurf der palästinensischen politischen Führungsriege und
der Fatah unterbreitet wurde, versuchten diese grundlegend Änderungen
vorzunehmen, zum Beispiel [...] bestimmte politische [über den
Waffenstillstand hinausgehende] Aussagen hinzuzufügen…" (10)
Weitere Aussagen machten
Vertreter islamischer Organisationen, die behaupteten, dass es
Meinungsverschiedenheiten über die Aufnahme politischer Inhalte in die
Erklärung innerhalb der Fatah gewesen wären, welche die Möglichkeit
einer gemeinsamen Deklaration verhindert hätten. In einem Interview mit
der libanesischen Zeitung Al-Safir, sagte der Generalsekretär des
Islamischen Jihad, Ramadhan Abdallah Salah: "Die Fatah trat von unseren
Übereinkünften zurück und wollte politische Inhalte hinzufügen, denen
Hamas und Islamischer Jihad nicht zustimmen konnten, weil dadurch die
[Hudna-] Initiative Teil der Roadmap geworden wäre".(11)
B. Die Dauer der Hudna
Die in Damaskus ausgearbeitete
Originalversion beschränkt die Hudna auf drei Monate, während die
Führung der PA sechs Monate bevorzugte.(12)
C. Die Voraussetzungen für die
Hudna
Die islamischen Fraktionen
forderten, dass Israel verschiedene palästinensische Forderungen
anerkennen müsste, bevor die Hudna in Kraft treten könnte – die
politische Führung der PA stimmte dem nicht zu. (13) In einem
Online-Interview bestätigte Al-Qader folgende Meinungsverschiedenheiten:
"Die Version der Fatah und der PLO entsprach nicht den Vereinbarungen,
die zwischen der Fatah [z.B. Marwan Barghouti und seinen Abgesandten]
sowie der Hamas und dem Islamischen Jihad getroffen worden waren – eine
Vereinbarung über eine dreimonatige Hudna ohne weitere politische
Inhalte..." (14). Der Generalsekretär des Islamischen Jihad Shalah
bestätigte diese Aussage: "[Vertreter der Fatah] wollten nicht, dass die
Einstellung der [militärischen] Operationen, von Zugeständnissen seitens
des Feindes abhängig gemacht werden sollte." (15)
II. Die Veröffentlichung der
Hudna
Schließlich führten die inneren
palästinensischen Meinungsverschiedenheiten zur Veröffentlichung
unterschiedlicher Erklärungen. Jede palästinensische Fraktion fühlte
sich bemüßigt, ihre Meinung über die Hudna zu veröffentlichen. Die Hamas
und der Islamische Jihad versuchten außerdem, ihren Wandel von der
totalen Ablehnung eines Waffenstillstands zu seiner Anerkennung zu
rechtfertigen. Auch Organisationen, die gar nicht aktiv an den
Verhandlungen über die Hudna beteiligt waren, gaben nach deren
Veröffentlichung Stellungnahmen ab. Hier eine Zusammenfassung der
wichtigsten Unterschiede zwischen den einzelnen Versionen:
Die Hamas und der Islamische
Jihad nahmen davon Abstand, die Übereinkunft, militärische Operationen
gegen Israel einzustellen, als "Hudna" zu bezeichnen. Während die PLO
und die Fatah die Forderung nach einem palästinensischen Staat innerhalb
der Grenzen von 1967 erwähnten, wurde dies von der Hamas und dem
Islamischen Jihad (die ganz Palästina befreit sehen wollen) nicht
erwähnt. Beide Organisationen erwähnten die Roadmap nicht, begrenzten
die Dauer der Einstellung von Kampfhandlungen gegen Israel auf drei
Monate und hoben hervor, dass Widerstand gegen die Besatzung eine
"strategische Option" bleibe. Außerdem forderten sie die "bedingungslose
Freilassung aller palästinensischen und arabischen Häftlinge",
verzichteten aber darauf, einen Rückzug der Israelis auf die Grenzen vom
September 2000 sowie internationale Beobachter zu fordern.
Auch die PLO verwandte den
Begriff der "Hudna" nicht, setzte deren Dauer aber auf sechs Monate
fest. Außerdem fügte sie verschiedene politisch relevante Themen hinzu:
a) Die PLO ist alleinige
Vertreterin des palästinensischen Volkes’; und b) Das endgültige Ziel
des palästinensischen Befreiungskampfes sei die Gründung eines
palästinensischen Staates innerhalb der Grenzen von 1967 mit Jerusalem
als Hauptstadt und das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge.
Weiterhin forderte die PLO die "bedingungslose Freilassung aller
palästinensischen und arabischen Gefangenen" und einen israelischen
Rückzug auf die Grenzen vom September 2000. Auch sie erwähnten jedoch
keine internationalen Beobachter.
Die Bezeichnung "Hudna" kommt
auch in der Deklaration des PLO-Exekutivkomitees nicht vor. Allerdings
werden politisch relevante Faktoren zum Quartett (die USA, die EU, die
UN und Russland) und zur Roadmap erwähnt. Auch das Komitee forderte die
Freilassung aller Gefangenen und einen israelischen Rückzug auf die
Linien vom September 2000 und internationale Beobachter.
Nach Veröffentlichung der
Deklaration nahmen einige andere Organisationen öffentlich Stellung: Die
Al-Aqsa Märtyrer-Brigaden, der militärische Flügel der Fatah, erklärten
ihre Zustimmung zum Fatah-Kommuniqué (16). Allerdings erklärten sie am
folgenden Tag auf ihrer offiziellen Website die völlige Ablehnung der
Hudna. Neben anderen Punkten wurde dies mit der "Nichtanerkennung der
Hudna durch die Zionisten" begründet. (17) Dies war eine von
verschiedenen Verlautbarungen der Organisation, mit der sie eine Bindung
an die Hudna ablehnten.(18)
Die arabische Befreiungsfront
(AFL) veröffentlichte ein Kommuniqué, in dem sie eine Verbindung mit der
Erklärung der PLO (die den Namen der AFL in diese aufgenommen hatte)
bestritt, weil sie ihrer "Ideologie widerspreche". (19)
Die PFLP (Popular Front for the
Liberation of Palestine) weigerte sich zwar, die Hudna zu
unterschreiben, versicherte aber, nicht gegen sie verstoßen zu
wollen.(20) In einem Interview mit der libanesischen Tageszeitung
Al-Safir kritisierte der Generalsekretär der PFLP, Ahmad Sa'dat, dass
die Hudna den Weg für Verhandlungen auf der Grundlage der Roadmap ebnen
würde und dass die PFLP beides ablehne.(21)
Die 'Democatic Front for the
Liberation of Palestine' (22) und die 'Popular Resistance Committees'
(23) veröffentlichten in getrennten Erklärungen ihre Unterstützung für
eine Einstellung der Kampfhandlungen gegen Israel.
III. Palästinensische
Erklärungen nach der Hudna-Veröffentlichung
Kurze Zeit nach der
Bekanntmachung des Waffenstillstands gegenüber Israel wandten sich
sowohl die Führer von PLO und Fatah als auch die der islamischen
Organisationen an ihre Anhänger, um ihre Positionen zu erklären und zu
rechtfertigen:
A. Führer von PLO, PA und Fatah
In einem Interview mit Reuters
sagte Abu Mazen: "Von nun an werden wir jeden einzelnen, jede Fraktion
und jede Partei, die gegen die [Hudna] verstößt, ins Gefängnis
bringen... Wir werden alles tun, um eine Konfrontation mit unserem Volk
zu verhindern. Denn sonst könnte es zu einem Bürgerkrieg kommen und jede
Hoffnung unseres Volkes ausgelöscht werden." (24) Während eines Treffens
mit dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Moussa, am 22. Juli
fügte Abu Mazen indes hinzu: "Es kommt überhaupt nicht in Frage, hart
gegen die Hamas, den Islamischen Jihad und [andere] palästinensische
Organisationen vorzugehen. Wir wenden das Gesetz an, welches wir unter
Führung der PA akzeptiert haben."(25)
Der Sicherheitschef der PA,
Muhammad Dahlan, wurde in der unabhängigen palästinensischen
Tageszeitung Al-Quds mit dem Satz zitiert: "Jeder, der den von der
Palästinensischen Autonomiebehörde verkündeten Waffenstillstand
verletzt, wird vor Gericht gestellt werden."(26)
Als nach Veröffentlichung der
Hudna Raketenangriffen auf israelische Städte durchgeführt wurden,
reagierte die Fatah mit einem Kommuniqué, das jede Verletzung der Hudna
kritisiert. Die Angriffe stellten demnach eine "Abweichung vom
nationalen Konsens" dar. Die Organisation rief ihre Mitglieder dazu auf,
"gegen diese Anschläge zu kämpfen, sie zu denunzieren und alle
Hintermänner preiszugeben". Ebenso rief sie die palästinensische
Regierung dazu auf, "Verantwortung zu übernehmen und jeden festzunehmen,
der auf eigene Faust gegen die Interessen des palästinensischen Volkes
verstößt."(27)
Weniger bindende Erklärungen
wurden dagegen über die Beschlagnahmung von Waffen der islamischen
Fraktionen abgegeben. Dahlan, Sicherheitschef der PA, vermied es, die
Frage nach der Beschlagnahmung der Waffen von Hamas und Islamischem
Jihad präzise zu beantworten: "Ich möchte nichts vorhersagen. Die
Palästinenser werden sich korrekt verhalten und sich an ihre Abmachungen
halten." (28)
Dhiab Al-Lauh, Mitglied des
Fatah-Revolutionsrats, äußerte sich dazu in einem Interview mit der
Tageszeitung der Palästinensischen Autonomiebehörde Al-Hayat Al-Jadida:
"Die Roadmap spricht von der Notwendigkeit, die Infrastruktur der
militärischen Flügel zu zerstören und ihre Waffen zu beschlagnahmen.
Aber [Offizielle aus dem] Büro des [PA] Premierministers haben verlauten
lassen, dass sie Amerikanern und Israelis gesagt hätten, dass wir diese
Bedingung weder erfüllen können noch wollen. [Deswegen] wurde den
Amerikanern und Israelis ein anderer Plan vorgestellt, der die
Eindämmung militärischer Operationen und die Erklärung der Hudna
beinhaltete." (29) Und in einem anderen Interview der Al-Hayat Al-Jadida
dementierte Rashid Abu-Shabak, Leiter der präventiven Sicherheitskräfte
im Gazastreifen: "Nachrichten, dass der Sicherheitsapparat Waffen
beschlagnahme, sind falsch." (30)
PLC (Palestinian Legislativ
Council)-Mitglied und Fatah-Führer Hatem Abd Al-Qader ging sogar noch
weiter. Im Forum von Islamonline erklärte er: "Sinn [der Hudna] ist
nicht, die Waffen niederzulegen, sondern dass wir uns zusammenfinden und
unseren Kampf weiterführen. Das richtet keinen Schaden an, sondern ist
eine 'Pause für die Kämpfer'..."(31)
B. Hamas und islamische Führer
Die islamischen Fraktion
bemühten sich zu erläutern, wie es von der absoluten Ablehnung zur
Anerkennung der Hudna kam. Dazu erklärten ihre Führer, dass es sich nur
um ein Mittel zur Erhaltung der Einheit des palästinensischen Volkes und
ein rein taktisches Vorgehen handle.
In dem bereits erwähnten
Interview mit der libanesischen Tageszeitung Al-Safir erklärte der
Generalsekretär des Islamischen Jihad, Abdallah Shalah: "Abu Mazen und
seine Regierung versicherten, dass sie nicht so gegen die
Widerstandsfraktionen vorgehen würden, wie Sharon es gefordert hatte –
mit Entwaffnung, Festnahmen oder ähnlichem." (32) Shalah fügte hinzu:
"Strategie des Islamischen Jihad ist es, den Widerstand fortzusetzen.
Eine vorübergehende Einstellung ist lediglich ein taktischer Schritt ...
Wir verhandeln nicht mit dem Feind und wir erkennen ihn auch nicht an.
Aber unser nationales Interesse und die Notwendigkeit, die Einheit
unseres Volkes zu erhalten, verlangen es, dass wir uns aus der Falle
Scharons befreien, der unsere nationale Einheit durch [Provozierung]
eines Bürgerkriegs gefährden will..." (33)
Und Hamas-Führer Dr. Abd
Al-Aziz Al-Rantisi - der noch am Tage des fehlgeschlagenen Versuchs
Israels, ihn umzubringen erklärt hatte: "Unter der Besatzung lehnt Hamas
jede Forderung nach einem Waffenstillstand ab… das Wort
'Waffenstillstand' existiert nicht in unserem Vokabular" - schrieb nun
in seiner Kolumne für die Wochenzeitung der Hamas Al-Risala: "Der
Hauptgrund für unsere Entscheidung, den Widerstand unter bestimmten
Bedingungen einzustellen, war es, die verheerenden Folgen eines
palästinensischen Bürgerkrieges zu verhindern, dessen Konsequenzen nur
Allah kennt. Wir waren immer sehr darauf bedacht, die Einheit unseres
Volkes zu erhalten..." (35)
* B. Tchernitzky ist
wissenschaftliche Mitarbeiterin von MEMRI.
Anmerkungen: