Jassir Arafat:
Dauer-Revolutionär im politischen Abseits
Von Thorsten Schmitz
Jassir Arafat betreibt Mystifikation als
Realpolitik. Der PLO-Chef und Vorsitzende der palästinensischen
Autonomiebehörde ist ein lebendes Rätsel, das seine Reputation auf
Undurchschaubarkeit gründet. Das beginnt schon bei Geburtsort und
-datum. Arafat behauptet, er habe in der Altstadt von Jerusalem das
Licht der Welt erblickt – was seinem Ruf als Vaterfigur der
palästinensischen Nationalbewegung zu Gute kommt, die für einen
eigenen Staat ficht und für eine Hauptstadt in Ost-Jerusalem.
Tatsächlich aber existiert eine Geburtsurkunde, die Arafat als Kind
Kairos ausweist. Sein voller Name lautet: Abdel Rahman Abdel Raouf
Arafat al-Qudwa al-Husseini. Ob er am 4. August oder am 24. August
1929 geboren wurde, ist bis heute unklar.
Arafat ist mehr daran interessiert, ein Held zu
sein als ein politischer Führer. Der frühere Terrorist, der selbst
mehrere Anschläge und einen Flugzeugabsturz überlebt hat, ist heute
alt, gebrechlich und hauptsächlich damit beschäftigt, wie sich die
Welt seiner einmal erinnern werde. Die Geschichte hat ihn gelehrt,
dass Gewalt sich letztlich auszahlen werde: Der ersten Intifada
zwischen 1987 und 1993 folgte der Friedensprozess von Oslo und die
Schaffung seiner Autonomiebehörde. Arafat wurde von der Welt als
Staatsmann behandelt, der zwar über keinen Staat, wohl aber über
Briefmarken und eine eigene Hymne verfügt.
Der Rückzug der israelischen Truppen aus der
Sicherheitszone in Süd- Libanon ist aus Sicht Arafats den Angriffen
der pro-iranischen Hisbollah-Miliz zu verdanken. Und weil Arafat als
Revolutionär gesehen werden möchte und nicht als Marionette Israels,
lehnte er im Sommer 2000 Ehud Baraks Offerten in Camp David ab.
Danach ließ er sich im Gaza-Streifen als unbestechlicher Held feiern
– und entfachte die zweite Intifada.
Arafat weiß, dass er der israelischen Armee
militärisch nichts entgegenzusetzen hat – die Selbstmordattentäter
sind seine Armee, unliebsame Kritiker steckt er ins Gefängnis. Doch
der Versuch, Israel in die Knie zu zwingen, schlug fehl. Arafat
sitzt in Ramallah in Isolationshaft, gemieden von der Welt, die ihm
eben noch den roten Teppich ausgerollt hat. Auf diesem will der
einstige Vielflieger wieder laufen, weshalb er der Bildung eines
Ministerpräsidentenamtes zugestimmt hat.
Zeit seines politischen Lebens hat es Arafat
verstanden, als unumschränkte Autorität zu herrschen. Innerhalb der
Autonomiebehörde installierte er zwölf konkurrierende
Sicherheitsdienste, deren Kompetenzen unübersichtlich sind. Indem
Arafats Untergebene stets damit beschäftigt sind, sich gegenseitig
zu beargwöhnen, hält er sich Feinde vom Hals. So stimmte er zwar
einem Premier Machmud Abbas zu, wollte aber über dessen
Kabinettsliste verfügen. Abbas’ Versuch, von Korruption unbelastete
Minister in die Regierung aufzunehmen, empfand Arafat als Angriff
auf die eigene Existenz. Er fürchtete einen Machtverlust. Arafat
wollte nur einen Ministerpräsidenten an seiner Seite, der ihm
gehorcht. Dazu aber ist Abbas nicht bereit, und Arafat musste
schließlich einlenken. Der alte Taktiker hat sich, wie so oft,
verrechnet.
hagalil.com
24-04-03 |