Der Traum einer nationalen Heimat:
Wenn sie wollen, ist es kein Märchen
Kommentar von Yoel Marcus, Ha'aretz, 01.07.2003
Übersetzung Daniela Marcus
Ich hoffe, die Palästinenser fühlen sich nicht
verletzt, wenn ich die Umschreibung von Herzls berühmter Maxime auf
sie anwende: Wenn sie wollen, ist es kein Märchen. Nach 55 Jahren
des Durcheinanders, in denen sie getötet haben und selbst getötet
wurden, in denen sie litten und andere leiden ließen, gibt es nun
eine Möglichkeit, ihren Traum einer nationalen Heimat zu
verwirklichen. Wenn sie nur wollen. Wenn sie wenigstens einmal ihren
von Gott gegebenen Verstand benutzen anstatt ihr Gefühl.
Gefühlsmäßige Reaktionen haben nur Hass zwischen
unseren zwei Völkern gesät. Sie haben Märtyrer produziert, die
"heroische Tode" gestorben sind, wobei sie israelische Frauen und
Kinder mit in den Tod gerissen haben. Sie haben das israelische
Friedenslager zerstört, die Wirtschaft ruiniert und die
Palästinenser zu einem Leben in Armut und Elend verurteilt. Das
einzige, was diese gefühlsmäßigen Reaktionen nicht erreicht haben,
ist ein Staat für die Palästinenser. Sie haben sich in ihr eigenes
Fleisch geschnitten.
Nun, da die Phase Eins des Fahrplans begonnen hat
und die Parteien eine Feuerpause erklärt haben, ist es Zeit für sie,
ihren Verstand zu gebrauchen. Warum? Weil bestimmte Faktoren zum
ersten Mal in einer Art aufeinandertreffen, die man als
"Fortschritt" bezeichnen kann.
Erstens sind beide Völker müde, einen Krieg zu
führen, der nicht auf dem Schlachtfeld gewonnen werden kann.
Zweitens hat Amerika, das seit dem 11. September
seine Klauen ausgestreckt hält, damit begonnen, den Druck auf beide
Seiten zu erhöhen, um eine Vereinbarung auszuhandeln, die auf den
Grenzen von 1967 und einer neuen regionalen Ordnung basiert. Dies
beweist, dass amerikanische Pläne, angefangen bei denen von Rogers
und Mitchell bis hin zu den Vorschlägen von Tenet und Zinni, niemals
sterben. Sie werden in einer großen Schublade in Washington
aufgehoben und warten dort, bis der richtige Zeitpunkt kommt, sie
–mit ein paar kosmetischen Änderungen- herauszuholen.
Drittens hat sich beim älter werdenden
Premierminister Scharon ein Reifungsprozess vollzogen –die
Mitglieder der Siedlerbewegung Yesha würden es wohl eher
"Weichwerden" nennen- und er möchte seine Amtszeit mit einem
Abkommen beenden.
Viertens ist die Welt inzwischen so weit, die
Irrelevanz von Yassir Arafat anzuerkennen. Und es sind Reformen in
Gang, die äußerst wichtig sind, um eine terroristische
Palästinensische Autonomiebehörde in einen richtigen Staat mit einer
Regierung und einer Armee zu verwandeln.
Am wichtigsten ist, dass Bush entschieden hat, die
verhandelnden, kontrollierenden, gesetzmäßigen und bestrafenden
Aktionen, die seine Vision in die Praxis umsetzen sollen, selbst zu
überwachen. All diese Aktionen sind Teil seiner allgemeinen
Kampagne, den Terror und terroristische Organisationen zu besiegen.
In diesem Bereich sprechen wir über einen Präsidenten, der
buchstäblich in der Erde wühlt. Jeder, der sich mit ihm anlegen
möchte, sollte Acht geben.
Wenn Scharon darauf besteht, dass der Terror
gestoppt werden muss und die Terrororganisationen als Vorbedingung
für jeden Friedensprozess entwaffnet werden müssen, so hat er Recht.
Es war nicht nur der Druck von Ägypten und Saudi-Arabien, der die
Hamas und den Rest dazu gebracht hat, ein Abkommen mit der
Palästinensischen Autonomiebehörde zu unterzeichnen. Es war die
Angst vor Bush. Hamas ist einer der fünfzig Namen auf Bushs
Hitliste.
Die Frage ist, wohin die Feuerpause führt. Ihr
hauptsächliches Ziel ist, die Hamas zu entwaffnen und diese
Organisation politisch zu erledigen. Das israelische
Verteidigungsministerium unter Shaul Mofas ist diesbezüglich
skeptisch. Die Schlüsselfigur ist Mohammad Dahlan und er hat den
Israelis gesagt, er wird es nicht tun. Nicht, weil er nicht kann,
sondern weil er bisher keine strategische Entscheidung getroffen
hat. Er möchte sicher sein, dass Arafat neutralisiert ist und dass
er selbst die Nummer Eins gleich nach Abu Mazen ist. Und er möchte
sicher sein, dass Amerika ihn politisch und finanziell unterstützt
und dass Scharon mit vertrauensbildenden Maßnahmen beginnt wie z. B.
der Beseitigung der Vorposten, der Freilassung von Gefangenen und
der Aufhebung von Schließungen.
Wenn die Feuerpause drei Monate anhält, kann sie
immer wieder verlängert werden. Dies kann eine Periode der Ruhe und
der politischen Visionen werden, und das haben wir alle nach 33
Monaten Krieg verdient. Falls es jemand vergessen haben sollte: der
Fahrplan ruft zur Gründung eines palästinensischen Staates mit
temporären Grenzen innerhalb eines Jahres auf, und zu einer
dauerhaften Vereinbarung innerhalb von zwei Jahren – und der ganze
Krempel soll während Scharons Amtszeit erledigt werden.
Amerika ist nicht nur der Visionär und Designer
des Fahrplans, sondern auch ein aktiver Partner in der Durchführung.
Bush ist derjenige, der entscheiden wird, wer nicht tut, was er tun
sollte, oder wer welche Regeln verletzt. Wenn Scharon die Siedlungen
nicht evakuiert oder die Truppen nicht zurückzieht, wird Bush
kommen, um ihm den Arm zu verdrehen.
Ich weiß nicht, was Scharon in die Ohren all der
Liebermans flüstert, doch die Tatsache, dass diese immer noch in der
Regierung sind, deutet auf eins hin: sie wetten, dass die
Palästinenser bald zum Terror zurückkehren, wie üblich. Wenn Scharon
blufft, haben die Palästinenser nun eine Gelegenheit, seine wahren
Absichten zu prüfen. Gestern begann die Armee mit ihrem Rückzug aus
Gaza. Heute tritt die Feuerpause in Kraft. Von morgen an hängt alles
von den Palästinensern ab.
hagalil.com
01-07-2003 |