Verbalattacke gegen Arafat:
Mahmoud Abbas' "Ich klage an!"
Von Arnon Regular, Ha'aretz, 14.09.2003
Übersetzung Daniela Marcus
Etwa eine halbe Stunde nach seinem Rücktritt
startete der frühere palästinensische Ministerpräsident Mahmoud
Abbas (Abu Mazen) eine heftige Verbalattacke gegen den Vorsitzenden
der palästinensischen Autonomiebehörde, Yassir Arafat. Abbas
beschuldigte Arafat, ihn gedemütigt, sein Kabinett sabotiert und
seine Reformen blockiert zu haben. Er warf ihm sogar Diebstahl vor.
Abu Mazen hielt während eines Treffens des palästinensischen
gesetzgebenden Rates (PLC) vor acht Tagen, das hinter verschlossenen
Türen stattfand, eine starke, resolute Rede. Teile davon werden an
dieser Stelle zum ersten Mal zur Veröffentlichung frei gegeben.
"Es scheint, dass meine Art und meine Pläne nicht
für jedermann akzeptabel sind. Und vielleicht ist auch meine Person
nicht für jedermann akzeptabel. Israel sagt "Er ist gut", bekämpft
uns jedoch. Die Hamas sagt "Er ist ein aufrichtiger Mann" und
bekämpft uns auch. Die palästinensische Führung (Arafat und seine
Leute) verpasst uns eine Tracht Prügel und beschuldigt uns dann, die
palästinensische Legitimität zu bedrohen. Ich fordere nichts und
frage nach nichts", sagte Abu Mazen.
Die Worte "Demütigung", "Verletzung" und "Angriff"
verwendete er mehrere Male, um seine Gefühle bezüglich Arafats
Schritten auszudrücken. Diese Schritte, so sagte Abbas, hätten nur
ein Ziel gehabt, nämlich die Arbeit seines Kabinetts zu sabotieren.
Er nannte sich selbst "einen Partner auf Arafats Weg über 40 Jahre
hinweg", kam dann jedoch in eine verrückte Situation, auf die er
keinen Einfluss gehabt hatte.
"Ich bat um ein Treffen hinter verschlossenen
Türen, um den PLC mit Angelegenheiten zu konfrontieren, von denen
ich nicht wollte, dass sie in die Medien kommen, obwohl ich sicher
bin, dass sie letzten Endes dort landen werden", sagte Abu Mazen in
seiner Eröffnungsrede. Dann entschuldigte er sich bei den
Mitgliedern des Rates für die Demütigungen, die sie zwei Tage zuvor
während Demonstrationen von Anhängern Arafats erleiden mussten. Die
Demonstranten hatten Abbas und Sicherheitsminister Mohammed Dahlan
angegriffen, als diese versucht hatten, das Gebäude zu betreten, um
den Rat über die Tätigkeiten des Kabinetts zu informieren.
"Es ist bedauernswert, dass diejenigen, die dies
getan haben, gegen uns aufgehetzt und dafür bezahlt wurden, uns als
Kollaborateure zu brandmarken. Ich habe auch Poster von
palästinensichen Gefangenen, dem israelischen "Zaun" und den
israelischen Siedlungen gesehen, als ob all die Bürden, die auf dem
palästinensischen Volk lasten, meine Schuld wären. Ich wünschte, wir
wären normale Gäste des Rates gewesen. In diesem Fall hätten wir
Respekt und Schutz erhalten", sagte Abbas bitter und fügte dann
hinzu: "Hat diese Regierung irgendetwas bezüglich der Siedlungen,
dem Recht auf Rückkehr oder Jerusalem aufgegeben? Jedermann
vergisst, dass ich vom Zentralkomitee der Fatah und vom
geschäftsführenden Vorstand der PLO ernannt worden bin. Wer sind
also die Amerikaner, die uns ins Kabinett gebracht haben? Jetzt ist
keine Zeit, um die Errungenschaften der Regierung detailliert
darzustellen, die trotz der Hindernisse, Verletzungen und
Demütigungen erreicht worden sind. Ich denke, die Leistung ist
bescheiden. Doch alle Schuld dafür wird uns gegeben. Wir sind zum
Punchingball geworden."
Ein Rivale Kaddoumis
Abu Mazen beglich dann die Rechnung mit dem
designierten palästinensischen Premierminister Ahmed Qureia (Abu
Ala), der einige Tage zuvor gesagt hatte: "Abu Mazen und Arafat
hassen einander."
"Meine Beziehungen zu Arafat sind eine Sache der
Geschichte, und es war nicht das erste Mal, dass wir nicht einer
Meinung waren. Ich hoffe, es war das letzte Mal. Auf jeden Fall
hasse ich ihn nicht und er hasst auch mich nicht... Ich bin Teil der
palästinensischen Gesetzgebung, die Arafat symbolisiert und ich
würde nie gegen ihn vorgehen."
Während seiner ganzen Rede stritt Abbas ab, dass
er oder sein Kabinett ernannt worden sind, um Arafat zu
unterminieren. Eine der Hauptanschuldigungen des Fatah-Forums war,
dass er versucht hätte, die Verhandlungen mit Israel zu übernehmen
und Arafat und die PLO zur Seite zu schieben. "Alles, was während
der Verhandlungen geschah und jeder Schritt, jeder Brief und alle
Angelegenheiten, denen zugestimmt wurde, zählten erst, wenn Arafat
sein Einverständnis gegeben hatte... Als Arafat entschied, ein neues
Kabinett zu bilden, versammelte er die verschiedenen Institutionen
und traf die Entscheidung ohne amerikanischen Druck."
In diesem Zusammenhang sprach Abbas über seinen
viel berichteten Streit mit dem Leiter der politischen Abteilung der
PLO, Farouk Kaddoumi, der gegen die Oslo-Vereinbarungen war und
niemals in die PA-Gebiete kam. Abbas deutete an, dass Arafat und
seine Helfer diesen Streit angezettelt hatten, um gegen ihn zu
hetzen.
Als er das Kabinett bildete, so erklärte er, ging
er zu Arafat, um ihm zu sagen, dass er Nabil Sha'ath als
Außenminister ernannt habe und er bat Arafat, dies Kaddoumi zu
sagen, der sich selbst als Verantwortlicher für die
palästinensischen Botschaften in der Welt und als palästinensischer
Repräsentant in internationalen und arabischen Foren betrachtet.
Abbas sagte, Arafat habe ihm mitgeteilt, dass er
Kaddoumi darüber unterrichtet habe. Deshalb sandte Abbas einen Brief
an die Arabische Liga und kündigte an, dass Sha'ath nun der
palästinensische Repräsentant in der Liga sei. Kurz danach sprach
Abbas mit dem Generalsekretär der Liga, Amr Moussa, und stellte
fest, dass Arafat gar nicht mit Kaddoumi gesprochen hatte, wodurch
er eine Duplikation geschaffen hatte, die zur Krise zwischen Abbas
und Kaddoumi führte.
"Das Opfer ist die palästinensische Diplomatie,
denn nichts kann konkret getan werden. Zwei Suiten und zwei Autos
und gegensätzliche Meinungen im Kabinett und in der politischen
Abteilung der PLO", sagte er.
Abbas beschrieb dann den Versuch seines Kabinetts,
das Rentengesetz zu verabschieden, das die Renten der
PA-Beschäftigten regeln und das Rentenalter auf 60 Jahre festsetzen
sollte, wodurch viele von Arafats Leuten und PLO-Veteranen zu
Rentnern geworden wären. "Sie sagten schreckliche Dinge über mich.
Obwohl jeder Staat Rentengesetze hat sagten sie: ‚Die Vereinigten
Staaten hoffen, dass sie (Abbas' Leute) einige der alten PLO-Kämpfer
feuern werden'."
"Bis wann kann man den Großvater, seinen Sohn und
seinen Enkel im selben Ministerium beschäftigen, wenn wir 18.000
Hochschulabsolventen haben? Sie (Arafat) haben ein spezielles Forum
gegründet, um dies zu diskutieren. Doch ich möchte nicht näher
ausführen, wer in diesem Forum anwesend war und wen es repräsentiert
hat und wer über das Schicksal des palästinensischen Volkes
entscheidet."
Kontrolle des Fernsehens
Abbas sprach über seine Versuche, die Wirtschaft
zu reformieren. "Wir trafen Entscheidungen über verschiedene, bis zu
15 Prozent hohe Steuern, die PA-Beamten auferlegt sind. Ich
persönlich weiß nicht, wohin diese Steuern gehen. Als wir sie
abschaffen wollten, wurde uns gesagt: 'Damit schadet ihr der
Intifada'. Was haben Steuern mit der Intifada zu tun und warum
werden über jedem Thema nationale Forderungen erhoben?"
Es wird angenommen, dass diese Steuern in geheime
Fonds fließen, die wahrscheinlich Arafat zugute kommen. Abbas und
Finanzminister Salam Fayad waren offensichtlich sehr vorsichtig, die
Steuern, die bereits von den Beschäftigten eingezogen worden waren,
nicht anzurühren. Doch sie versuchten, zukünftige Zahlungen zu
stoppen.
Abbas sprach auch von anderen Reformen, die er und
Fayad initiierten und bestätigte dabei die Existenz von Monopolen
während der Osloperiode. "Wir schufen das Brennstoffmonopol ab,
wodurch zum Einkommen der PA monatlich 6 Millionen Dollar
hinzukamen. Während der Existenz der PA wurden jährlich 72 Millionen
Dollar gestohlen", sagte er.
Ein anderes Thema, das Abbas behandelte, waren die
Gehälter des Sicherheitspersonals, die zuvor in bar an die Leiter
der Organisationen ausgezahlt wurden, um nach deren Ermessen weiter
verteilt zu werden. Abbas und Fayad gelang es, diese Vorgehensweise
bei den Polizei- und präventiven Sicherheitskräften, die Abbas
unterstanden, zu ändern. Doch sie trafen auf harte Gegenwehr, als
sie versuchten, diese Vorgehensweise auch bei den Einheiten, die
unter Arafats Kontrolle geblieben waren, zu ändern. "Normalerweise
bekommen Bürger ihre Gehälter über die Bank. So können sie Buchungen
und Kredite kontrollieren. Warum ist es möglich, dass einige
Polizeibeamte ihren Lohn über die Bank beziehen und andere bekommen
ihn in bar? Mir wurde gesagt: ‚Wie können wir der Bank oder den
Israelis die Namen unserer Männer verraten?' Doch jeder weiß, dass
die Israelis und die Amerikaner bereits alle Namen kennen. Die
Listen wurden ihnen offiziell übergeben. Man sagte mir, auch die
Soldaten der amerikanischen Marine würden ihr Geld in Lohntüten
bekommen. Es tut mir Leid sagen zu müssen, dass dies eine billige
Entschuldigung ist und eine Vertuschung von Diebstahl. Bis jetzt
wurde dieses Problem nicht gelöst. Daraus folgt, dass beteiligte
Parteien und Leute, die Schwarzgelder bekommen, immer noch im Amt
sind."
Abbas eröffnete, dass infolge der Versuche, die
Sicherheitsorganisationen zu ordnen und die Löhne direkt an die
Polizisten zu bezahlen, in die Büros des palästinensischen
Finanzministeriums in Gaza eingebrochen wurde und diese verwüstet
worden seien. Zwei festgenommene Demonstranten nannten
Finanzminister Fayad einen Verräter. "Fayad wurde sehr traurig, als
man ihn auf diese Art und Weise angriff. Er sagte: ‚Sie können mich
alles nennen, nur nicht "Verräter" oder "Spion".'"
Während eines gefühlsbetonteren Teils der Rede
appellierte Abbas an die Mitglieder des Rates: "Wir möchten wissen,
welches unser Mandat ist. Die Botschaften unterstehen nicht unserer
Verantwortung. Weshalb brauchen wir also einen Außenminister? Die
Gouverneure (der Westbank-Städte, die laut Arafats Befehl ihm und
nicht dem Kabinett unterstehen) unterstehen nicht unserer
Verantwortung. Weshalb brauchen wir also einen Innenminister? Und
weder der Flughafen noch der Hafen in Gaza unterstehen unserer
Verantwortung. Ein Minister kann ohne Arafats Zustimmung keinen
Stellvertreter und keinen Generaldirektor ernennen. Die Minister
haben keine Kontrolle darüber, wer eingestellt und wer entlassen
wird. Alles unterliegt dem Ra'is (i. e. Arafat)."
Eine Woche vor seinem Rücktritt entließ Abbas
Arafats Vertrauten Abed Al-Aziz Abu Sharia, Manager des mächtigen
öffentlichen Dienstes, der 70.000 PA-Beamte beschäftigt hat. Abu
Sharia wurde der Korruption beschuldigt. An seiner Stelle ernannte
Abbas Sahar Besiso. Zwei Tage später erschien vor dem Bürogebäude
des öffentlichen Dienstes eine Gruppe von 50 bewaffneten Männer der
Al-Aqsa-Brigaden, einem Zweig der Fatah. In ihrer Begleitung war Abu
Sharia und sie verkündeten, dass laut Arafats Befehl die neue
Ernennung ungültig sei.
"Die Entscheidung mag richtig oder falsch sein.
Aber ihr könnt sie nicht mit Waffengewalt verhindern", protestierte
Abbas und fügte bitter hinzu: "Abu Sharias Brigaden können die Büros
nicht besetzen und eine Ernennung verhindern."
Die Mitglieder des PLC hörten Abbas zu, ohne ihn
zu unterbrechen. Dieser fuhr fort, das Vorgehen des
palästinensischen Fernsehens während seiner Amtszeit zu beschreiben.
"Alle Nachrichtensender der Welt berichteten von meinem Treffen mit
dem amerikanischen Außenminister Colin Powell. Drei oder mehr
arabische Fernsehsender übertrugen es sogar live. Nur unser
palästinensisches Fernsehen übertrug nichts. Ich fragte den
Informationsminister Nabil Amr nach dem Warum. Er antwortete: 'Es
gibt Anweisungen', womit er meinte, die Anweisungen seien vom Ra'is
(Arafat). Infolge dessen Befehls wurden während dieser Zeit
Zeichentrickfilme gesendet."
Bei anderer Gelegenheit, als die gesamte Welt,
einschließlich arabischer Medien, Abbas' Treffen mit dem
amerikanischen Präsidenten George W. Bush übertrug, sendete das
palästinensische Fernsehen einen Film über einen berühmten
ägyptischen Tänzer.
hagalil.com
16-09-2003 |