MEMRI Special Dispatch – 11. Januar
2005
Wahl als Beweis für demokratische Kultur:
"Die Araber beneiden die Palästinenser"
In den vergangenen Wochen beherrschten
die Präsidentschaftswahlen die politische Berichterstattung in den
palästinensischen Medien. Neben den Programmen der Kandidaten
hinsichtlich des Nahostkonfliktes oder der Korruption innerhalb der PA
stand dabei auch die Bedeutung der Wahl als Gradmesser für einen
demokratischen Wandel der palästinensischen Gesellschaft im Mittelpunkt
der Diskussionen.
Am Tag nach der Wahl veröffentlichte dazu
die PA-nahe palästinensische Tageszeitung Al-Ayyam einen Kommentar, in
dem der demokratische Charakter der Wahl selbst, insbesondere aber auch
der Debatten und Auseinandersetzungen in deren Vorfeld, hervorgehoben
wird. Nicht der Sieg von Mahmud Abbas steht hier im Vordergrund der
Analyse, sondern der Ablauf des politischen Ordnungsprozesses und der
damit nach Ansicht des Autoren verbundene Nachweis einer demokratischen
politischen Kultur. Der im Folgenden dokumentierte Kommentar von Hassan
al-Batal erschien am 10. Januar 2005 unter dem Titel:
"Die Araber beneiden die Palästinenser"
"Die Palästinenser haben gestern bewiesen,
dass die 'Kultur des Todes' nicht mehr als ein Anfall war, wie ein
vorübergehender Schupfen. Sie haben bewiesen, dass die Kultur des Lebens
und der Freiheit der gesunde Normalzustand ist. […]Wahlen sind eine
demokratische Art der Völker (der Ethnien und Bevölkerungsgruppen) ihr
Recht auf Selbstbestimmung zu praktizieren - die Herrschaft des Volkes
über sich selbst. Wodurch aber zeichnet sich die palästinensische
Demokratie ganz besonders aus? […]
Ganz klar hatte der gewöhnliche
Palästinenser zunächst noch seine Skepsis zum Ausdruck gebracht, als die
Kampagne zur Registrierung der Wähler begann. Ganz klar war ihm
schließlich aber auch, warum er an die Wahlurnen getreten ist. Hin und
her gerissen zwischen Zweifel und Akzeptanz, erkannte der Bürger und
Wähler, dass diese Wahlen ernst zu nehmen waren und dass er mit seiner
Stimme die zukünftige Politik der Regierung, des [politischen] Systems
und die Position in den zukünftigen Verhandlungen [mit Israel] bestimmen
sowie seine Eignung zur politischen Selbstbestimmung dokumentieren
würde.
Es sieht so aus, als sei die Überzeugung
von der Bedeutung der Wahlen unter den Wahlbürgern gewachsen, als der
Übergangspräsident der palästinensischen Regierung am Vorabend der
Präsidentschaftswahlen den Termin für die [anstehenden] Parlamentswahlen
auf den 27. Juli [2005] festlegte. Der zweifelnde Bürger glaubte zu
Beginn der Kampagne zur Wählerregistrierung nicht daran, dass die erste
Etappe der Kommunalwahlen tatsächlich zum festgelegten Termin
stattfinden würde. Die Wahlen aber fanden statt und so vertrauten die
Bürger auch darauf, dass die Präsidentschaftswahlen zum festgelegten
Termin stattfinden würden. Und sie glauben jetzt auch, dass die
Parlamentswahlen an dem Termin stattfinden werden, den der Präsident der
nationalen Übergangsregierung per Dekret festgelegt hat.
So gewann die Staatsgewalt an
Glaubwürdigkeit und das wählende Volk belohnte sie mit einem breiten
Zuspruch zu den Präsidentschaftswahlen. Mit einem noch größeren Zuspruch
wird das Volk sie vielleicht bei den Parlamentswahlen belohnen – zumal
sich Hamas und der [Islamische] Djihad an der Wahl beteiligen werden!
Es hat Idealisten gegeben, die allgemeine
Wahlen des Präsidenten, des Parlaments und Kommunalwahlen in einem
Schritt abhalten wollten. Es gab Demokraten, die ein Wahlrecht
anstrebten, das eine Balance zwischen Listenwahl und Direktmandaten
geschaffen hätte. Außerdem gab es in der Bevölkerung und im Parlament
Auseinandersetzungen über eine 'Frauenquote'…. Und alle diese
Forderungen sind prinzipiell völlig legitim.
Am gestrigen Wahltag habe ich mich über
den Enthusiasmus der Fatah-Jugend und der Jugend der anderen Parteien
und Kandidaten gefreut, denn dies ist die Generation der Intifada bzw.
der zwei Intifadas. Mit ihrem Enthusiasmus, so könnte man sagen, haben
sie nun eine dritte Intifada zum demokratischen Wohle Palästinas
gestartet.
Angesichts dessen wird sich das im Juli zu
wählende Parlament grundlegend vom ersten Parlament unterscheiden – das
gilt für seine Glaubwürdigkeit als Repräsentanz des Volkes und der
Wähler ebenso wie für die Stärkung der gesetzgebenden Gewalt als
Kontrolle der Exekutive und ihrer Politik. Auch die neuen Abgeordneten
werden wissen, dass das Wahlvolk sie bei der Ansetzung der – wie wir
hoffen - dritten Parlamentswahlen zur Rechenschaft ziehen wird.
In der Vergangenheit haben wir uns in der
Frage der Gewaltenteilung gemüht und gestritten, nun werden die
Wahlurnen in diesem demokratischen Ringen entscheiden – in dem Wissen,
dass es der aus den drei Säulen des PLO-Vorsitzenden, dem PA-Präsidenten
und dem Regierungschef bestehenden Exekutive [in der Vergangenheit]
gelungen ist, ihre Differenzen zu überbrücken und sie damit ein 'gutes
Beispiel' für die [Zusammenarbeit] zwischen der Fatah nahe stehenden
Kräften und anderen Kräften gegeben hat.
Erster Gewinner dieser Wahl ist in jedem
Fall das palästinensische Volk. Es steht heute an erster Stelle unter
den arabischen Demokratien und ist den Völkern ebenbürtig, die die
Demokratie schon lange praktizieren. Vielleicht mögen unsere Mittel im
bewaffneten und politischen Kampf diesem oder jenen nicht gefallen
haben, die palästinensische Demokratie aber gefällt allen - unseren
Gegnern noch mehr als unseren Freunden.
Die arabischen Völker beneiden heute das
palästinensische Volk."
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