Kurzsichtige und gefährliche Verwirrspiele:
Demokratie ist kein beliebig verwendbarer Begriff
Haydar Isik,
Schriftsteller
“Selbst wenn die Kurden in Argentinien ein Kurdistan gründen
wollten, würde die Türkei dies bekämpfen.“ So sprach der türkische
Premier Erdogan im Januar dieses Jahres in Beirut in der arabisch
veröffentlichten Zeitschrift Havadis (Nachrichten).
Als Herr Erdogan
letzte Woche bei einer Audienz bei Herrn Busch im Ovaloffice war,
teilte er den Journalisten mit Freude mit, dass die
USA-Administration den VOLKSKONGRESS KURDISTAN (KONGRA GEL) in ihre
Terrorliste aufgenommen hat. Dies war sein erster Satz gewesen. Über
die Kurdenstadt Kirkuk sagte er auf dem Weg nach Amerika: “Kirkuk
ist nicht kurdisch, sondern eine turkmenische Stadt. Die Kurden
dürfen auf die Stadt keinen Anspruch erheben. Die Türkei würde das
niemals dulden.“
Die
Türkei hat um die Kurden mehrere rote Linien gezogen, den Kurden
wurde nur das Recht eingeräumt, Sklaven der Türkei zu werden. Damit
die Kurden nicht unter das Licht der Menschheit kommen, versucht die
Türkei mit getürkten Informationen die USA-Administration, Israel
und die EU Länder zu beeinflussen. Und was wir beobachten ist, dass
sich die genannten Ländern gerne auf die Seite des Unrechts stellen
wollen.
Außerdem
hat die Türkei mit dem Mullahsregime im Iran und mit dem Diktator in
Syrien eine Allianz gegen die Kurden gegründet. Ich bin mir sicher,
die AKP kann auch gegen die Kurden den CIHAD erklären, wenn die
Generäle es fordern würden.
Natürlich muß ich hier ehrlich gestehen, dass auch dieser vom
Militärregime dominierte politische Islam in der Türkei ihre
Vorgänger beim Lügen in den Schatten gestellt hat. Die Partei von
Erdogan träumt vom Osmanischen Reich. Sie hat die Kunst der Osmanen
gut gelernt. Die Kunst, “Takkiye“ zu machen, was bedeutet, sich
anders zu zeigen, ist beinahe das Programm von Erdogans Partei
(AKP). “Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette sind unsere
Bajonette,“ so eines der bekanntesten Zitate von Erdogan.
Der
Vorgänger und Lehrer von Erdogan war nicht so trickreich wie
Erdogan, deshalb wurde gegen ihn geputscht. Erbakan hatte ab und zu
“unsere kurdische Brüder“ gesagt, aber Erdogan nimmt das Wort nicht
in den Mund, im Gegenteil, er leugnet die Kurden. “Wenn du denkst,
es gibt kein Kurdenproblem, dann gibt es eben kein Kurdenproblem.“
Erdogan
fordert die europäischen Länder auf, die Türkei in die EU
aufzunehmen. Aber weder er noch die EU-Länder machen sich Gedanken,
wie es mit den15 bis 20 Millionen Kurden in der Türkei weiter gehen
soll. Wenn die EU-Politiker nach Ankara eilen, bescheinigen sie der
Türkei bei der Erneuerung und Demokratie große Fortschritte. Kein
Politiker kümmert sich um die Angelegenheiten der Kurden.
Die
kurdische Sprache ist nicht legalisiert, obwohl die Türkei angeblich
im Jahre 2002 ihre Gesetze nach Art: “made in Türkish“ geändert hat.
Nach außen sagen sie, dass sie das Kurdische freigegeben haben, aber
in der Türkei werden Kurdischkurse, kurdische Namen, ja sogar die
Buchstaben “Q,W,X“, die im türkischen Alphabet nicht vorkommen,
verboten.
Da die
Kurden von der Politik der Türkei nur Unterdrückung und Versklavung
erfahren hatten, versuchte sich die PKK militärisch gegen diese
Politik zu wehren. Die Türkei hat Tausende kurdische Dörfer dem
Erdboden gleich gemacht, und Zehntausende Kurden wurden getötet. Die
Kurdische Seite wurde zur Terror-Organisation erklärt.
Die
kurdische Seite hat sich vom Weg der Gewalt schnell losgesagt. Um
mit diesen Methoden gänzlich zu brechen, hat sich die PKK aufgelöst.
Die nachfolgende Organisation KADEK erklärte den Gewaltverzicht zum
Programm, wurde aber trotzdem als Terrororganisation
gebrandmarkt. Die Türkei war sofort am Werk und beeinflusste
Deutschland und USA, die KADEK als Terrororganisation zu definieren.
Die
kurdische Seite hat erneut, um sich in eine neue Weltordnung
integrieren zu können, KADEK aufgelöst, und dem mit einem
demokratisch gesinnten Programm gestalteten KONGRA GEL a KURDISTAN
(VOLKSKONGRESS KURDISTAN) gegründet. Mitglieder dieser Organisation
sind Rechtsanwälte, Ärzte, Schriftsteller, Geschäftsleute, die weder
etwas mit der PKK noch mit KADEK zu tun hatten. Der Volkskongress
Kurdistan hat ausdrücklich der Gewalt abgeschworen und wollte sich
auf zivilen und demokratischen Wegen am Demokratisierungsprozess der
Region beteiligen. Jetzt hören und lesen wir mit Entsetzen, dass die
Bush-Administration auch diese Organisation als terroristisch
eingestuft hat.
Manchmal
lache ich über diese Ironie, weil ich als Mitglied im
Exekutivkomitee des Volkskongress Kurdistan keinem Menschen, Tier
oder sonstigem Lebewesen Schaden zugefügt habe, trotzdem werde ich
jetzt als Terrorist betrachtet. Der Starke diktiert, was der
Schwache ist. Die Generäle bomben die Menschen und töten, aber sie
zeigen mit dem Finger auf den Schwachen, und bezeichnen ihn als
Terrorist.
Ich
dachte fest daran und glaubte, dass nach den kaputtgeschlagenen
Strukturen im Irak eine demokratische Ordnung kommen würde: Die USA
haben die Vision die Region zu demokratisieren. Dann erhalten die
Kurden ihre demokratische Föderation. Diese Demokratisierung wird
über die Grenzen hinaus in die Nachbarländer übergreifen und sie
demokratisieren.
Aber
auch die USA sind fähig, die Menschen zu täuschen. Einerseits
kämpfen sie gegen islamischen Terror, andererseits helfen sie
Erdogans AKP-Partei, dass die Indoktrinierung in den Moscheen
fortgeführt wird. Entweder hat die Bush Administration keine Ahnung
oder keine Moral, oder aber sie sind von der Türkei reingelegt
worden. Alle sind schlimm. Die USA befreit Afghanistan und Irak, um
Menschenrechte und Demokratie dorthin zu transportieren, im gleichen
Atemzug macht sie einen Deal mit der Türkei. Ein säkular und
demokratisch gesinnter Mensch muss denken, die USA wollen nicht die
Demokratie, sondern einen vom Islam verschleierten Militarismus.
Welchen die AKP mit ihrer Politik des “Pantürkismus und
Panislamismus“ verwirklichen will.
Die
Presse dieses Landes titelt Herrn Erdogan als Reform-Premier. Aber
als aufmerksamer Leser der Süddeutschen Zeitung habe ich nirgends
gelesen, dass Herr Erdogan eine Reform auch tatsächlich verwirklicht
hat. Erdogan sagt, die Türkei sei ein Staat der Begegnung der
Kulturen. In diesem Land wurde der Völkermord an Armeniern nicht
anerkannt. Kurden Verfolgung und Repressionen gehen weiter, und die
Folter ist an der Tagesordnung. Die Christen konnten bis vor kurzem
ihre Kirchen nicht reparieren. Vor Hundert Jahren war die Hälfte der
Bevölkerung in der Türkei Christen. Heute sind sie nicht mal
Hunderttausend. Nun sollten Herr Bush, Herr Schröder und Herr
Fischer fragen, wo diese Menschen sind? Ist das eine Kultur? In der
Türkei tobte 15 Jahre lang ein schrecklicher Krieg gegen Kurden. In
dieser sogenannten Kulturenvielfalt der Moscheen habe ich keinen
einzigen Mullah oder religiösen Menschen gesehen, der sich für das
Leben einsetzte und gegen den Krieg protestierte. Im Gegenteil,
die Moscheen standen voll hinter ihren Generälen. Die Freitagsreden
(Hutba) werden vom Militär beeinflusst. Die Koalition von
Scharia und Militarismus ist an der Macht.
Die AKP
lebt und liebt nach der Scharia. Für sie ist nach dem Koran das
Jenseits der Welt als viel wichtiger definiert als das tatsächliche
Leben. Um schneller ins Paradies zu gehen, sind diese Leute zu allem
fähig. Erdogans Partei wurde nach dieser Ideologie indoktriniert.
Wir Kurden sagen, wenn man mit Satan ins Bett geht, wird man morgens
schielend aufstehen. Die USA und Israel fördern die Macht der
Moscheen statt die Demokratie. Sie müssen eines Tages auch die
Folgen tragen.
Wir, der
Volkskongress Kurdistan, wollen nichts weiter als ein friedliches,
ziviles, demokratisches Leben. Der Volkskongress wird den
demokratischen zivilen Weg unbeirrt weiter folgen. Der Volkskongress
Kurdistan hat in seinem Programm den Terror schon verurteilt. Wir
versuchen, in der Türkei ungestört zu leben. Wir möchten als Kurden
anerkannt werden und unsere Muttersprache legal pflegen dürfen. Dies
ist leider bis heute nicht möglich.
Ich habe
daher die Befürchtung, dass der türkische Staat in dem Beschluss von
Mr. Powell und President Bush eine Legitimation sehen wird, die
große ethnische Minderheit der Kurden verstärkt zu diskriminieren.
Sollte die Regierung der USA mit getürkten Informationen gegen den
Volkskongress, dem ich angehöre, vorgehen, dann verliert die
westliche Welt, im Vordergrund die USA, ihr Image bei den Kurden.
Uns auf die Liste der Terroristen zu setzen, obgleich ich und
meine Freunde niemals in unserem Leben gesetzwidrig gehandelt haben,
ist vollkommen absurd! Jetzt haben wir ein gutes Recht zu wissen,
wer ist Terrorist?
In der heutigen Zeit des
berechtigten und dringend notwendigen "Kampfes gegen den
Terrorismus" sollte man nicht einer kurzsichtigen Strategie folgen
und einem Staat wie der Türkei Erdogans zuliebe die Grenzen zwischen
Terrororganisationen und demokratischen Bewegungen verwischen.
Auch wer den türkischen Staat in diesem Zustand demokratisch nennt,
und mit ihm kooperiert, tut der Demokratie keinen Gefallen, er hat
keine Moral.
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hagalil.com
01-02-2004 |