Palästinensische Abwasserbecken:
Mit Kloake den Frieden festigen
Von Ulrich W. Sahm
Deutschland finanzierte das Projekt mit 1,5
Millionen Euro. In einer militärischen Sperrzone errichteten
Palästinenser trotz der Intifada zwei Abwasserbecken. Die Israelis
werden nicht mehr mit palästinensischer Kloake belastet. Dieses
Friedensprojekt wurde rechtzeitig von dem Gipfel in Scharm-A-Scheich
eingeweiht.
Das blaue Festzelt am Rand von zwei unschönen mit schwarzen
Gummiplanen ausgelegten Erdbecken hielt dem stürmischen Wetter noch
gerade stand. Wochenlang war verhandelt worden, wie groß die
israelische Flagge sein durfte. Die Palästinenser wollten sie gar
nicht haben. Am Ende steckte sie gleichgroß und gleichberechtigt
neben der palästinensischen und der deutschen in einem Ständer.
Die deutsche Repräsentanz in Ramallah, die diplomatische Vertretung
bei den Palästinensern, hatte zu dem Ereignis geladen. Drei Busse
karrten die Gäste zweihundert Meter weit vom DCO, dem
israelisch-palästinensischen Verbindungsbüro, zu dem Festzelt bei
den Teichen. Palästinensische Polizisten in tiefblauer Uniform und
israelische Offiziere in Tarnfarben bewachten einträchtig die
Zeremonie.
"Es gab kein einziges anderes Entwicklungsprojekt, das während der
Intifada fortgeführt worden ist", sagt ein Mitarbeiter der deutschen
Repräsentanz. Jürgen Welchof, Wasserexperte von der Frankfurter
Bankgruppe kfw, wurde 1996 "dringend" zur palästinensischen Stadt
Tulkarm gerufen, sich dort die Abwasseranlagen anzuschauen. Er fand
einen Klärteich vor, bis an den Rand gefüllt mit Schilf und
stinkender Kloake. Die Israelis hatten den Teich 1970 gebaut und
sich dann nicht weiter gekümmert. Seitdem ist das Umweltbewusstsein
in der Welt gestiegen. Die israelische Regionalbehörde Emek Hefer
beschwerte sich bei Freunden der Städtepartnerschaft Siegen. Der
damalige schwerhörige Bürgermeister von Tulkarm war 90 Jahre alt
"und verstand nichts". Aber der Gouverneur von Tulkarm wollte den
Zustand auch nicht mehr akzeptieren. In der stinkenden Kloake
brüteten Moskitos und verbreiteten die Nilseuche in der Bevölkerung.
Ein Bundestagsabgeordneter wurde alarmiert, bis schließlich der
Notruf bei Wilschof ankam. "Ich prüfte die Lage, berechnete Kosten
und entwickelte Lösungsvorschläge."
Das Projekt wurde in Angriff genommen, aber die Lage vor Ort änderte
sich schlagartig mit Ausbruch der Intifada. Das grenznahe Tulkarm
wurde eine Brutstätte palästinensischen Terrors, während ungeklärte
Abwässer von Tulkarm im Alexanderfluss in Richtung Israel und dem
Mittelmeer flossen. Sie verseuchten das Grundwasser und gefährdeten
die größte Kolonie Riesenwasserschildkröten im östlichen Mittelmeer.
Die Israelis setzten den Palästinensern eine riesige Mauer exakt auf
der grünen Linie vor die Nase mitsamt elektronischem Zaun,
Sperrzonen, Stacheldraht und hermetischer Absperrung. Wilschof
berichtet: "Wegen der Intifada wurde es zunehmend schwieriger,
Rohre, Pumpen und Gummiplanen ins Land zu bringen. Die Israelis
stellten sich quer." Gleichwohl gelang es, von misstrauischen
Militärs die Genehmigung für einen Unternehmer aus Gaza zu erhalten,
mit Lastwagen und einem Dutzend Arbeitern, die Klärteiche zu bauen.
Mit finanziellem Druck forcierten die Israelis das "Interesse" der
Palästinenser. Als "Strafe" für das Dreckwasser behielt Israel 7
Millionen Euro aus Steuergeldern der Autonomiebehörde ein.
Nachum Itzkovitz, Bürgermeister der Region Emek Hefer, ist die
treibende Kraft hinter dem Projekt, die Kloake von Tulkarm um des
Friedens willen in sauberes Wasser zu verwandeln. "Alexander ist
schuld", lacht Itzkowitch und meint den gleichnamigen Fluss.
Vielleicht ist er nach Alexander dem Großen genannt oder nach dem
Makkabäerkönig Alexander Jannai. Doch der Wasserexperte Amos sagt:
"Im neunzehnten Jahrhundert gab es hier den Mafiaboss Iskander. Das
ist Alexander auf Arabisch. Der knüpfte Bauern Zoll ab, die ihre
Wassermelonen zum Strand brachten." Seit biblischen Zeiten und
früher schon fließen alle Gewässer, sauber oder verschmutzt, von
Nablus und Tulkarm hinunter zum Mittelmeer und speisen den
Alexanderfluss. "Politische Grenzen kümmerten die Natur noch nie",
meinte Wilschof. Der ungeklärt Zustand war nicht mehr haltbar.
"Umweltbewusstsein ist erst seit 15 Jahren in der Welt bekannt. Als
wir Tulkarm besetzten, merkten wir gar nicht, dass da die Kloake in
unser Grundwasser sickert. Der Schaden multipliziert sich mit den
Jahren", sagt der Bürgermeister. "Der Dreck ist ein gemeinsames
Interesse geworden. Wir bewältigen ihn jetzt, ungeachtet politischer
Differenzen", sagt Itzkowitch. Am Morgen hatte er, wie alle
Ehrengäste, von den Palästinensern einen Schal überreicht bekommen,
ein gechecktes Tuch, wie Arafat es auf dem Kopf trug, mit einer
Abbildung des Felsendoms und der Aufschrift: "Jerusalem gehört uns".
Der rechtsnationale Bürgermeister: "Erst zögerte ich. Dann band ich
den Schal doch um. Sowie ich ihn trug, galt der Spruch doch auch für
mich..."
Itzkovitch schildert, wie er erstmals die Palästinenser im deutschen
Auguste-Victoria-Hospitz auf dem Ölberg in Jerusalem traf, obwohl
sie nur wenige hundert Meter entfernt wohnen. "Danach gab es
Telefone und Faxe. Und dann bekamen sie Passierscheine." Die
Beseitigung der Abwässer diente auch zur Vertrauensbildung, jenseits
der hohen Politik in Ramallah oder Jerusalem. Vergleichbare
grenzüberschreitende Vorhaben kann Itzkowitch nicht nennen: "Alle
sind gescheitert."
Im Sitzungssaal von Emek Hefer trafen sich nach der Zeremonie die
Experten: Israelis, Palästinenser und Deutsche. Sie redeten nüchtern
und sachlich miteinander. "Bei den kleinen täglichen Problemen
können Israelis und Palästinenser ein völlig normalen Umgang
miteinander pflegen", beobachtete eine deutsche Diplomatin. Das
nächste Problem wird avisiert: der Dreck der 30 Olivenpressen im 20
Kilometer langen Tal zwischen Nablus und Tulkarm verseucht die
verbliebenen 15 Kilometer zwischen Grenze und Mittelmeer auf
israelischem Gebiet. "Die erzeugen biologisch hochgiftige Abfälle
wie eine Stadt von 300.000 Einwohnern." Godel Rosenzweig, Vertreter
von Daimler-Chrysler in Israel, Palästina und Jordanien, empfahl
"technisches know-how" der Dresdner Firma Aquatec. Mit primitiven
Filtern und Zentrifugen würden Olivenabfälle in landwirtschaftlichen
Dünger verwandeln, ohne die Umwelt zu belasten. "Jemand muss das
finanzieren und den Olivenbauern einen Anreiz bieten, die Anlagen zu
bedienen, anstatt die Abfälle in den Fluss abzuleiten und es den
Israelis überlassen, damit zurecht zu kommen." Die Palästinenser
bestätigten, dass in ihren Gebieten Gesetze nicht durchgesetzt
würden.
Ein deutscher Experte sagte, dass in der
Privatwirtschaft solche Initiativen nur funktionieren, wenn die
Bauern entweder Geld sparen oder daran verdienen. Rosenzweig
glaubte, dass auch Aufklärung helfen könne, wie beim Projekt "Das
Herz eines Kindes retten". Ein amerikanischer Jude habe es
finanziert. Inzwischen seien über tausend palästinensische Kinder
mit angeborenem Herzfehler in israelischen Krankenhäusern operiert
worden. Die deutsche Filiale des Projekts habe schon Spenden
gesammelt, um weitere 29 palästinensische Kinder und ein irakisches
Kind zu operieren, das über Jordanien und Tel Aviv nach Deutschland
gebracht worden sei.
hagalil.com
07-02-2005 |