hebraeisch.israel-life.de / israel-tourismus.de / nahost-politik.de / zionismus.info
Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
 
Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

Jüdische Weisheit
Hymne - Israel
Werben in haGalil?
Ihre Anzeige hier!
Advertize in haGalil?
Your Ad here!

Das doppelte Tabu

Wer schwul war und Palästinenser, den zog es nach Israel. Doch dort droht nun die Abschiebung, in der Heimat sogar der Tod

Von TSAFRIR COHEN

David* läuft im engen, voll gestopften Zimmer auf und ab. Schließlich hält er es nicht mehr aus und lehnt sich aus dem Fenster. Vom vierten Stock der heruntergekommenen Mietskaserne schaut er ungeduldig in alle Richtungen. David hatte für mich, den Gast, Zigaretten holen wollen, doch in einem Anflug von Unabhängigkeit ist ihm Mohammed* zuvorgekommen. Das war vor fünf Minuten, und ich spüre immer dringender den unausgesprochenen Vorwurf, ich hätte es auf die unbekümmerte Art eines Westlers versäumt, mitzudenken und genug Zigaretten mitzubringen. Und jetzt, draußen, schwebt sein Liebhaber in Lebensgefahr.

Als Mohammed zurückkommt, mischt sich der Stolz, der Gastfreundschaft Genüge getan zu haben, mit sichtbarer Erleichterung: Keiner der Polizisten oder der sonstigen Sicherheitskräfte, die überall in den Stadtzentren postiert sind, hat ihn aufgehalten, und der Kioskbesitzer hat keinen verdächtigen Akzent wahrgenommen. Sonst wäre er geliefert: Seit dem Ausbruch der zweiten Intifada darf sich kein Palästinenser in Israel aufhalten. Diejenigen, die man ertappt, werden in der Regel an die Grenze transportiert, und für Mohammed könnte das Betreten der besetzten Gebiete den Tod bedeuten.

Um seine sechs kleinen Geschwister und seinen krebskranken Vater zu ernähren, hat der heute dreiundzwanzigjährige Mohammed mit zwölf Jahren die Dorfschule und das aus zwei Zimmern bestehende Elternhaus verlassen und zog, wie tausende andere, dahin, wo es Arbeit gab: nach Israel. Der Gastarbeiterlohn als Gärtner war bei einer Wochenarbeitszeit von sechzig bis siebzig Stunden weit unter dem Mindestlohn. Doch hier musste eine dringende Operation bezahlt werden, dort die Elektrifizierung des Elternhauses - und so ist er bis heute geblieben. Auch wegen David, den er vor drei Jahren in einem Schwulenlokal in Tel Aviv kennen gelernt hat. Ein unverzeihlicher doppelter Grenzübertritt: Während sein Volk belagert wird, lebt er - als Schwuler - im Feindesland: Damit gehört er zu der am stärksten gefährdeten Minderheit im Nahen Osten.

Mitte der Neunzigerjahre gab es zarte Anzeichen einer ganz anderen Entwicklung im künftigen Palästina, hin zu einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft mit ziviler Gerichtsbarkeit und urbanen Zentren. Doch dies alles ist im Zuge der Machtübernahme durch die Autonomiebehörde und stärker noch durch die fortwährende Besatzung und das Erstarken der radikalen islamischen Kräfte zunichte gemacht worden. Die palästinensische Gesellschaft, durch jahrelange Besatzung auch nach innen gewalttätig, hat in der kurzen Aufbauzeit keine zivilen Mechanismen entwickelt. Auf der Straße herrschen heute Sittenpolizisten verschiedener Organisationen, die sich unter Berufung auf "das Gesetz" in jede - nach westlichem Maßstab - private Angelegenheit einmischen.

Für Schwule ist diese verschärfte Situation unerträglich. Seit je gingen sie sehr diskret vor, waren häufig verheiratet und bezeichneten sich selbst vor Gleichgesinnten oft als Bisexuelle oder ihre Handlungen als einmalige Ausrutscher. Im liberalen Israel konnten sie sich anonym ausleben. In Zeiten nationaler Not sind Außenseiter noch unbeliebter als sonst; durch ihre geheimnisvollen Kontakte nach Israel geraten palästinensische Homosexuelle jedoch zusätzlich unter Generalverdacht, ihr Volk zu verraten. Dies gleicht einem Todesurteil, wie die Erfahrung gezeigt hat. Bei der Vollstreckung agieren islamische Würdenträger, die Sicherheitskräfte und die um ihre - in der arabischen Gesellschaft häufig über dem Leben stehende - Ehre fürchtenden Familien und Dorfgemeinschaften häufig gemeinsam. Einmal geoutet, können Homosexuelle in ihrer Heimat kaum überleben. Israel indes gewährt seit dem Ausbruch der zweiten Intifada vor anderthalb Jahren keinem Palästinenser mehr Aufenthalt.

Das Glück, seine Familie hinter sich zu wissen, bleibt nur wenigen schwulen Palästinensern vorbehalten. Der amerikanische Manager Steve* hat den Palästinenser Magdi* bei einem Israelaufenthalt am Strand kennen gelernt. Zwei Jahre lebten sie in Israel, doch als die Polizei Magdi immerfort schikanierte, zogen sie in Magdis Dorf, wo Steve von Magdis Familie königlich empfangen wurde. Sie verbrachten jede Minute gemeinsam, doch keiner schöpfte Verdacht, wie ihre Beziehung geartet war.

Der Erste, der es mitbekommen hat, war Magdis drogenabhängiger Bruder. Er warf ihm unter vier Augen vor, ein "Luti" (Schwuler) zu sein. In der arabischen Gesellschaft ein Schimpfwort, das nicht ungesühnt bleiben darf. Magdi dementierte, doch eine Woche später wurde ein Brief unter die Tür geschoben. Magdi wusste sofort: Es war einer der Briefe vom lokalen islamischen Rat, mit dem die Angeschriebenen zum Freiwild erklärt werden. Das kann einer untreuen Ehefrau, einem Kollaborateur oder eben einem Homosexuellen gelten. Der Rat sorgt dafür, dass die Zustellung des Briefes in der ganzen Umgebung bekannt wird. Ist solch ein Brief zugestellt, besteht für den Adressaten Lebensgefahr, denn seine Liquidierung gilt als Gebot, nicht als Straftat.

Einige Tage später wurden Magdi und Steve vom Bruder und einem Nachbarn mit einem Messer attackiert, Magdis Mutter feuerte die Angreifer an. Magdi und Steve gelang zwar die Flucht nach Israel, doch dort leben sie im Untergrund, wo sie häufig ihren Aufenthaltsort wechseln und immer auf der Flucht sind vor der israelischen Polizei und vor Magdis Familie, die auch hier nach ihnen gesucht hat.

Als Steves Ersparnisse verbraucht waren, wandte er sich an die US-Botschaft mit der Bitte, Magdi die Einreise zu erlauben. Nach mehreren Anläufen weiß er nun, dass weder die USA noch irgendein anderes westliches Land seinem Geliebten ein Visum gewähren werden. Asyl kann nur vor Ort beantragt werden - und dafür müsste Magdi das Land verlassen. Israel ist aber ringsum von arabischen Staaten umgeben, und ein Flug ohne Visum ist unmöglich. Das Land ist für viele Palästinenser, die sich illegal in Israel aufhalten, zu einem Gefängnis geworden.

David hat für Mohammed ein rührendes Mäppchen zusammengestellt mit Empfehlungsbriefen und einer Heiratsurkunde - die allerdings formell vollkommen nutzlos ist, da Schwule in Israel nicht heiraten dürfen. Mithilfe dieser Dokumente ist er bei seiner letzten Begegnung mit Ordnungshütern noch glimpflich davongekommen. Sie haben ihn in einen Grenzpolizeiwagen gezerrt, und ein Grenzpolizist, angefeuert von seinen Kollegen durch Rufe wie "Scheiß Araber!" und "Stinkender Schwuler!", riss ihm die Hose herunter und bohrte ihm eine Cola-Flasche in den Hintern. Wäre er, wie es Vorschrift ist, in die besetzten Gebiete abgeschoben worden, hätten die palästinensischen Behörden ihn umgebracht, da ist er sich sicher.

In dieser Zwickmühle gewährt allein die kleine Wohnung Mohammed Schutz. Auch diese zwanzig Quadratmeter mussten schwer erarbeitet werden: Als sie sich kennen lernten, sagt David, habe er "nachts mit einem offenen und einem geschlossenen Auge geschlafen". Später hat er sogar Mohammeds Socken nach Zeichen einer feindlichen Absicht durchsucht, denn Mohammed hat auch nicht alles erzählt, aus Angst vor Ablehnung. "Jetzt, auch durch die gemeinsam erlittenen Traumata", sagt David, der Hairstylist, "sind wir unzertrennlich."

Ihre Wohnung ist ein regelrechtes Nest symbiotischer Kreativität. Die eine Hälfte des Zimmers ist einem enormen Bett, Biedermeier-Imitat, vorbehalten. Die Wände sind voll gestopft mit Postern von engelsgleichen Frauen, Cherubim und Rosen, in Kleinstarbeit mit aufgeklebten Kunstperlen, Glitzerzeug und Edelsteinen aus Plastik zu einer himmlischen Landschaft veredelt. Eine kitschig-naive Fantasiewelt, die Mohammed kaum verlässt.

Während der schmächtige Mohammed gern fabuliert, wappnet sich David mit einem scheinbar unerschütterlichen Stolz und einem nach außen getragenen Selbstbewusstsein, wie es nur das Tuntenleben in der israelischen Provinz und die täglich von allen Seiten erlebte Verachtung erzeugen kann. Aus ärmlichen kinderreichen Verhältnissen stammt er und ist mit vierzehn von der Schule gegangen. Um auf seine Rechte "als israelischer Staatsbürger" zu pochen, benutzt er sein bestes Hochhebräisch. Mit seinem fast hüftlangen gefärbten Haar stand er einen halben Tag unter dem Hohngelächter der Soldaten vor einem Militärlager in der Pampa, in dem angeblich die sicherheitsrelevanten Papiere zu holen gewesen wären, die Voraussetzung für Mohammeds Aufenthaltserlaubnis. Vergebens.

Im nächsten Monat soll David, der einen regulären dreijährigen Militärdienst hinter sich hat, als Reservist eingezogen werden. "Was soll ich tun, wenn ich das Dorf meiner Schwiegerfamilie schikanieren muss, die uns doch ins Herz geschlossen hatte? Und was bekomme ich dafür, dass ich meinem Land diene?"

* Alle Namen wurden aus Sicherheitsgründen geändert

Illegal in Israel

Schaul Gannon, Palästinenserbeauftragter im israelischen Verein für den Schutz der Rechte von Lesben, Schwulen und Transsexuellen, spricht von mindestens fünfhundert schwulen Palästinensern, die sich illegal in Israel aufhalten.

Die Situation in den besetzten Gebieten hat sich für Schwule in den letzten Jahren extrem verschlechtert, sagt Gannon, der Berichte von Betroffenen sammelt. Bisher sind es über dreißig - eine hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass sie nicht anonym verfasst werden dürfen. In ihnen werden Misshandlungen, Lynchjustiz und Folterungen in den Staatsgefängnissen festgehalten.

Insgesamt stellt Gannon eine uneinheitliche Haltung gegenüber Homosexualität fest. Ein Arzt hat bessere Chancen, unbehelligt leben zu können. Auch kommt es auf die lokalen Behörden an. Während im urbanen Ramallah das Phänomen eher übersehen wird, bestrafen die Behörden im Gazastreifen homosexuelle Handlungen mit Schlagstockhieben. Jungen unter achtzehn Jahren wird einmalig die Möglichkeit gewährt, sich in religiösen Schulen auf den rechten Weg bringen zu lassen. Die akuteste Gefahr: Wer unter dem doppelten Verdacht steht, homosexuell und Verräter zu sein, ist allgemeiner Willkür ausgesetzt und hat nur geringe Überlebenschancen.

Lesben werden "Mussachaki" (deutsch: Spielerei) genannt und werden, wie in der westlichen Welt, eher verschwiegen als verfolgt. Dass sie unterrepräsentiert sind, hängt auch mit dem patriarchalischen System zusammen: Gerade bei der Frauenehre kann sich eine entehrte Familie selbst nach fünfzig Jahren noch rächen. Da überlegen sich Frauen zweimal, ob sie sich als Lesben bekennen oder lieber weiter diskret "spielen" wollen.

Die internationale Gemeinschaft tut wenig für die Rechte Homosexueller. Gannon, der sich oft an verschiedene UN-Organisationen gewandt hat, berichtet, dass "man am anderen Ende der Leitung geradezu hört, wie Grimassen geschnitten werden", wenn er die Problematik schildert.

Der UN-Menschenrechtsausschuss hat zwar die UN-Mitgliedsstaaten aufgerufen, Gesetze abzuschaffen, die die Homosexualität diskriminieren. Die Chancen auf Asyl tendieren für Schwule jedoch gegen null, da die UN bislang keine Aufnahmebitte für verfolgte Homosexuelle ausgesprochen haben und kein Land der Welt außerhalb der jeweiligen Grenzen ohne eine solche UN-Bitte Asyl gewährt. Eine Ausreise ist für unverheiratete Palästinenser ausgeschlossen, da sie nie ein Visum bekämen. Auch das liberale Europa - Deutschland inklusive - hat sich bisher geweigert, Hilfe oder Asyl zu gewähren.

Israel duldet aus Sicherheitsgründen zurzeit keine Ausnahmen, was den Aufenthalt von Palästinensern angeht. Dauerhafte Lösungen, wie unbeschränkte Aufenthaltsgenehmigungen oder Einbürgerungen, sind sakrosankt, da dies rechtlich "Tür und Tor für ein allgemeines Rückkehrrecht von Palästinensern öffnen würde". Es gibt allerdings, so Gannon, einzelne Politiker und hohe Beamte, die sich bei einer Beruhigung der Lage für Einzellösungen einsetzen würden.

Doch mit der rapide zunehmenden Gewaltbereitschaft in beiden Lagern wächst auch der Druck auf die israelischen Sicherheitsbehörden vor Ort, härter gegen die ihnen bekannten Fälle vorzugehen und alle Illegalen abzuschieben.

TSAFRIR COHEN, 35, wuchs in Israel auf und lebt als freier Autor in Berlin

taz muss sein: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert? Sie helfen uns, wenn Sie diesen Betrag überweisen auf: taz-Verlag Berlin, Postbank Berlin (BLZ 100 100 10), Konto-Nr. 39316-106
Für Österreich: TAZ Verlags- und Vertriebs GmbH, Konto-Nr.: 92.134.506, Österr. Postsparkasse (P.S.K.)

© Contrapress media GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags

weitere Artikel zum Thema unter http://glbt-news.israel-live.de

haGalil onLine 19-05-2002

 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved