Freiheit ist Verrat:
Anschläge auf Kurden im Irak
von thomas v. d. osten-sacken und thomas uwer
Noch war der letzte Schwerverletzte nicht im
Krankenhaus, da schossen die Vermutungen bereits ins Kraut, wer
hinter den Anschlägen stecken könnte, bei denen in der kurdischen
Stadt Arbil am vorletzten Sonntag über 100 Menschen ums Leben kamen.
Doch in einem Land, in dem islamistische Internationalisten sich
beinahe wöchentlich als Selbstmordattentäter in Restaurants, Bussen
und Warteschlangen in die Luft sprengen, muss man nicht erst die
Geschichte der irakischen Schiiten studieren oder betonen, dass es
sich um die Büros zweier angeblich »verfeindeter« Kurdenparteien
handelte, um eine Ahnung davon zu bekommen, wo der Schuldige zu
suchen ist.
Wirklich groß war die Überraschung jedenfalls nicht, als sich eine
Armee der Beschützer der Sunna bezichtigte. »Zwei unserer den
Märtyrertod herbeisehnenden Brüder brachen in die Zentren des
Teufels in Arbil ein«, heißt es in dem Bekennerbrief, der sich liest
wie ein Standardtext für Jihadisten. Die Formulierungen jedenfalls
sind den Kurden bestens bekannt. Begriffe wie »Teufel«, »Zionisten«
und »Kollaborateure« prägten bereits unter dem Regime Saddam
Husseins die Propaganda gegen die Kurden, sie waren die ideologische
Legitimation der Vernichtungskampagnen.
Seit dem Sturz der Ba’athisten kommt den Kurden in arabischen Medien
nun erneut die Rolle zu, den »Verrat« zu personifizieren, den die
irakische Bevölkerung begangen hat, als sie ein besseres Leben dem
Opfertod im Entscheidungskampf vorzog. Die Vorwürfe, die von dem
Versuch, die irakische Nation zu spalten, zu ominösen Geschäften
reichen, in denen Kurden Landbesitz in Kirkuk an Juden
verschacherten, laufen dabei immer auf dasselbe hinaus: In Kurdistan
hat sich die Bedrohung durch Freiheit und Konsum längst weitgehend
materialisiert, die nunmehr den ganzen Irak heimzusuchen beginnt.
»Die islamische Welt soll sich von Diktaturen in Demokratien
verwandeln«, wettert daher die islamistische Website al-Neda, »das
heißt, es wird eine unmenschliche Erniedrigung in allen
Lebensbereichen geben.« Auch Jabbar al-Kubaysi, Führer der
Irakischen Patriotischen Allianz und Held der europäischen
»Zehn-Euro«-Kampagne für den Terror im Irak, verkennt nicht den
schädlichen Einfluss der Kurden. »Was in den kurdischen Gebieten
geschieht, ist unglaublich. Die Kollaboration mit den Amerikanern
beschränkt sich nicht nur auf die Führung, sondern erstreckt sich
leider auch auf große Teile der Bevölkerung selbst. Das erklärt,
warum wir keine kurdische Kraft finden konnten, die bereit ist, der
Widerstandsfront beizutreten, obwohl wir es versuchten.«
Kubaysi hat erkannt, dass die »Erniedrigung«, die von den Kurden
dieser Tage ausgeht, nicht nur in ihrer relativen Freiheit besteht,
sondern vor allem auch darin, dass sie von dem Ausnahmezustand, den
der Terror im Irak erzeugen will, bislang weitgehend verschont
geblieben sind. Um nicht erneut einer ideologisch grundierten
Zentralregierung in Bagdad zum Opfer zu fallen, ist es für die
Kurden existenziell notwendig, für Konzepte wie Föderalismus und
Gewaltenteilung im Irak zu werben. Diese Vorstellungen sind für die
Islamisten und Ba’athisten nichts als Teufelswerk der
imperialistischen Mächte.
Dass auch Kubaysi und seine deutschen Freunde die Kurden im Nordirak
immer nur als »Kollaborateure« bezeichnen, hätte die Suche nach den
Attentätern beinahe noch erschwert – wüsste man nicht zu gut, dass
diese nur vom »legitimen Widerstand« reden, den Opfertod selbst aber
den Jihadisten überlassen. NAH
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12-02-2004 |