Humanitäre Hilfe im Nahen Osten:
Israelische Ärzte helfen in den besetzten Gebieten
Am vergangenen Sonntag kam Rupert Neudeck aus Palästina zurück - mit
einem authentischen Bericht im Gepäck.
Cap Anamur
veröffentlichte seinen ungekürzten Bericht in einer gesonderten
Pressemitteilung.
"Rupert Neudeck - Köln am 5. August 2002
Das ist nicht Politik, das ist humanitäre Hilfe!
Ein Bericht über eine exemplarische Hilfe von israelischen Ärzten in Palästina
"Das war heute nicht Politik. Das war humanitäre Hilfe. Und die hat gezeigt, daß
wir alle nur Menschen sind". Der das sagt, ist der Bürgermeister der kleinen
palästinensischen Gemeinde Illar in Nordpalästina nahe Tulkarem. Der
Bürgermeister heißt Nasuh Shadeed und ist ein großer schlanker Mann mit
neugierig blitzenden freundlichen Augen. Es ist Samstag, der 3. August, 15 Uhr.
Er sagt das in der Primarschule von Illar. Und seine Zuhörer sind die sechs
israelischen Ärzte und drei Krankenschwestern, die hierhergekommen sind, wie sie
das jeden Samstag machen, immer an einen anderen Ort im nächsten Dorf. Sechs
Stunden haben die Ärzte aus verschiedenen Orten Israels hier ihre mobile
Ambulanz aufgebaut, sie haben an die 600 Patienten behandelt und durchgecheckt.
Und nach getaner Arbeit sitzen sie jetzt vor der Falafel, dem palästinensischen
Nationalgericht, mit Brot und Coca Cola, während der Bürgermeister sich mit
einer richtigen Rede bedankt. Die Ärzte sind alle Mitglieder einer kleinen
Gruppe von Ärzten, die sich unter dem Titel "Ärzte für die Menschenrechte"
zusammengeschlossen haben. Eigentlich machen sie schon zehn Jahre diese kurzen
improvisierten Engagements. Nur in diesen Tagen hat das Ganze eine dramatische
Form angenommen.
Haß und Rachegelüste haben beide Völker und ihre Gesellschaften so unerträglich
vergiftet, daß jeder Versuch eines Durchbruchs zu mehr Menschlichkeit geradezu
wie eine Herkulestat wirkt. Was dann sehr interessant war und regelrecht
auffiel, waren die zufriedenen Gesichter bei Müttern mit ihren Kindern, bei den
vielen Jungen und Mädchen, die offensichtlich froh waren, in ihrer totalen
Eingeschlossenheit auch mal wieder Menschen vom anderen Ufer zu erleben.
Drei der Ärzte sind arabisch-israelische Ärzte, die natürlich das Rückgrat der
Gruppe bilden. Sie können mit ihren Patienten unmittelbar kommunizieren. Die
anderen verstehen ein bißchen arabisch, können es aber nicht richtig sprechen.
Einige der Palästinenser wiederum verstehen und sprechen hebräisch.
Zurück an den Ort des Handelns. Die Ärzte verteilen sich je nach
Berufsausrichtung in die einzelnen Klassenräume. Ein separater Klassenraum wird
als provisorische Apotheke für die nächsten sechs Stunden hergerichtet. Hier
werden die Medikamente kurzfristig gelagert, die sie in Kisten in ihrem Auto
mitgebracht haben. Manche der Mütter bringen alle ihre Kinder in einen der
Behandlungsräume, weil sie die einzigartige und möglicherweise nie
wiederkehrende Chance ergreifen, jedes Kind einmal richtig untersuchen zu
lassen. Lunge abhören, Rachen, Augen und Ohren überprüfen, abtasten.
Andere, wie beispielsweise der Chirurg Prof. Raphael Walden, der am Sheba
Medical Center in Tel Hashomer die Chirurgie leitet, hat auch potentielle
chirurgische Fälle. Drei der Patienten müßten in seiner Klinik operiert werden.
Und das ist - wie er mir sagt - "nur" ein Geldproblem.
Der Leiter der Gruppe ist Salah Haj Yilie, der immer die Kontakte herstellt. Er
erklärt mir, daß die Palästinenser bestimmen, wo als nächstes ärztliche Hilfe
nötig ist. Ein Relief-Komitee in Ramallah sagt den Ärzten, welches Dorf diese
ambulante Hilfe am dringendsten braucht. Nur ist in diesen Kriegszeiten, die
einmal mehr durch Besatzung gekennzeichnet sind, nicht sicher, ob selbst
israelische Ärzte durch die Sperren und Blockaden der israelischen Armee
durchgelassen werden. Zweimal schon wurden die Ärzte abgewiesen und daran
gehindert, den Ort zu erreichen, an dem sie erwartet wurden. Sie waren genötigt,
eine vierstündige Fahrt auf sich zu nehmen, um auf Schleichwegen doch noch da
anzukommen, wo sie händeringend erwartet wurden.
Während der sechs Stunden haben die Leute aus der Munizipalität, also das, was
man bei uns Rathaus nennen würde, erfahren, daß auch ein Deutscher in der Gruppe
ist. Sie holten mich ab. In dem einzigen großen Raum berichten sie über die
Sorgen und Nöte der kleinen Dorfgemeinde. Und, wie viel besser es früher doch
war. Sie berichten über etwas, was wir in Deutschland nicht mitbekommen haben.
Unter der Besatzung sei es schlimm gewesen, aber es habe wenigstens mehr
Bewegungsmöglichkeiten gegeben. Nach Oslo 1993 habe sich so vieles verändert.
Das Gebiet Palästinas wurde in mehr oder weniger komplizierte Bantustans
eingeteilt. Es gab das Territorium A unter israelischer Kontrolle, das
Territorium B unter einer gemischten Kontrolle und das Territorium C, das allein
unter der Kontrolle der Palästinenser lag. Diese Aufteilung hat die Wirtschaft
ziemlich ruiniert und somit das Leben erheblich erschwert.
Die Gemeinde Iller hat darüber hinaus riesengroße Wasserprobleme. Es muß Wasser
mit Tankwagen in den Ort gebracht werden. Das kostet Geld, aber es ist noch
nicht einmal mehr Geld für Wasser vorhanden. Es gab eine Textilfabrik hier mit
60 Arbeitern - aber seit der Ausgangssperre geht nichts mehr. Der Ort braucht
unbedingt eine Ambulanz, denn die Menschen können sich nicht mehr darauf
verlassen, in Notfällen wie Schwangerschaften oder einer schweren Erkrankung, in
die größeren Städte zu kommen - hier sind Kalkilia, Tulkarem, aber auch Haifa
und Netanya zu nennen - um dort ein Krankenhaus aufzusuchen. Und sie erzählen
mir das, weil sie erhoffen, daß wir Deutsche hier etwas tun. Der Bauingenieur,
der in dem kleinen Verwaltungsgebäude mit mir fließend Englisch spricht, heißt
Mohammad Mahmoud Twarqa. Er ist Ingenieur und hat von 1981- 1985 in Manchester
studiert und sein Examen gemacht. Er spricht mit mir darüber, wie eng die Juden
Israels und die Palästinenser miteinander verwandt sind. Die Palästinenser, so
sagt er mir, gelten als "Arab Jews", weil sie so tüchtig, erfinderisch,
intelligent sind.
Der Bürgermeister kommt hinzu. Ich frage ihn nach seinem Beruf. "Dentist" sei
er. Als ich frage, wo er studiert habe, kam: Belgrad - 1981 habe er da sein
Examen gemacht. Und dann fangen wir an, serbokroatisch miteinander zu reden, in
einer Sprache, in der ich mich nach vielen Jahren auf dem Balkan zumindest
radebrechend bewegen kann.
Die Stimmung ist aufgeräumt, während wir von hier wegfahren. Keiner ahnt in
diesem Augenblick, daß es in dieser Gegend den Überfall auf eine jüdische
Siedlung geben wird, genau einen Tag später. Keiner ahnt, daß am frühen
Sonntagmorgen die Bombe eines Attentäters in dem Bus an der Meron Junction
explodieren wird.
Die alte Krankenschwester Pnina Feiler sitzt bei der Fahrt zurück zu ihrem
Kibbuz Yao Hanna neben mir. Sie spricht auf einmal deutsch mit mir. Auf der
Fahrt bis zum Kibbuz erzählt sie mir ihr ganzes Leben, das mit unserer deutschen
Geschichte viel zu tun hat. Sie habe einen Anruf bekommen, daß sie auf Bildern
in den deutschen illustrierten Magazinen zu sehen sei. Es gibt eine Aufnahme von
der großen Demonstration der Friedensbewegung drei Tage nach dem Bombenanschlag
der israelischen Armee auf Gaza Stadt - da sieht man Pnina Feiler mit einer
großen Fahne stehen. Sie wurde 1923 in Lodz geboren und konnte schon kurz vor
1939 aus Polen nach Palästina kommen. Wären die Israelis in ihrer Mehrheit so
freundlich und hilfsbereit und so neugierig wie Pnina Feiler, ihre
palästinensischen Nachbarn kennenzulernen, dann müßte man sich um die Zukunft
der Region keine Sorgen machen. Aber solche Menschen machen Mut."
KOMITEE CAP ANAMUR:
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30-07-02 |