Arafat:
Abbas ist ein Verräter
Nachrichtenartikel von Arnon Regular, Amos
Harel und Aluf Benn, Ha'aretz, 11.07.2003
Übersetzung Daniela Marcus
Der Vorsitzende der Palästinensischen
Autonomiebehörde (PA) Yassir Arafat beschuldigte gestern
Premierminister Mahmoud Abbas (Abu Mazen), "die Interessen des
palästinensischen Volkes zu verraten". Der Ausbruch, dessen
Heftigkeit sogar lange Weggefährten Arafats überraschte, geschah
laut einer anwesenden palästinensischen Quelle während eines
Treffens zwischen dem Vorsitzenden und dem UN-Gesandten Terje
Larsen.
"Abu Mazen verrät die Interessen des
palästinensischen Volkes", sagte Arafat gemäß dieser Quelle. "Er
benimmt sich wie ein Anfänger, der nicht weiß, was er tut. Wie kann
er es wagen, neben der israelischen Flagge und neben
(Premierminister Ariel) Sharon zu stehen und freundlich zu diesem
Mann zu sein, dessen Geschichte in aller Welt bekannt ist?"
Diplomatische Quellen sagten, dass Larsen in seiner Erwiderung auf
diesen Ausbruch die Wichtigkeit der Unterstützung des Prozesses, den
Abbas begonnen hat und der eine Feuerpause und die Wiederaufnahme
der diplomatischen Gespräche beinhaltet, betonte.
Arafats gestriger Ausbruch folgte einer Welle von
ähnlichen Angriffen durch seine Weggefährten. Diese Angriffe
begannen am Montagabend während eines Treffens des Zentralkomitees
der Fatah und nahmen die Woche über an Stärke zu. Arafats
Weggefährten beschuldigten Abbas mehrerer Verfehlungen, angefangen
vom unkorrekten Verhalten bei den Verhandlungen mit Israel bis hin
zur Verschwörung mit Israel, um Arafat in Ramallah unter Belagerung
zu halten. In Erwiderung dieser Angriffe trat Abbas am Dienstag von
seinem Posten im Zentralkomitee zurück und bot an, auch von seinem
Posten als Premierminister zurückzutreten, falls seine Positionen
für Arafat und die Fatah-Bewegung inakzeptabel seien. Arafat und das
Podium wiesen dieses Angebot zurück. Doch der Machtkampf ging
unvermindert weiter.
"Ha'aretz" hat erfahren, dass Arafat kürzlich
Jibril Rajoub, den er letztes Jahr als Leiter des präventiven
Sicherheitsdienstes der Westbank gefeuert hatte, einen neuen Job als
Verantwortlicher für die Bürgermeister der Westbank angeboten hat.
Da Arafat kürzlich den Bürgermeistern die Autorität verliehen hat,
Mitgliedern der palästinensischen Sicherheitsdienste Befehle zu
erteilen, würde der neue Job Rajoub, der immer noch über die
Loyalität vieler Mitglieder des präventiven Sicherheitsdienstes
verfügt, eine große, offizielle Macht über diesen Dienst geben. Dies
wäre eine direkte Herausforderung für Abbas und seinen eigenen
Sicherheitschef Mohammed Dahlan. Rajoub hat den Posten bisher nicht
angenommen, doch es wird berichtet, dass er versucht ist, es zu tun.
Zusätzlich übertrug Arafat seinem nahestehenden Weggefährten Hani
Al-Hassan die Verantwortung für alle Fatah-Geschäfte in der
Westbank. Von dieser Position aus kann er Abbas das Leben sehr
schwer machen.
Die meisten Fatah-Aktivisten unterstützen Arafat
im Kampf gegen Abbas. Doch auch der Premierminister hat Mitstreiter,
und der Kampf verursacht in der Fatah eine tiefe Spaltung, wie
palästinensische Quellen sagen.
Mofaz und Dahlan treffen sich
Mittlerweile hat sich Dahlan gestern abend zum
zweiten Mal in dieser Woche mit dem israelischen
Verteidigungsminister Shaul Mofaz am Kontrollposten Erez getroffen.
Israelische Quellen sagten, das Treffen war eher dazu gedacht, den
"Schwung beizubehalten" als konkrete Vereinbarungen zu treffen.
Dahlan drängte Israel, mehr palästinensische Gefangene freizulassen
und der PA die Sicherheitsvollmacht für eine weitere Stadt in der
Westbank zu übertragen. Doch Mofaz wies beide Forderungen zurück und
sagte, die PA muss zuerst beginnen, die Terrororganisationen zu
entwaffnen. "Die nächsten Wochen sind kritisch und der Moment der
Wahrheit rückt näher", sagte er.
Wie "Ha'aretz" bereits anfangs der Woche
berichtete, sagte Mofaz, dass Israel eine begrenzte Freilassung von
gefangenen Mitgliedern der Hamas und des Islamischen Dschihad in
Betracht zieht, etwas, was es bisher verweigert hatte. Alle
Entscheidungen werden allerdings erst nächste Woche beim Treffen
zwischen Sharon und Abbas getroffen werden, fügte Mofaz hinzu.
Bezüglich der Übergabe einer weiteren Westbank-Stadt sagte Mofaz, in
Gaza und in Bethlehem –die beiden Gebiete, die bereits an die PA
übergeben wurden- hat die PA ihre Fähigkeit, den Terror zu
bekämpfen, noch nicht genügend bewiesen. Und bevor sie das nicht
tut, werden keine weiteren Übergaben stattfinden, besonders deshalb
nicht, weil viele Westbank-Städte, die sehr nahe an der Grünen
Grenze zu Israel liegen, als risikoreich betrachtet werden.
Trotz Israels Forderungen an die PA, die
Antiterrormaßnahmen zu verstärken, drückte der Generalstabschef der
Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) Moshe Ya’alon gestern
zum ersten Mal Optimismus aus. Bezüglich der palästinensischen Hetze
und der Terrorwarnungen ist ein Rücklauf zu verzeichnen, sagte er.
Derzeit hat der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Bet etwa 20
Terrorwarnungen vorliegen. Vor zwei Wochen waren es noch etwa 70.
Trotzdem ging die kämpferischen Zwischenfälle
gestern sporadisch weiter. Zwei Palästinenser, die anscheinend nach
Arbeit gesucht hatten, wurden leicht verwundet, als sie in separaten
Vorfällen versuchten, vom Gazastreifen nach Israel zu gelangen. Beim
ersten Zwischenfall, der sich in der Nähe von Kfar Aza ereignete,
eröffneten israelische Soldaten das Feuer auf drei Palästinenser,
die über den Zaun nach Israel kletterten. Einer der Palästinenser
wurde verletzt, die beiden Unverletzten wurden festgenommen. Der
zweite Zwischenfall ereignete sich in der Nähe von Kerem Shalom: ein
Sicherheitsbeamter aus Kerem Shalom eröffnete das Feuer auf einen
Palästinenser, der über den Zaun stieg, und verwundete ihn leicht.
Außerdem warfen Palästinenser Steine auf einen
Wagen, der auf der Trans-Israel-Autobahn unterwegs war. Die
Windschutzscheibe wurde zerstört. Es wurde jedoch keiner der
Insassen verletzt, wie die Polizei mitteilte. Zunächst hatte der
Fahrer gedacht, es handelte sich um einen Schießangriff. Doch die
Polizei fand keine Kugeln. Die Trans-Israel-Autobahn befindet sich
innerhalb Israels. Doch sie ist nur wenige Kilometer von der
Westbank-Stadt Qalqiliyah entfernt.
Auch in den Territorien gab es einige
Schießereien, jedoch ohne israelische Opfer.
In der Nähe von Nablus haben Soldaten sieben
Rohrbomben entschärft.
hagalil.com
11-07-2003 |