Arbeitslosigkeit:
Ali Baba im Gaza-Streifen
Aus Gaza Susanne Knaul
Die palästinensischen
Arbeitslosen sehen bislang nichts von dem Geld, das ihnen
zusteht. Die Arbeitslosenrate liegt bei sechzig Prozent, seit
die Jobs in Israel den Menschen versperrt sind. Am Wochenende
findet die nächste Protestveranstaltung statt
"Ali Baba", meint Salah, "es ist
wie in der Geschichte von den Räubern." Die Beine im
Schneidersitz und eine Sportmütze mit hebräischen Buchstaben
zwischen den Fingern drehend, erzählt der jungenhafte 42-jährige
Palästinenser, wie ihn die eigenen Leute betrogen haben. Mehr
als 25 Jahre lang arbeitete Salah in israelischen Fabriken und
auf dem Bau. Von jedem Tageslohn ging ein Teil ab für die
Sozialversicherung. 70 Millionen Dollar hat Israel jüngst an die
palästinensische Führung überwiesen. Das Geld gehört den
ehemaligen Arbeitnehmern. Die aber haben noch nichts davon
gesehen.
Seit drei Monaten setzt sich
Salah jeden Morgen zu den anderen arbeitslosen Männern aus dem
Flüchtlingslager Dschabalia im Gazastreifen unter die schwarze
Plastikplane, die wenig Schutz gegen die pralle Sonne bietet.
"Wir warten auf Arbeitsangebote", meint Salah, wohl wissend,
dass er seine Zeit vergeudet, denn im Gaza-Streifen gibt es
keine Arbeit. Dennoch gibt es in fast allen Orten und an den
Stadteinfahrten provisorische Lagerstätten. Die Männer kommen
aus Protest gegen die führenden Politiker der
Autonomieverwaltung, die es sich gut gehen lassen, ohne von der
Not des Volkes berührt zu werden.
Zum ersten Mal in großem Rahmen
zogen die verbitterten Arbeitslosen Anfang Juli auf die Straße,
um mit einer "Hungerdemonstration" gegen die korrupte Führung zu
protestieren. Rund 15.000 Leute waren es, meinen die
Organisatoren. Dabei hätten es viel mehr sein können, wenn "die
Leute nur das Geld für den Transport nach Gaza-Stadt gehabt
hätten". Mohammad Dahman gehört zu den Organisatoren der
Veranstaltung. Er ist gleichzeitig Chef des "Demokratie und
Arbeiterrechtszentrums", einer NGO, die Arbeitern kostenfreie
legale Hilfe, Fortbildungen und Einzelfallhilfe gewährt, als
auch Vorsitzender der Gewerkschaft für öffentliche Dienste. "Die
Arbeiter sind vereint und deshalb stark", sagt er in der
Hoffnung, dass die Aktionen Einfluss haben werden. Warum es
nicht schon früher Proteste gab, liege daran, dass die Leute
bislang mehr oder weniger zurechtgekommen seien, inzwischen aber
ihre Ressourcen ausgeschöpft hätten. "Wir reden von einer
Arbeitslosenrate, die bei 60 Prozent liegt", sagt er. Das sei
eine Verfünffachung der Zahlen innerhalb von zwei Jahren.
In den ersten Monaten nach
Ausbruch der Intifada, die die Tore zu den Arbeitsplätzen in
Israel verschloss, verbrauchten die Familien ihr Erspartes.
Später nahmen sie Kredite auf, versetzten den Goldschmuck der
Frauen, verkauften ihre Satellitenschüsseln, Fernseher und
andere elektrische Geräte, um Geld für Nahrungsmittel zu haben.
"Es ist nichts mehr da, was wir verkaufen könnten", sagt Salah,
der eine neunköpfige Familie zu versorgen hat. Alle drei Monate
verteilten die Mitarbeiter der UNRWA je 60 Kilogramm Mehl,
Zucker, Reis, Öl und Tee an die Bedürftigen. Fleisch und Obst
stehen nicht mehr auf der Speisekarte.
Die nächste Protestveranstaltung
soll am kommenden Wochenende stattfinden. Im Büro Dahmans, das
hinter einem kleinen Palmengarten liegt, modern eingerichtet,
klimatisiert und trotz seit einigen Monaten ausbleibender
EU-Unterstützung unverändert im Betrieb ist, wird über die
Organisation nachgedacht. 4.000 Dollar wären nötig, um Busse für
die Arbeitslosen aus dem gesamten Gaza-Streifen zu bezahlen.
Dafür reichen die internationalen Spendengelder schließlich doch
nicht.
Bei Dahman sitzen Fayez al-Amari
und Abdel Quader Abu Mechadi. Beide haben selbst lange Jahre in
Israel gearbeitet und sind jetzt Mitglieder in dem eigens
gegründeten Arbeiterkomitee. Zentrale Forderungen der
bevorstehenden Kundgebung sind die Auszahlung der
Arbeitslosengelder, die Einrichtung transparenter Konten, damit,
so Abdel Quader, "Israel keine Ausreden für eine weitere
Verzögerung der Geldüberweisungen hat", sowie das Abhalten von
Wahlen einer neuen Gewerkschaftsführung.
Die letzten Gewerkschaftswahlen
liegen über acht Jahre zurück. Außer Dahman ist nur noch der
Vorsitzende der Baugewerkschaft parteiunabhängig. "Alle anderen
Gewerkschaftschefs gehören der Fatah an und sind eng mit der
Führung verflochten", sagt er. Der etwa 50-jährige Manager mit
grauen Schläfen und intelligenten, wenngleich müden Augen
berichtet von "unangenehmen Telefonaten", die ihn nach der
ersten großen Demonstration erreichten und in denen er als
CIA-Agent beschimpft wurde. Spätestens seit der Rede von
US-Präsident George W. Bush, der im Juni wiederholt zur Ablösung
von Palästinenserchef Jassir Arafat aufrief, bringt sich jeder,
der die palästinensische Führung kritisiert, in den Verdacht, im
Auftrag der USA zu agieren.
"Alle Palästinenser wollen
Reformen", meint Dahman, dennoch "soll uns niemand diktieren,
wen wir zu wählen haben". Für Januar sind Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen im Autonomiegebiet geplant. Noch sei
Arafat derjenige, der das Sagen hat und der "wie unser Vater
ist". Doch ein Vater, der seine Kinder vernachlässigt, dürfe
keinen Respekt erwarten. "Wenn er uns nicht hilft, werden wir
unsere Stimme einem anderen geben."
taz muss sein: Was ist Ihnen die
Internetausgabe der taz wert? Sie helfen uns, wenn Sie diesen
Betrag überweisen auf: taz-Verlag Berlin, Postbank Berlin (BLZ
100 100 10), Konto-Nr. 39316-106
Für Österreich: TAZ Verlags- und Vertriebs GmbH, Konto-Nr.:
92.134.506, Österr. Postsparkasse (P.S.K.)
© Contrapress media GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
hagalil.com
16-08-02 |